Der Blick auf die Schönheit Marias
Im Alten Ritus betet die Kirche im Tractus (Zwischengesang) der Marienfeste: „Freu dich, Jungfrau Maria, du allein hast alle Irrlehren überwunden.“
Dabei greift die Liturgie auf alte Zeugnisse der Kirchenväter zurück: Kyrill von Alexandrien predigte beispielsweise auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431: „Durch dich [Gottesgebärerin] wurde der Glaube gestützt. Durch dich wurden die Häresien vernichtet.“ (Homilia in Deiparam)
In diesen Worten klingt eine den Kirchenvätern allgemein teure Überzeugung an: dass durch die Wahrheit der Mariendogmen die Wahrheit über Christus geschützt wird. Die Einzigartigkeit der Mutterschaft Mariens verweist auf die Einzigartigkeit ihres Sohnes. Wer ihre Himmelfahrt bekennt, wird schwerlich die Himmelfahrt ihres Sohnes leugnen.
So bewahrt das gläubige Nachdenken über Maria den Glauben an Christus — denn in ihrem Glanz zeigt sich die Schönheit Christi in umso hellerem Licht.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde dieses Nachdenken neu belebt, als verschiedene Theologen begannen, die Gestalt Mariens besonders im Licht des Alten Testaments und vor allem der jüdischen Tradition zu untersuchen.
Die nun beginnende siebenteilige Reihe spürt den jüdischen Wurzeln Mariens nach und stützt sich dabei besonders auf die Forschungen des amerikanischen Theologen Brant Pitre.
Jesus, der neue Adam - und Maria, die neue Eva
Es war sicher so etwas wie ein theologischer Paukenschlag, als der Apostel Paulus in seinen Briefen Jesus als den „neuen Adam“ vorstellte: „Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendigmachender Geist.“ (1 Kor 15,45)
Wenn Jesus der neue Adam ist, stellt sich zwangsläufig die Frage: Wer ist dann die neue Eva? Irgendwie liegt die Antwort auf der Hand: Maria. Denn wie Eva im Sündenfall eine entscheidende Rolle spielte, so spielt Maria eine entscheidende Rolle in der Erlösung.
Diese Gegenüberstellung ist mehr als ein theologisches Konstrukt. Sie basiert auf einer biblischen und patristischen Tradition. Letztere beginnt bereits im 2. Jahrhundert. Der Kirchenvater Irenäus von Lyon (f 202) schreibt: „Wie Eva im Ungehorsam zur Ursache des Todes für sich selbst und für das ganze Menschengeschlecht wurde, so wurde Maria ... durch ihren Gehorsam Ursache des Heils.“ (Adversus Haereses 3,22)
Der Fall - und seine Umkehr
Gemäß der Schilderung des Sündenfalls in Genesis 3 lässt sich Eva von der Schlange verführen, nimmt die verbotene Frucht, isst - und gibt auch ihrem Mann. In dieser scheinbar unbedeutenden Handlung, in diesem Akt des Ungehorsams liegt die Ursünde der Welt begründet.
Das Neue Testament setzt diesem alten Bild ein neues entgegen: Maria, die „Magd des Herrn“, wird zur Gegenfigur Evas. Als ihr der Erzengel Gabriel die Botschaft bringt, dass sie die Mutter des Messias werden soll, antwortet sie nicht mit zweifelnder Auflehnung, sondern mit gläubigem Gehorsam: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1,38)
Dieses „Fiat - mir geschehe“ ist das neue „Ja“, das den Fluch des alten „Nein“ aufhebt.
Eine Frau in Feindschaft mit der Schlange
Die Verbindung zwischen Maria und Eva klingt deutlich in Genesis 3,15 an: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse.“
Traditionell wurde diese Stelle messianisch verstanden. So heißt es dazu im jüdischen Targum Pseudo-Jonathan: „Von der Verwundung der Ferse wird es Heilung geben in den Tagen des Königs Messias.“
Auf christlicher Seite schreibt Leo der Große (+461 - Sermon 22): Gott „verkündete schon am Anfang der Welt das Heilmittel, ... indem er die Schlange wissen ließ, dass der Same der Frau ihr verhängnisvolles Haupt zertreten werde ... Christus, der Messias, der aus einer Jungfrau geboren wird, werde durch seine unbefleckte Geburt den Verderber der Menschen verurteilen.“
Und wer ist die Frau? Die Auslegung der Kirchenväter identifizierte die Frau immer auch als Maria: „Der Knoten des Ungehorsams Evas wurde gelöst durch den Gehorsam Marias.“ (Irenäus, Adv. Haer. 111,22,4) Maria wird somit zur neuen Eva, weil sie als Frau in Feindschaft zur Schlange steht - als gehorsame Gegenspielerin des alten Ungehorsams.
