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Pfarrverband Tegernsee-Egern-Kreuth
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Der hier vorgestellte Artikel „Ein Moment zum Innehalten“ über das Leben und Wirken des Hauptmanns Lissignolo und seine Verbundenheit mit dem Tegernseer Tal erschien in „Tegernseer Tal – Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Menschen und Landschaft“ (Ausgabe Nr. 172, Frühjahr/Sommer 2020). Autorin ist die deutsch-französische Journalistin Barbara Markert. Wir bedanken uns beim Tegernseer Tal Verlag (www.tegernseer-tal-verlag.de) für die Nutzungserlaubnis auf unserer Website.

Ein Moment zum Innehalten

Hierzulande ist die mutige Tat des Friedrich Lissignolo aus dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871 fast vergessen. Der einstige Gegner jedoch erinnert sich an seine »Menschlichkeit in Kriegszeiten«. Und das so nachhaltig, dass man 150 Jahre nach dem Ereignis mit einer hochkarätigen Delegation ins Tegernseer Tal reisen will.
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Das einzige auffindbare Portrait von Friedrich Lissignolo stammt aus der Wochenzeitschrift »Bayerland«, die 1905 in einem Nachruf an den hochdekorierten Oberst und Menschenfreund erinnert. Lissignolo, 1824 in Mannheim geboren, verstarb am 20. Juli 1905 in München, wo ihm einen Tag später bei einer Zeremonie im Alten Nördlichen Friedhof die zivilen und militärischen Ehren zuteilwurden. Anschließend wurde der Leichnam mit dem Zug an den Tegernsee gebracht und dort am 22. Juli beigesetzt: »In Egern, am Ufer des Tegernsee’s, allwo er alljährlich zur Sommerfrische weilte, wollte (…) er auch sein Haupt zur ewigen Ruhe gebettet wissen…«, heißt es dazu im See-Geist – Tegernsee’r Anzeiger vom 23. Juli 1905. Just jene Heimatzeitung trauert mit Lissignolo übrigens auch um einen Mitarbeiter: In den Jahren vor seinem Tod wurden im See-Geist immer wieder Gedichte aus seiner Feder veröffentlicht, in welchen Lissignolo u.a. die landschaftliche Schönheit der Region rühmt – oder auch die gemütliche Atmosphäre im Bräustüberl!

Keine Blumen, kein Grabstein – einfach nichts mehr zeugt heute am Kirchenfriedhof Egern noch davon, dass hier einst mit großen Pomp Friedrich Lissignolo zu Grabe getragen wurde. Zur Beerdigung des königlichen Oberst a.D. und Privatbibliothekars seiner Majestät des Königs Otto I. am 22. Juli 1905 reisten »Aristokraten, hohe Offiziere und Würdenträger « an, Kanonenschüsse erklangen und Prinzregent Luitpold sowie die Prinzen Ludwig Ferdinand und Alfons entsandten sogar »kostbare« Kränze. Der See- Geist des Tegernseer Anzeigers widmete dem Verstorbenen damals einen umfangreichen Nachruf, in dem »sein warmfühlendes Herz, seine Schlichtheit und Einfachheit « sowie »sein tapferes Verhalten vor dem Feinde« in mehreren ehrenvollen Einsätzen für das Vaterland gerühmt wurden. Es war eine prachtvolle Bestattung.
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Doch dann? Dann löschte die Zeit jede Erinnerung aus. Das Grab wurde aufgelöst. Der Name Lissignolo verschwand aus den (meisten) Amts-Registern. Über sein Andenken wuchs im wahrsten Sinne des Wortes Gras, bis ... Bis im Januar 2020 im Pfarrbüro Egern das Telefon klingelt. Ein Franzose namens Nicolas Graff ist am Apparat und will wissen, ob man das Grab von Friedrich Lissignolo besuchen könne, um dem Verstorbenen die Ehre zu erweisen. Man würde gerne mit einer kleinen Delegation im Spätsommer anreisen und eine Gedenkplakette niederlegen. Der Hinweis, dass das Grab nicht mehr existiert, schreckt den Herrn aus der Normandie nicht ab. Er hält an seinem Vorhaben fest. Und hinterlässt nicht nur im Egerner Pfarrbüro und im Rottacher Rathaus, sondern auch im Erzbischöflichen Ordinariat, im Museum Tegernseer Tal und im Tegernseer Tal Verlag, die alle inzwischen eingeschaltet sind, jede Menge Fragen. Wer genau ist dieser Friedrich Lissignolo? Was hat er mit Frankreich zu tun? Und vor allem warum und wer will ihm über ein Jahrhundert nach seinem Tod noch die Ehre erweisen?

