Diözesanrat der Katholiken

Demokratisch gewählte Vertretung des Kirchenvolkes.
Der Diözesanrat repräsentiert mehr als 125.000 ehrenamtlich in Katholikenräten, Verbänden und Initiativen aktive katholische Frauen und Männer. Zu den Aufgaben des Diözesanrats gehört es, das wirtschaftliche, familiäre, gesellschaftliche und politische Umfeld so mitzugestalten, dass der Mensch gedeihen und sich entfalten kann.

Münchner Kirchenzeitung vom 14. November 2010

Nutzlos?

„Darf ich mitspielen?“ „Nein, wir können dich nicht brauchen“ – Kinder können ja so grausam sein. Nur Kinder?
„Wir können mit Dir nichts anfangen. Du bist nicht liebenswert. Du bist für uns nicht nützlich.“ Diese Grausamkeiten begehen Erwachsene und nicht nur irgendwelche, sondern diejenigen, denen wir unser Gemeinwesen anvertrauen sollen. Auch wenn sie es nicht so direkt sagen, sie argumentieren rein nach Nützlichkeitskriterien. Es läuft darauf hinaus, dass ein Mensch es nicht wert ist, überhaupt geboren zu werden. Präimplantationsdiagnostik (PID) heißt das Zauberwort für die Selektion vermeintlich nicht lebenswerten Lebens noch vor der Einnistung. Derzeit wird ihre Legalisierung von einigen Politikern heftig gefordert und mit dem Wohl der werdenden Eltern und des Kindes, dem künftiges Leid erspart wird, begründet. Wie aber geht es dabei den Menschen, die mit einem speziellen Betreuungsbedarf mitten unter uns leben? Ist ihr Dasein ein Versehen, weil es vor ihrer Geburt diese Errungenschaften der modernen Medizin noch nicht gab? „Hauptsache gesund“, ist ein legitimer Wunsch aller Eltern. Und um diesen Wunsch möglichst zu erfüllen, darf moderne Medizin vieles, jedoch nicht alles. Das bundesdeutsche Embryonenschutzgesetz gibt hier strenge Richtlinien vor. Für eine Gesellschaft ohne Behinderung taugt die PID ohnehin nicht. Schließlich werden ca. 94% aller Behinderungen postnatal erworben – und das kann jeden von uns treffen, jeden Tag.
Ohne mit den PID-Befürwortern in eine Ecke gestellt werden zu wollen, argumentieren andere Politiker derzeit ebenfalls rein utilitaristisch, wenn sie einem umfragebedingten populistischen Reflex nachgeben und behaupten, wir brauchen nicht noch mehr Menschen aus anderen Kulturen bei uns. Ist ihnen nicht bewusst, was das bei den bereits hier lebenden Menschen auslöst? Wissen Sie nicht, dass mehr Türken in Richtung Türkei ausreisen, als Türken zu uns kommen? Nehmen sie nicht zur Kenntnis, dass in München verglichen mit der Gesamtbevölkerung weit mehr Ausländer leben als in Berlin - und das ohne größere Probleme? Merken sie nicht, dass sie die vielbeschworene Leitkultur, die letztlich auf einem Verfassungskonsens basiert, selber in Frage stellen? Im Grundgesetz heißt es nämlich nicht: „Die Würde des geborenen Deutschen ist unantastbar.“ Menschen guten Willens schüren keine diffusen Ängste und machen keine uneinlösbaren Versprechen. Denn es gibt keine heile Welt aus sich selbst heraus. Menschen guten Willens bemühen sich, gemeinsam mit unseren behinderten und nur zunächst fremden Mitmenschen eine solidarische Gesellschaft zu realisieren. Dann stehen nicht länger Behindertsein und Ausländersein im Mittelpunkt, sondern schlicht das Menschsein.
Also noch mal: „Darf ich bei euch mitspielen?“ – „Ja, warum eigentlich nicht!“
Tremmel
[Übersicht Kolumnen]