Ein herzliches Grüß Gott im 
PFARRVERBAND OBERES INNTAL

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In dieser Rubrik stellen wir in loser Reihenfolge aktuelle Themen aus christlicher Sicht zur Verfügung, die wir für lesenswert halten.

Eine Mutter
Ein Todeskandidat und seine Mutter
Er war damals 56 Jahre alt, als Ende August 2020 sein Name — wieder einmal — durch natio­nale und internationale Medien ging. Eine von vielen Schlagzeilen lautete: „Von der High-School in den Knast“.
Es geht um Robert DuBois aus dem Bundesstaat Florida, USA. Als 19-jäh­riger, das ist bereits 37 Jahre her, war er wegen Vergewaltigung und Mord verurteilt worden. Überführt wurde er durch die Analyse einer Bisswun­de. Zudem hatte ein Mitgefangener während der Untersuchungshaft be­hauptet, DuBois habe ihm gegenüber das Verbrechen gestanden.
Robert DuBois hingegen beteuer­te immer seine Unschuld, trotz der Versicherung mildernder Umstände bei einem Geständnis. Doch seine Verteidigung läuft ins Leere. Er wird verurteilt.
Der Supreme Court ordnet Sicher­heitsverwahrung in einem Hochsi­cherheitstrakt an. Für DuBois heißt das konkret: Todeszelle mit Hinrich­tungstermin.
„Ich saß da und die Anwälte sagten mir immer wieder, dass alles gut wird. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Und dann hörte ich den Schuldspruch und das Todesurteil. Und ich dachte: »Das kann doch nicht wahr sein.« Es war wie ein Alp­traum.“
Und DuBois fährt fort: „Ich betete: »Gott, ich lege alles in deine Hände.«“ Drei Jahre später wird das Todesur­teil durch den Obersten Gerichtshof Floridas aufgehoben und Du Bois zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Si­cherungsverwahrung umgewandelt. 2019 wird eine private Opferhilfe auf DuBois aufmerksam. Endlich gelingt es durch ihr Drängen, dass ein mittler­weile technisch möglicher DNA-Test zur Überprüfung der Schuld DuBois durchgeführt werden darf.
Das Ergebnis: keine Übereinstimmung mit DuBois.
Damit wird seine Verurteilung mit To­desstrafe zu einem der dramatischsten Justizirrtümer der Geschichte der Ver­einigten Staaten.
Dieser „Irrtum“ bedeutete für DuBois 37 Jahre Gefängnis, 37 Jahre Gefäng­niskriminalität, 37 Jahre unschuldig für schuldig befunden, 37 Jahre verlo­renes Leben...
„Das erste und einzige Mal, dass ich im Gefängnis weinte, geschah einige Tage nach meiner Ankunft im Todestrakt. Ich war verzweifelt und hatte das Ge­fühl, dass alles hoffnungslos sei. Aber irgendwann musste ich einfach sagen: »Ich muss an meinem Glauben festhalten und darauf vertrauen, dass Gott mich da rausbringen wird.« Und er hat es getan.“
Wie und warum er überleben konnte, fasst DuBois schlicht so zusammen: „Nur mein christlicher Glaube hat mir geholfen.“
In dieser Zeit lässt ihn seine Mutter nie im Stich. Die einzige. Sie allein besucht den Sohn hinter den grauen Knastmauern, wann immer sie kann. Im Hochsicherheitstrakt darf sie mit ihm durch dicke Panzerglasscheiben telefonieren. Umarmen kann sie ihn nicht.
Immer wieder sagt sie ihrem völlig nie­dergeschlagenen Kind durch den Tele­fonhörer: „Ich glaube dir!“
Dabei kennt keiner ihre innere Not, ihre Qual, ihre Ausgrenzung... Kei­ner kennt den tiefen Schmerz über das Leid des Kindes, den nur eine Mut­ter kennt. Nie spricht sie darüber. Ihr Sohn ahnt ihren Schmerz. Die Ehe der Mutter zerbricht. Ihr Ehemann kann einer Frau nicht treu sein, die einem verurteilten Vergewaltiger und Mörder treu ist.
Beide, Mutter und Söhn, wissen, dass die Tage gezählt sind, an denen sie miteinander sprechen können. Un­aufhaltsam rückt der Hinrichtungstag näher. Und die Mutter kommt, im­mer wieder, und schenkt ihrem Sohn Kraft. Sie verbirgt ihren Schmerz, so gut es geht.