Die Frau aus Offenbarung 12
Ein zentrales biblisches Bild, das auf Maria als neue Eva verweist, findet sich in der Offenbarung des Johannes. In Kapitel 12 wird eine geheimnisvolle Frau beschrieben: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel: Eine Frau, mit der Sonne bekleidet, der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.“ (Offb 12,1)
Und diese Frau gebiert einen Sohn, „der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen soll“. (Offb 12,5) Ein klarer Hinweis auf den Messias — auch nach den rabbinischen Schriften: „Die Fürsten verschwören sich gegen den Messias des HERRN.... Aber er wird sie mit eisernem Zepter zerschlagen.“ (Targum Tehillim zu Psalm 2)
Die Frau hingegen wird vom Drachen verfolgt — einem Symbol für Satan. Die Szene ist reich an Bildern, die Pitre ganz im Licht der Tradition der Kirche deutet: Die Frau ist ein Symbol Israels, der Kirche - und konkret Maria. Denn sie ist Mutter des Messias und steht in kosmischer Feindschaft zur alten Schlange. So sagt Augustinus: „Die gebärende Frau stellt die Kirche dar. Doch man kann auch Maria darin verstehen, weil aus ihr der geboren wurde, der mit eisernem Zepter herrscht.“ (De Civitate Dei 20,19)
Hier ist Maria nicht mehr die stille Begleiterin, sondern eine apokalyptische Königin und geistliche Kämpferin. Sie erfüllt die alte Prophetie aus Genesis 3, denn Maria ist die „Schlangenzertreterin“, weil sie den Messias gebar, wie der christliche Dichter Prudentius (+404) betont. (Cathemerinon, 3)
Maria als sündlose Eva: eine frühchristliche Überzeugung
Aus dieser symbolisch-vorbildlichen Beziehung ergibt sich eine weitere Konsequenz: Wenn Eva am Anfang sündlos erschaffen wurde, dann ist es nur angemessen, dass Maria — als neue Eva - ebenfalls sündlos ist. Nicht aus eigener Kraft, so die kirchliche Lehre, sondern durch die besondere Gnade Gottes, die ihr im Voraus infolge der Verdienste Christi zuteilwurde. Für Pitre erscheint die Vorstellung, dass Maria ohne Sünde ist, nur dann fremd, wenn man die Parallele zu Eva ignoriert.
Auch hier ist ein Blick auf die jüdische Tradition bemerkenswert, in der die Mutter des Messias den Namen
„Hephzibah“ trägt (Berakhot 2,4; Sohar 3,173b; Apokalypse von Zerubbabel, 2). „Hephzibah“ bedeutet „An ihr habe ich mein Wohlgefallen“. Wer ist da nicht an die Taufe Jesu erinnert, auf dem das Wohlgefallen des Vaters ruhte und der ohne Sünde war (2 Kor 5,21)?
Auch für die frühen Kirchenväter war dies selbstverständlich. Irenäus, Ambrosius und Augustinus sahen in Maria eine neue Schöpfung, ein zweites unbeflecktes Werk Gottes. Schön beschreibt dies auch Ephräm der Syrer (+373): „Nur du [Jesus] und deine Mutter sind noch schöner als alles andere. Denn an dir, o Herr, ist kein Makel, und an deiner Mutter ist kein Fleck. (Nisibene Hymnen 27,8)
Eva - die Mutter der Lebenden
Die neue Eva ist nicht nur eine schöne symbolische Idee, sondern zentral für das Verständnis des Heilsplans Gottes. Maria ist kein passives Gefäß, sondern eine aktive Mitarbeiterin an der Erlösung. Ihr Glaube überwindet die Häresie und Lüge der Schlange. Ihr Gehorsam kehrt den Ungehorsam Evas um und ermöglicht zugleich den Gehorsam Christi.
Und mehr noch: Wenn Maria die neue Eva ist, dann ist sie nicht nur die Mutter Jesu, sondern auch die „Mutter aller Lebendigen“ - so wie Eva in Genesis 3,20 genannt wird.
Maria als neue Eva zu betrachten, stellt nicht nur sie ins rechte Licht, sondern vor allem ihren Sohn, den neuen Adam, den „Retter der Welt“ (1 Joh 4,14).
Literatur: Brant Pitre, Jesus and the Je- wish roots of Mary. Unveiling the Mo- ther of the Messiah, New York: Crown Publishing Group, 2018