Um die Antworten auf diese Fragen zu verstehen, muss man weit in die Geschichte zurückgehen. Konkret bis zum 1. September 1870. Frankreich und Deutschland, bzw. der Norddeutsche Bund unter Führung Preußens mit seinen verbündeten Staaten Bayern, Baden, Würt- temberg und Hessen-Darmstadt stehen sich im Krieg gegenüber. In Sedan, im Nordosten Frankreichs, kommt es zur entscheidenden Schlacht und in der nur fünf Kilometer entfernten Ortschaft Bazeilles liefern sich die bayerischen Truppen unter General Ludwig von der Tann einen erbitterten Kampf gegen die Sondereinsatztruppe der Marine-Infanterie unter dem Befehl Marchals Mac Mahon. Friedrich Lissignolo ist vor Ort und übernimmt als Stabshauptmann das Kommando des zweiten Bataillons des 13. Regiments. Es hat den Auftrag, den Gegner auszuschalten, der sich in der Herberge Maison Bourgerie verschanzt hat und den Vorstoß der Bayern blockiert. Nach sechs Stunden Gefecht und vielen Opfern auf beiden Seiten sind die Angreifer wie auch die Verteidiger der Erschöpfung nahe. Die Franzosen, die im ersten Stock des Gebäudes dem Angriff tapfer standhalten, feuern ihre letzte Munition ab, auf Französisch »les dernières cartouches«, und ergeben sich dann.