Und trotzdem: „Am schlimmsten war, die Not meiner Mutter zu sehen“, ge­steht DuBois. „Doch wir beide haben den Glauben bewahrt. Wir konn­ten einfach nicht zulassen, unseren Glauben an Gott zu verlieren. Denn wenn das passiert, dann kommt die Verzweiflung. Ich habe zu viele Dinge im Gefängnis gesehen und wie viele Menschen der Verzweiflung verfallen sind, einige von ihnen sind in Hass geraten, nur, weil sie in sich selbst so viel aufgestaut haben und so viel Miss­trauen gegenüber allen hatten.“
DuBois
Freispruch für Robert DuBois
Nach der Revision des Urteils sag­te einer der führenden Experten für Strafrechtsfragen in Florida, Andrew Learned: „Wir haben ihm das Leben genommen, die Freiheit, alles. Es ist unsere Schuld.“
Aufgrund einer in DuBois' Bundes­staat besonderen Gesetzeslage erhält er bis heute keine Entschädigung. Umso mehr berührt sein erstes öffent­liches Statement nach seiner Freilas­sung: „Ich verzeihe allen, die an mir schuldig geworden sind. Hass ist kei­ne Lösung. Denn wer hasst, kann kei­ne Freude mehr in sein Herz lassen.“ Zuvor durfte er sich durch Vermitt­lung der Opferhilfe noch einen ersten Wunsch erfüllen: „Ich will einfach nur meine alte Mutter umarmen. Und sa­gen: Danke Mama.“

Mutter und Sohn
Am Festtag der Schmerzen Mari­ens gedenken wir einer Mutter, de­ren Sohn auch unschuldig verurteilt wurde. Wir denken an eine Mutter, die immer an ihren Sohn geglaubt hat. Wir denken an eine Mutter, die in Leid und Schmerz bei ihrem Sohn aushielt, standhaft blieb, und von der auch wir sagen dürfen: „Selig bist du, weil du geglaubt hast, dass sich erfüllt, was der Herr dir sagen ließ“ (Lk 1,45). Maria blieb im Granatenhagel der Bli­cke, Verspottungen, Anfeindungen... unter dem Kreuz ihres Sohnes. Chris­ti Mutter stand mit Schmerzen... Sie ging nicht weg.
Sein Todesurteil wird nicht auf le­benslänglich abgemildert, von einem Freispruch oder einer „Wiederauf­nahme des Verfahrens“ gar nicht zu reden. Maria wohnt der Hinrichtung bei und sie weiß: Niemand wir dieses Unrecht entschädigen können.
Und Jesus geht es wie dem Todeskan­didaten DuBois: „Am schlimmsten war es, die Not meiner Mutter zu se­hen.“
Auch Maria hätte in ihrem Leid wie DuBois ausrufen können: „Das darf doch nicht wahr sein. Es ist wie ein Alptraum.“ Aber: Maria lehnt sich nicht auf, sie glaubt.
Das erste öffentliche Statement Jesu ist ein wunderbares Wort an die, für deren Sünden er am Marterpfahl des Kreuzes litt und starb. Denn der Apo­stel Petrus sagt: „Er hat unsere Sün­den mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtig­keit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt“ (1 Petr 2,24). Sein erstes öffentliches Statement lautet daher: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19).
Der hingeopferte und auferstandene Herr sagt zu seinen Jüngern: „Jetzt ist alles gut für euch. Ich habe euch alles verziehen, ich habe Frieden gestiftet. Und diesen Frieden lege ich in euer Herz.“
Und zuvor hat er sich einen ersten Wunsch erfüllt: die Begegnung mit seiner Mutter. Wenigstens sieht das der heilige Ignatius von Loyola so, auch wenn die Evangelien nichts da­rüber berichten. Ignatius erklärt kurz und knapp: „Obgleich dies in der Schrift nicht ausdrücklich gesagt ist, hat es doch als ausgesprochen zu gel­ten, weil gesagt wird, Er sei so vielen andern erschienen. Denn die Schrift setzt voraus, dass wir Verstand haben, wie geschrieben steht: «Seid auch ihr ohne Einsicht?»“
Auch für diese Betrachtung gilt bei Ig­natius, dass wir uns die so besondere Begegnung im Geiste vorstellen und die Schönheit und den tiefen Trost, der in diesem innigen Zusammentref­fen liegt, verkosten dürfen.
