Das Ordinarium

Die gleich bleibenden Teile der Heiligen Messe

Kyrie eleison

Der Ruf “Kyrie eleison”, zu deutsch “Herr, erbarme dich”, ist ein uralter Gebetsruf religiöser wie profaner Herkunft. In der Antike huldigte das Volk damit dem Kaiser oder einem siegreichen Feldherrn. Erst ab dem vierten Jahrhundert fand der Ruf Einlass in die christlichen Liturgien: zunächst in Jerusalem und Antiochien, wo die vom Diakon vorgetragenen Bitten vom Volk, besonders von Kindern, mit “Kyrie eleison” beantwortet wurden. Etwa hundert Jahre später breitete sich diese “litania” auch im Westen aus und wurde um 500 in die römisch-katholische Liturgie aufgenommen, als preisender Eröffnungsgesang und Huldigungsruf an den Sieger und Allherrscher Christus sowie weiterhin als Antwortruf auf die vorgetragenen Fürbitten. Insofern stellt unser heutiger Kyrie-Ruf den Rest einer längeren Litanei dar, der kaum mit dem - heute immer noch vorherrschenden - Vergebungsgedanken zu tun hatte.

Diese bittenden Anrufungen fielen im Zuge der Kirchenreformen Papst Gregors des Großen (590 - 604) allmählich weg; dafür fügte man das “Christe eleison” dazu. So entstand das in der römisch-katholischen Liturgie noch heute praktizierte “Kyrie” in Form von je zwei- oder dreimaligen Kyrie-, Christe und wieder Kyrie-Anrufungen. Das Ganze erhielt dadurch eine dreifaltigkeitsbezogene Deutung. Den Ruf, in der Urkirche Sache der Gemeinde, teilte man auf unter Liturgievorsteher, Messdiener und “Volk”, bevor er im Laufe des Mittelalters einzig dem Priester oder Chor zufiel. Dadurch allerdings wurde der ursprüngliche Antwortcharakter zerstört - und die feiernde Gemeinde eines Stückes Mitwirkung beraubt.

Erst das Zweite Vatikanische Konzil sieht wieder den Wechsel zwischen Vorsänger bzw. Schola oder Chor und Gemeinde vor. Letztere sollte sich nach Möglichkeit nicht völlig vom Chor vertreten lassen. Der Ruf “Kyrie eleison”hat im Gottesdienst seinen Platz nach der Eröffnung durch den Vorsteher, gegebenenfalls gehen ihm Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte voraus. Besteht auch die Möglichkeit, “Kyrie” und Schuldbekenntnis miteinander zu verknüpfen, so trägt der Ruf doch eindeutig indikativischen Charakter im Sinne von “Herr, du erbarmst dich. Wir danken dir und preisen dich!” - andernfalls wäre das Schuldbekenntnis dadurch ja verdoppelt. Allerdings stellen die Kyrie-Rufe so eine Doppelung zum nachfolgenden Gloria dar, weswegen der während des Konzils gefundene Ansatz, das Gloria generell nur mehr alternativ vorzusehen, sinnvoll ist, sich aber letztendlich nicht durchsetzen konnte.

Gerade in Messen ohne Gloria, deren freudiger Dank- und Huldigungscharakter dennoch betont werden soll, sollte man denselben durch Einschübe, so genannte Tropen, akzentuieren. Diese Tropen verhindern auch, dass ein Kyrie-Ruf als reiner Ruf um Erbarmen missverstanden wird (Beispiel: “Herr Jesus, du Sohn des lebendigen Gottes - Kyrie eleison”). Daneben sei auch erinnert an die ursprünglichste Funktion des “Kyrie eleison”: als preisender Eröffnungsgesang. Zu diesem Zweck existiert eine stattliche Anzahl von Kyrie-Litaneien und so genannter “Leisen”. Letztere sind Lieder, welche mit dem Ruf “Kyrieleis” enden. Sowohl Litaneien als auch Leisen lassen sich als Eröffnungsgesang hervorragend verwenden. In diesem Fall entfällt das Kyrie nach dem (etwaigen) Schuldbekenntnis.

Dementsprechend vielfältig sind auch die musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten. Nicht allein die Gregorianik als das Fundament aller abendländischen Musik bietet hierzu zahlreiche Möglichkeiten (z.B. “Missa Mundi” oder “Missa de Angelis”), sondern ebenso die auf diesem Grundstock fußenden Neuvertonungen in der jeweiligen Muttersprache. Diese liturgisch schlichten und dennoch kompositorisch qualitätsvollen wie allgemein verständlichen Melodien haben überdies den Vorzug, kraft ihrer Einstimmigkeit das Einheitsgefühl der Gemeinde zu fördern.

Weiter oben erwähnte Einschübe (Tropen) lassen sich hierzu in gesprochener, aber auch gesungener Weise (einstimmig vom Vorsänger, mehrstimmig seitens des Chores) integrieren. Zudem besteht die Möglichkeit, nach erfolgter Kyrie-/Christe- Anrufung von Vorsänger und Gemeinde den Chor mittels eines eigenen mehrstimmigen Kyrie-/Christe - Verses zu beteiligen. Besonders Vertonungen alter Meister sowie dementsprechende Neukompositionen von Hermann Schroeder und anderen eignen sich dafür bestens. Bleibt wirklich keine andere Möglichkeit, als das Kyrie ausschließlich chorisch auszuführen (etwa in klassischen und romantischen Messvertonungen eines Mozart oder Bruckner), sollte man sich wenigstens um Entzerrung des sonst aufeinander folgenden Blockes Kyrie - Gloria bemühen. Denkbar wäre, das Kyrie - wie vorhin ausgeführt - als lobpreisende Eingangskomposition zu verwenden.

Schließlich sei noch auf die Möglichkeit verwiesen, Orgelkompositionen, die sich inhaltlich auf eine gregorianische Kyrie-Melodie beziehen, mit dem jeweiligen Ruf zu verbinden. In jüngster Zeit finden sich auch verstärkt “Kyrie-Kanons”, welche mit der Gemeinde leicht einzustudieren sind. Egal, welcher dieser Möglichkeiten man sich bedient: die Huldigung an den dreifaltigen Gott muss stets Endzweck sein!

Quelle: Herbert Weß, Kyrie eleison - ein uralter Ruf: Über Ursprünge, Bestimmung und Gestaltung des "Herr, erbarme dich!" | Suite101.de http://www.suite101.de/content/kyrie-eleison-ein-uralter-ruf-a39473#ixzz1XoxokXy1


Pfarrkirche von außen
Innenansicht St. Hedwig
Empore St. Hedwig