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Das Grab von Friedrich Lissignolo auf dem Egerner Kirchenfriedhof existiert lang nicht mehr. Doch in der Kirche erinnert ein Schlachtenbild genau an jene Kämpfe der Bayern bei Bazeilles, die mit dem Namen Lissignolo verbunden sind. Bei dem Gemälde handelt es sich um die Kopie eines Gemäldes von Friedrich Bodenmüller, gestiftet vom Veteranenverein. Auf dem unteren Bildrand sind die Namen der Männer aus den Pfarreien Egern und Kreuth verzeichnet, »welche den Feldzug gegen Frankreich mitgemacht haben«, fein säuberlich aufgelistet nach »todt«, »verwundet« und »unverwundet zurückgekommen«. Die meisten der Familien- und Hausnamen sind im Tal heute so präsent wie vor 150 Jahren. Das Originalgemälde von Friedrich Bodenmüller (1845-1913) befindet sich im Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (Sammlung Pinakothek) in München. König Ludwig II. hatte es noch im Entstehungsjahr vom Künstler erworben. Es trägt den Titel: Aus der Schlacht bei Sedan, 1. Sept. 1870, vorm. 9 Uhr. Das 1. bayer. Armeekorps von der Tann bei Bazeilles, den Angriff der Franzosen zurückweisend.
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Bildgewordene Militärgeschichte: Das Gemälde »Les dernières cartouches« (1873) von Alphonse de Neuville prägt bis heute den Blick vieler Franzosen auf die Schlacht von Bazeilles. Es zeigt die ausweglose Situation der belagerten Soldaten in der eingeschlossenen Herberge Bourgerie. Minuten später werden sie sich den bayerischen Truppen ergeben – und von Hauptmann Friedrich Lissignolo durch eine tapfere und ritterliche Geste gerettet werden.
Die verbliebenen bayerischen Soldaten stürmen das Haus und wollen sich am verletzten Kommandanten Arsène Lambert und seinen Soldaten für ihre getöteten Kriegskameraden rächen. Doch Friedrich Lissignolo schreitet ein, legt schützend die Arme um den Kommandanten und ruft seine Gefährten zur Räson. Die wenigen verbliebenen Franzosen werden von den in der Überzahl befindlichen Bayern verschont und als Gefangene abgeführt. So die französische Überlieferung. Lissignolo, der über die Ereignisse später einen Artikel verfasst, will von seiner heroischen Tat nichts wissen: »Die Umarmung könne in das Reich der Phantasie verwiesen werden«, schreibt er nüchtern und bemerkt, dass nicht die Bayern, sondern die Franzosen stark in der Überzahl waren. Genau deshalb drohte die Gefahr, dass die Franzosen die Kämpfe wiederaufnahmen. Das allerdings konnte verhindert werden. So die bayerische Version.
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In dem Gebäude der einstigen Herberge (mittleres Foto, linkes
Gebäude) befindet sich heute das »Musée de la dernière cartouche« (1969 eröffnet, 2005 renoviert) mit zahlreichen Originalstücken aus dem Deutsch-französischen Krieg. Das Gemälde von Neuville ist ein Herzstück der Sammlung. Der Raum, den Neuville malte, ist 150 Jahre später nahezu unverändert.
Die Wahrheit, was genau damals in dem Ort in den Ardennen passierte, liegt wohl irgendwo in der Mitte dieser beiden Kriegsberichte und wird Spekulation bleiben. Fakt ist aber, dass der Kampf in Bazeilles in die französische Militärgeschichte einging. Es gibt massenhaft, teilweise sehr romaneske Literatur über das Geschehen, es gibt Stiche und vor allem das Gemälde von Alphonse de Neuville, das die Ereignisse für die Nachwelt in Öl festhält. Das Haus Bourgerie ist noch heute im Originalzustand des historischen Gefechts – inklusive der damals im Kampf eingestürzten Decke. Eine Krypta mit den Gebeinen der Gefallenen beider Seiten gibt es auch. Als »Musée de la dernière cartouche« kann es heute von jedermann besichtigt werden. Außerdem sind das Gebäude und das Dorf häufig Austragungsort großer Gedenkzeremonien, bei denen in historischen Uniformen der Kampf um Sedan nachgespielt wird. »Dieses Gefecht hat bei uns einen starken symbolischen Charakter. Es zeigt die Menschlichkeit in Kriegszeiten«, erklärt Nicolas Graff, der selbst eine Karriere im Militär absolvierte, seit drei Jahren als General a.D. in Rente ist und bei den Vorbereitungen zum 150. Jubiläum der »Bataille de Bazeilles« mithilft. Vor rund einem Jahr, nach bereits längeren Recherchen im Internet, fällt dem Pensionär bei einem Online- Antiquariat eine Ausgabe der Zeitschrift »Das Bayerland« in die Hände, die eine Gedenkschrift zum 80. Geburtstag von Friedrich Lissignolo (* 27.12.1824) enthält. »Bis dahin kannten wir in Frankreich nur den Nachnamen des ritterlichen bayerischen Hauptmanns. Nun hatten wir auch endlich einen Vornamen und ein Gesicht vor Augen.« Graff, der selbst kein Deutsch spricht, nutzt Online-Übersetzungsdienste, um seine Recherche zu vertiefen. »Ich habe mehrere von ihm verfasste Artikel gefunden, die zeigen, dass Lissignolo kultiviert, leidenschaftlich und ein echter Humanist war.«