Jesus geht durch verschlossene Türen in den Raum, in dem das ganz offene Herz seiner Mutter auf ihn wartet, an ihn glaubt. Die beiden heiligsten Menschen, die diese Erde je gesehen hat, haben sich zunächst wohl angeschaut, dann vielleicht zaghaft, ja zärtlich berührt, gelächelt und sich angelächelt, dann vor Freude geweint und sich schließlich um­armt und geküsst. Und dann hat Jesus vielleicht gesagt — genauso wie Robert DuBois — „Danke, Mama!“

Der Schmerz Mariens
Auch Maria hörte - wie die Mutter DuBois‘ — das Wort vom Verzeihen ihres Sohnes: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). Auch sie hörte seine Wor­te der Hingabe an den Vater: „In dei­ne Hände lege ich meinen Geist“ Lk 23,46). Sie weiß, dass der Geist zum Vater geht. Aber sein Leib, ihr eige­nes Fleisch und Blut, wird dem Tod überliefert. In dieser Stunde ist sie die einzige Frau, die wie der Priester bei der heiligen Wandlung sprechen kann und sprechen muss: „Das ist mein Fleisch, das für euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch ver­gossen wird.“
Der Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux sieht das abgrundtiefe Leid Mariens ferner in einem „furchtbaren Tausch“. Maria muss Jesus loslassen, in den leid- und schmachvollen Tod hinein. Und sie erhält den Menschen. Sie tauscht den Heiligsten gegen den Sünder, den Sanftmütigsten gegen den Donnersohn, das Opfer gegen den Täter, den Getöteten gegen sei­nen Mörder.
Und Maria glaubt, dass es gut ist. Maria glaubt, dass es gut ist, wenn die Mutter dessen, der jede Sünde getra­gen hat zur Mutter der Sünder wird. Maria glaubt, dass es gut ist, wenn die Mutter des Erlösers zur Mutter aller Erlösten wird.
Maria glaubt an uns alle — an dich und mich!
Im Rahmen der Marienerscheinun­gen im belgischen Banneux 1933 begegnet der Ortspfarrer den Berich­ten der 12-jährigen Seherin Mariette mit großer Skepsis und er fordert ein „Zeichen“. Eigentlich denkt er an ein Wunder. Mariette bittet die Jungfrau Maria um dieses Zeichen. Und diese antwortet: „Glaubt an mich, denn ich glaube an euch!“
Maria glaubt an uns — wie eine Mut­ter. Sie steht zu uns. Sie steht unter dem Kreuz — unter unserem Kreuz. Sie tröstet uns, sie bittet für uns. Das ist ein Wunder, wahrlich wunderbar. Sie sagt zu uns: „Ich liebe dich, mein Kind. Ich liebe dich, egal, was war. Du bist für mich nicht die Summe deiner Sünden, nicht die Summe deiner Verletzungen, deiner Scham. Du bist mein geliebtes Kind! Ich er­kenne in dir, was die Erlösung in dir bewirkt. Ich erkenne in dir den wun­derbaren Plan Gottes. Ich erkenne in dir, wie seine Liebe und meine Liebe dich erstrahlen lassen können.“
Und so sagt sie nicht nur ihr ein­faches Ja zum Auftrag Jesu: „Frau, siehe dein Sohn!“ (Joh 19,26). Sie sagt nicht einfach wieder und immer wieder „mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Sie erträgt nicht einfach den Schmerz dieses Tausches, sondern sie sagt zu uns: „Ich liebe dich. Du bist mein Kind und ich bin deine Mutter.“ Sie sagt ja zu uns!
Durch die Mutterschaft Mariens er­halten wir kein Todesurteil, nicht einmal lebenslänglich. Vielmehr sind wir frei, Kinder Gottes, Erben des Himmels. Wir sind geliebte Kinder des himmlischen Vaters. Und wir sind geliebte Kinder der himmlischen Mutter.
Was könnte unser erstes Statement sein? Vielleicht könnten wir wie der Strafrechtsexperte Andrew Learned zugeben: „Wir haben ihm das Leben genommen, die Freiheit, alles. Es ist unsere Schuld.“
Aber wir brauchen nicht bei diesem Statement stehen bleiben. Nein, wir können voll Freude und Dankbarkeit sagen: „Wir sind erlöst - durch Jesus und durch die Vermittlerin seiner Gnaden, Maria!“
Und wenn uns ein erster Wunsch ge­währt wird - und er wird uns gewährt -, dann dürfen auch wir bitten: „Ich will meine himmlische Mutter umar­men und sagen: Danke Mama“!