Trauern ist besser als Lachen;
denn durch Trauern wird das Herz gebessert. (Prediger 7,3)
Unter allen Leidenschaften der Seele bringt die Traurigkeit am meisten Schaden für den Leib. “
(Thomas v. Aquin)
An diesen beiden Aussagen sehen wir: Es gibt offenbar zwei Arten von Traurigkeit. Mal zeigt sich Traurigkeit destruktiv und selbstzerstörerisch, mal ist sie Ausgangspunkt für Heilung.
Zwei bekannte „Vertreter“ dieser entgegengesetzten Ausformungen von Traurigkeit aus dem Neuen Testament sind Petrus und Judas. Judas sieht seine große Schuld, die er durch den Verrat Jesu auf sich geladen hat. Aber er sieht keinen Ausweg, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Er verfällt in Hoffnungslosigkeit und erhängt sich. (Vgl. Mt 27)
Auch Petrus ist betroffen von seiner Untat, der Verleugnung Jesu. Aber sein Schmerz und seine Trauer sind gepaart mit echter Reue. Nach der Vergebung durch Jesus ist seine Beziehung zum Herrn gewachsen: sie ist demütiger und aufrichtiger.
Die Traurigkeit des Judas führt in die Verzweiflung, die Traurigkeit Petri zu heilendem Neuanfang. Es ist die Traurigkeit Petri, um die es in der zweiten Seligpreisung Jesu geht. Als weiteres Beispiel für die positive Traurigkeit führt Papst Benedikt eine Begebenheit aus dem Buch Ezechiel (Ez 9) an: An einer Stadt, die voller Unrecht war, soll das Strafgericht Gottes vollzogen werden. Zuvor wird allerdings ein Mann in „leinenem Gewand“ nach vorne geschickt. Er soll alle, „die seufzen und stöhnen über all die Gräueltaten, die in ihr [der Stadt] begangen werden“ mit einem „T“ auf die Stirn bezeichnen. Ihnen soll nichts geschehen.
Für Papst Benedikt zeigt sich hier Traurigkeit in Form von „Nonkonformismus mit dem Bösen, sie ist eine Weise des Widerspruchs gegen das, was alle tun und was sich dem Einzelnen als Verhaltensmuster aufdrängt. Diese Art von Widerstand erträgt die Welt nicht, sie
verlangt das Mitmachen. Ihr erscheint diese Traurigkeit als eine Anklage, die der Betäubung der Gewissen entgegentritt, und sie ist es auch. Deshalb werden die Trauernden zu Verfolgten um der Gerechtigkeit willen.“ (Jesus von Nazareth, Bd. 1, S. 118)
Das Böse in unserer Umgebung und im eigenen Herzen lässt sich leider nicht mit einem Federwisch beseitigen. Manchmal muss der Mensch passiv „aushalten“ und sein Widerstand kann sich nur in der Form der Traurigkeit äußern. Der Christ wird in dieser Welt ständig mit dem Bösen konfrontiert sein. Nach Benedikt ist das folgerichtig: Der gefallene Mensch habe in sich das Streben, seinem eigenen Willen anstatt dem Willen Gottes zu folgen — darum werde Glaube immer als Widerspruch zur „Welt“ — zu den jeweils herrschenden Mächten — erscheinen und der Verfolgung ausgesetzt sein. (vgl. ebd. S. 120f.) Das Reich Gottes kann sich noch nicht völlig durchsetzen, weil wir in einer gefallenen Welt leben, in der noch das Böse am Wirken ist, weil wir selber oft inkonsequent und lau sind. Trauer darüber kann sich äußern in der Traurigkeit über böse und ungerechte Systeme in dieser Welt (vgl. Ez 9,4), über ungerechte Verfolgungen und über die Folgen der Erbsünde im eigenen Leben, die sich in herausfordernden Schwierigkeiten, Krankheiten und Tod zeigen (vgl. Geschichte des armen Lazarus, Lk 16). Aber auch in einer Traurigkeit über die eigenen Sünden (vgl. Zöllner im Tempel, Lk 18): Diese zeigen, dass auch im Herzen des Christen das Königreich Gottes noch nicht vollständig zur Herrschaft gekommen ist. (Dass wir uns mit bloßer Trauer nicht zufriedengeben dürfen, sondern Christus von uns gleichzeitig aktive Nächstenliebe erwartet - vgl. der barmherzige Sameriter (Lk 10) - versteht sich von selbst.)
Worin besteht der Trost?
Letztlich ist es der Herr selbst, der der Tröster ist. Der greise Simeon wartet in seiner Hoffnung auf den „Trost der Welt“ (Lk 2,25).
Der Zöllner Zachäus erfährt den Trost in der Vergebung durch Jesus (Lk 19), ebenso die Sünderin (Lk 7), Petrus (Joh 21), und viele weitere.
Gerade wenn es um eine Traurigkeit über die persönliche Schuld geht, besteht ein großer Trost also darin, umzukehren und wieder einen neuen Weg mit dem Herrn beginnen zu dürfen. Wer das Sakrament der Buße empfangen hat, wird diese tröstliche Erfahrung bereits gemacht haben.
Jeder kleine Schritt, durch den der Herrschaft Gottes ein größerer Platz in der Welt und im eigenen Herzen eingeräumt wird, stellt einen Trost dar. „Das Reich Gottes, das Stehen im Schutz von Gottes Macht und das Geborgensein in seiner Liebe - das ist die wahre Tröstung.“ (Jesus von Nazareth, S. 118)
Der letzte und volle Trost stellt sich allerdings dann ein, wenn auch „der letzte Feind“, entmachtet ist, der Tod (vgl. 1 Kor 15,26) und das Reich Gottes endgültig und ohne Bedrohung verwirklicht ist.
Eine der schönsten Schriftstellen über diese Zeit der vollen Tröstung und Glückseligkeit sind sicherlich folgende Verse im 21. Kapitel der Geheimen Offenbarung:
„Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Offb. 21,4)