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Pfarrverband Anger-Aufham-Piding

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Stern

„Oh Heiland, reiß die Himmel auf…“
Gedanken zu einem beliebten Kirchenlied im Advent

Kaum ein anderes Kirchenlied thematisiert so stark und so expressiv das Leitmotiv des Advents, unsere Sehnsucht nach dem Erlöser. Es wurde erstmals in der 1622 in Würzburg gedruckten katechetischen Liedersammlung „Das Allerschönste Kind in der Welt“ veröffentlicht. Der Text wird Friedrich von Spee (1591-1635) zugeschrieben, weil er sehr starke Ähnlichkeit mit seiner späteren Textsammlung „Trutznachtigall“ aufweist. Das Lied fand sehr schnell Eingang in katholische Liedersammlungen. Die Melodie wird zuerst im „Rheinfelsischen Gesangbuch“ in Augsburg 1666 bezeugt. Die Protestanten, die das Lied lange als „das katholische Adventslied“ ansahen, nahmen es erst 1950 in das Evangelische Kirchengesangbuch auf. 

Die erste Strophe lautet: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf. Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.“ (Gotteslob Nr. 231/Evangelisches Gesangbuch Nr. 7). Sie schließt damit an einen Text des Propheten Jesaja an: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen“ (Jes 63,19). Die folgenden Strophen veranschaulichen in immer neuen Bildern die Sehnsucht nach Gott: „Tau vom Himmel“, „Regen aus den Wolken“, „Blümlein“, „klare Sonn“, „Sonnenschein“, „Starke Hand“. Das Lied spiegelt die große Ungeduld des Wartens, den inneren Wunsch, dass sich bald etwas ereignen möge, nach dem wir uns sehnen. Es atmet starke Hoffnungsbilder, nach Gott aufzubrechen, neu anfangen zu dürfen. 

Moses und Martin Luther King
Ich stelle mir dabei das sehnsuchtsvolle Gesicht Moses vor, wie er am Ende seines Lebens, am Ende der 40-jährigen Wanderung durch die Wüste sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens ins „gelobte Land“ führt. Er selbst durfte es nicht betreten, aber vom Berg Nebo aus einen grandiosen Weitblick auf diesen Sehnsuchtsort erleben. Moses verabschiedete sich von seinem Volk mit den Worten: „Seid getrost und unverzagt.“ (Deut 31,7). Ich denke dabei auch an die berühmte Rede von Martin Luther King, die er am 28. August 1963 zum Marsch auf Washington für Arbeit und Frieden hielt. Seine Worte beziehen sich direkt auf Moses: „Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen. Ich mache mir keine Sorgen… Er hat mir erlaubt, auf den Berg zu steigen. Und ich habe hinüber gesehen. Ich habe das Gelobte Land gesehen. Vielleicht gelange ich nicht dorthin mit euch. Aber ihr sollt heute Abend wissen, dass wir, als ein Volk, in das Gelobte Land gelangen werden. Und deshalb bin ich glücklich heute Abend… Ich fürchte niemanden. Meine Augen haben die Herrlichkeit des Herrn gesehen…“. 

Hoffnung im Angesicht von Krisen
Gerade in Zeiten von Krisen gilt diese Vision. Ihre Wahrheit spüren wir in der Kraft und Überzeugung so vieler Lieder, wie im Sehnsuchtslied: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf“. Es sind starke Hoffnungsbilder von Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit und Frieden. Es wird viele Rückschläge geben, wie etwa die Niederschlagung vieler Demokratiebewegungen bis heute, die vielen Kriege weltweit, das üble Gebaren von Despoten, die Gehässigkeiten und das Gehetze gegen Flüchtlinge, auch in unserem Land. Solche Rückschläge schmerzen, aber ein gelingendes Leben ist ja kein keimfreies Leben ohne Narben und Niederlagen. Auch wenn etwas nicht gelingt, nimmt das den Hoffnungsbildern nicht ihre orientierende Kraft. Der Philosoph Ernst Bloch stellt uns seine Vorstellung von Hoffnung vor Augen, wenn er sagt: „Hoffnung ist das Verliebtsein ins Gelingen.“ Jeder, der verliebt ist, lässt sich nicht von dieser Liebe trennen, weil er tief in seinem Herzen weiß, dass „die Liebe immer stärker ist als der Tod“ (Hoheslied 8,6). So heißt es auch in der letzten Strophe unseres Liedes: „… führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.“

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

Und hier eine Fassung für Chor