Tatsächlich hat der Münchner mehrere Schriften verfasst: über Kaiser Friedrich III, Pensionierungen, den Suizid in den Armeen und selbst über das deutsch-französische Bündnis. Mehr und mehr formiert sich das Puzzle der Recherche zu einem Ganzen. Graff schreibt an das bayerische Staatsarchiv und das Münchner Stadtarchiv, sammelt weitere Informationen, stellt eine Ahnenforschung an und kommt auf diese Weise zum Nekrolog im Tegernseer See-Geist.
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Und immer wieder Lissignolo: Die Erinnerung an die edle Tat des Bayern wurde in Frankreich von Generation zu Generation weitergegeben – hier eine Zeichnung aus dem Jahr 1910.
Der Artikel wirft bei ihm viele Fragen auf: »Warum ist Friedrich Lissignolo in Rottach-Egern beerdigt, wo er doch in München verstorben ist? Hatte der Herr Oberst Lissignolo ein Haus am Tegernsee für die Sommerfrische? Gibt es heute noch Nachkommen? Und wenn ja, wo leben sie?« Zwei Kinder, so zeigt die Todesanzeige, trauerten 1905 um den heldenhaften Oberst. Graff berichtigt: »Lissignolo hatte drei Kinder. Die zweite Tochter mit Namen Emma ist bereits früh verstorben. Sein Sohn Friedrich Albert Anton hat ebenfalls Karriere im Militär gemacht und wurde königlicher Rittmeister im I. Schweren Reiterregiment. Sein drittes Kind, die Tochter Marie Elisabeth, verstarb 1912 kinderlos.« Nicolas Graff forscht aktuell nach Abkömmlingen von Albert, denn es wäre schon schön, wenn Nachkommen bei der Zeremonie zum 150. Jubiläum in Egern anwesend wären. Aber was genau soll dann im Spätsommer am nicht mehr vorhandenen Grab passieren, und wer soll überhaupt kommen?
Nicolas Graff handelt unter anderem im Auftrag von zwei Assoziationen, der EMSOME und der FNAOM. Der État-major spécialisé pour outre-mer et l’étranger (EMSOME) ist der Führungsstab der Armee, spezialisiert für Einsätze in Frankreichs überseeischen Départements und im Ausland. Er ist in der Militärakademie in Paris und Fréjus stationiert und kümmert sich um die interkulturelle Ausbildung der Landesstreitkräfte. Bei den Anciens Combattants des Troupes de Marine (FNAOM) handelt es sich um ehemalige Kämpfer der Marine-Truppen, die sich um die Historie, die Solidarität und die Verteidigung der moralischen Rechte der Truppen verdient machen. Tatsächlich war 1870 bei der Schlacht in Bazeilles die Marine-Infanterie als eine Art Sondereinsatzkommando den Landstreitkräften zur Hilfe gekommen. Auch Lissignolo schreibt in seinem Bericht, dass die gefangen genommenen Soldaten allesamt der Marine entstammten.
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Sie bereiten den Besuch der französischen Delegation anlässlich des 150. Jahrestages der Schlacht von Bazeilles im Tegernseer Tal vor: General Philippe Bonnet und General Frédéric Garnier.
Nicolas Graff diente ebenfalls in der Marine. Jedoch will er selbst sich nicht ins Licht stellen, wichtiger seien Philippe Bonnet, der Präsident der FNAOM, und General Frédéric Garnier, der den Spitznamen »Vater der Armee« der Marine-Truppen trägt und sich federführend um die Jubiläumsveranstaltungen kümmert, die am Jahrestag natürlich vor allem in Bazeilles begangen werden. Die Zeremonie in Rottach-Egern ist etwas später angedacht, also im September oder Oktober – als eine Zeremonie, wie sie schon im Februar am Grab von Lissignolos Gegner, dem Kommandanten Arcène Lambert, in Paris stattfand. Dort wurde ebenfalls eine Gedenktafel niedergelegt. »Wir würden gerne mit einer kleinen Delegation von rund zehn Mitgliedern der EMSOME und FNAOM kommen und freuen uns, wenn auch Vertreter des Landes Bayern und andere Interessierte zu uns stoßen würden.« Mit dem Rathaus und Bürgermeister Christian Köck sollen demnächst Gespräche geführt werden, um Genehmigungen, Details und einen exakten Termin zu klären. Nicolas Graff: »Wir halten die deutsch-französische Freundschaft für sehr wichtig, und das ist der Grund, warum wir unbedingt an dieser Zeremonie festhalten. Auch wenn das Grab nicht mehr existiert, so haben die Recherchen eindeutig ergeben, dass Friedrich Lissignolo hier zur letzten Ruhestätte gebettet ist.« Und dann? Dann werden die Spuren der Zeit ausgelöscht, die sich sanft über eine unglaubliche Geschichte und das Andenken eines ehrenvollen Kriegshelden gesenkt haben. Am Friedhof in Egern wird dann wieder ein Zeugnis stehen – für Friedrich Lissignolo, aber vor allem für Menschlichkeit und die deutsch-französische Freundschaft.

Barbara Markert

Fotos und Bildquellen: Christine Pfluger; Das Bayerland. Illustrierte Wochenschrift für Bayerns Volk und Land, 1905; Museum Tegernseer Tal; Musée de la dernière cartouche, wikimedia commons, privat
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Die neue Gedenktafel, die an Oberst Friedrich Lissignolo und seine mutige Tat erinnert. Der genaue Ort des damaligen Grabes ist leider unbekannt. Die Tafel hat daher ihren Platz an der Kirchenmauer gefunden.
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