Flüchtlingsproblematik bedarf einer gemeinsamen europäischen Lösung

Erklärung des Ständigen Rats der ComECE zur aktuellen Flüchtlingssituation und der Diskussion um eine Europäische Flüchtlings- und Asylpolitik
München, 10. September 2015. Der Ständige Rat der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft ComECE unter Vorsitz von Kardinal Reinhard Marx hat bei seiner Sitzung am 9. September in München folgende Erklärung zur aktuellen Flüchtlingssituation und der Diskussion um eine Europäische Flüchtlings- und Asylpolitik beschlossen:

"Der Flüchtlingsstrom nach Europa stellt die Staaten unseres Kontinents vor gewaltige Herausforderungen. Aber diese Herausforderungen können bewältigt werden, wenn die Europäer sie als eine gemeinsame Aufgabe verstehen und zusammenarbeiten. Mit Blick auf die zuerst betroffenen Länder im Süden Europas merken wir, dass das Dublin-System nicht funktioniert. Aber mit Blick auf die angestrebten Zielländer bemerken wir, dass es ohne eine europäische Systematik auch nicht weitergehen kann. Dass sich manche Länder ganz ihrer Verantwortung entledigen wollen, ist nicht akzeptabel. Denn die Europäische Union beruht auf der Solidarität der Europäer untereinander. Die Flüchtlingsproblematik ist eine gemeinsame Herausforderung und deshalb bedarf es auch einer gemeinsamen europäischen Lösung. Insofern begrüßen wir die jüngste Initiative der Europäischen Kommission zu einer faireren Verteilung der Flüchtlinge und zu gemeinsamen Asylstandards in Europa. In dieser Perspektive werden sicherlich weitere Maßnahmen erforderlich sein.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen an den Grenzen Europas ertrinken oder ersticken. Es ist keine Lösung, Flüchtlinge aus den Krisengebieten der Welt mit Stacheldraht und Mauern davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Vielmehr ist es christliche Pflicht, Flüchtlingen zu helfen – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Religion.

Papst Franziskus hat die Kirche in Europa aufgerufen, Flüchtlinge aufzunehmen: „Ich richte mich an meine Brüder Bischöfe von Europa, dass sie in ihren Diözesen diesen meinen Appell unterstützen, und daran erinnern, dass Barmherzigkeit der zweite Name von Liebe ist.“ Dieser Aufruf des Papstes ist für die Kirche in Europa eine Verpflichtung zum Handeln. Die Not der Menschen muss uns alle anrühren. Insofern haben uns in den vergangenen Wochen die Solidarität und Hilfsbereitschaft so vieler Europäer bei der Aufnahme von Flüchtlingen sehr bewegt. Wir danken allen, die sich dafür engagieren, dass Flüchtlinge im Sinne der Mitmenschlichkeit und der christlichen Nächstenliebe hier menschenwürdig und freundlich empfangen werden – ganz gleich, ob es später zur Anerkennung eines Asylgrunds kommt oder nicht. Es ist allerdings erschütternd, dass es auch zu Übergriffen und Anfeindungen gegenüber den Flüchtlingen kommt. Dem müssen wir uns engagiert entgegenstellen.

Europa muss schnell eine gemeinsame Europäische Flüchtlingspolitik beschließen. Wenn wir Finanzkrisen auf Europäischen Sondergipfeln am Tag und in der Nacht lösen können, dann muss dies auch möglich sein, wenn es um das Schicksal so vieler Menschen geht. Denn die Frage nach einer gemeinsamen Lösung der Flüchtlingsproblematik ist auch eine Frage nach den Werten und der Zukunft Europas."