Pfarrei Herz Jesu München

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Die Herz-Jesu-Kirche in München-Neuhausen. Theologische Deutungen und Reflexionen Theologie und Spritualität

Die ausführlichen Reflexionen stammen von Pfr. Hans Späth, dem ersten Pfarrer der neuen Kirche und könne in der Kirche auch als Broschüre erworben werden:

Jede Zeit hat das Recht in Anspruch genommen, ihre Kirchen zu bauen. Immer, wenn dies originär beherzigt wurde, war es ein Ausdruck an Glaubensstärke. Immer, wenn in der Kirchenbaugeschichte die sogenannten Neo-Phasen anbrachen, offenbarte sich eine Glaubensschwäche. Es herrschte eine retrospektiv-idealisierende Sichtweise vor, die den Gegenwartsblick scheute und es tunlichst gemieden hat, den Impulsen des Jetzt zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Träumerei hat sich nie ausbezahlt. Herauskamen Plagiate zweifelhafter Qualität. Von weitem schon sah man ihnen den Makel der Duplizität und die fehlende Originalität an.

Diesen Vorwurf nun braucht sich die neue Herz-Jesu-Kirche im Münchner Stadtteil Neuhausen keinesfalls gefallen zu lassen. Sie steht einzigartig da. Für sie gab und gibt es kein Vorbild in der gesamten Kirchenarchitektur. Für die heutige Generation präsentiert sich da seit langem ein Gotteshaus, das sie mit Fug und Recht als ihr entsprechend bezeichnen darf, und das zugleich einfallsreich und überzeugend in die kirchliche Zukunft weist. Wer die Kirche betritt, wird von einem Innenraum empfangen, der sich durch klare Linienführung und edle Materialien auszeichnet. Wohltuend und transparent reduziert der Raum auf das Wesentliche. Seine Botschaft, verschlüsselt in neuzeitlichen Symbolen, erschließt sich erst auf den zweiten, wenn nicht gar erst nach dem dritten oder vierten Blick. Nichts also für Fast-Food-Betrachter und Barockfetischisten; sie werden wird nicht auf ihre Rechnung kommen und enttäuscht wieder abziehen. Ein Äußerstes an Achtsamkeit und ein Gespür für das versteckte Detail wird dem Betrachter abverlangt. Aber wer sich auf die Entdeckungsreise einläßt, wird alsbald ins Staunen kommen.
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Das beginnt bereits bei den Portalen. Portale sind stets Schlüsselgrößen von Kirchenbauten. Ihre Ikonographie hat programmatischen Charakter. Die Ornamentik der Portale der Herz-Jesu-Kirche ist weit davon entfernt, nur Ziergut zu sein oder die Optik aufzubessern. Die monumentalen blauen Tore stehen, wie es gute Kirchenbautradition ist, unter einem großen Thema: In Herz Jesu ist es die Passion. Der Glaskünstler Alexander Beleschenko schuf ein Alphabet aus Nägeln, in Anklang an die Kreuzigung und die Wunden Christi. Für jeden Buchstaben des lateinischen Alphabets kreierte er eine eigene Nagelkonfiguration und „bedruckte“ damit die quadratischen Glasfenster. Zusammengesetzt ergeben sie Texte der Johannespassion nach der deutschen Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Die Wahl der Johannespassion ist nicht zufällig. Schließlich liegt die biblische Fundierung der Herz-Jesu-Verehrung in jener Verszeile, die ausschließlich der Johannesevangelist überliefert: „Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, daß er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite und sogleich floß Blut und Wasser heraus“ (Joh 19, 33.34).



In einer Zeit, in der das Leid leidenschaftlich verdrängt wird, nimmt sich die Herz-Jesu-Kirche bereits an den Portalen explizit der Leidensthematik an und setzt damit ein deutliches Signal. Der Aufruf will dahingehend verstanden werden, sich als Christ dem Leiden nicht zu verschließen, sondern sich ihm in aller Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit zu stellen. Die Bereitschaft, das Kreuz zu tragen, ist nach wie vor das Erkennungszeichen der Jünger und Jüngerinnen Christi (vgl. Mk 8,34par). Dabei geht es nicht um eine Leidensmystik nach dem Zuschnitt der mittelalterlichen Büßer aus der Bewegung der Bettelorden. Das Leid gilt es nicht um jeden Preis zu suchen, sondern heute geht es darum, einen den ganzen Menschen einfordernden Daseinsbereich in seiner Tragweite nicht auszublenden.

Die Art, in der uns Leid heute begegnet, wird weitgehend von der Art der Berichterstattung in der Medienwelt bestimmt. Sie aber verdeckt mehr als sie zeigt. „Sie hat mit dem wahren Ausmaß der Katastrophen und dem Leiden der Menschen und der Natur nichts zu tun... Für Abermillionen Menschen ist die Katastrophe nicht ein Tiefpunkt im Leben, sondern das Leben selber.“ (Hans Saner, Katastrophenmüdigkeit, in: Macht und Ohnmacht der Symbole, 1993, S. 155) Wenn mich der Eindruck nicht täuscht, schickt es sich bei uns mehr und mehr, Leid nicht anzunehmen, sondern zu delegieren an Hilfsorganisationen, Heime, Hospize und Hospitäler. Erst wenn es einen unausweichlich ganz persönlich trifft, beginnt notgedrungen die existentielle Auseinandersetzung. Müßte sie nicht schon erheblich früher beginnen?

Die blauen Portale der Herz-Jesu-Kirche spielen mit ihrer Nagelinschrift aber noch auf ein Weiteres an: Mit Bedacht wird der Kirchenbesucher am Eingang mit einem Bibeltext, also mit der Schrift konfrontiert wird. Sie ist für die Kirche „die Urkunde ihres Glaubens, die Norm ihres Bekenntnisses und ihrer Praxis, die stärkste Quelle ihrer Spiritualität und Ethik“ (Thomas Söding, Mehr als ein Buch, 19962, S. 15) . Am Portal geht es um Zugänge wie um Wegweisung. Zugang zur Kirche ist das Portal, Zugang zum Glauben eröffnet sich dem Menschen durch die Botschaft der Schrift. An der Schrift vollkommen vorbei läßt sich kein Zugang gewinnen. Der Stellenwert der Schrift für den Gläubigen wie den im Glauben Suchenden wird am Eingang der Kirche signifikant hervorgehoben.

Eine weitere Assoziation sei hier noch angebracht. Die Schriftzeichen mit den Nagelmotiven lassen an die Keilschrift aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris denken. Mesopotamien ist die Wiege jener Hochkulturen des vorderen Orients, von denen eine ganze Reihe altestamentarischer Erzählungen aus dem Buch Genesis Kunde geben (Schöpfung, Sintflut, Abraham etc.). Somit schlagen die Kirchenportale einen Bogen zurück bis zu den Wurzeln der christlich-jüdischen Erzähltraditionen und lassen den weiten Horizont erkennen, unter dem der Überlieferungsprozess der Heiligen Schrift steht.



Die in ihrer Gesamthöhe von vierzehn Metern portalgleich zu öffnende Südfassade bildet, wenn sich die Tore hydraulisch zur Seite bewegen, eine faszinierende Geste der Einladung. Dies ist die zweite Botschaft der Tore von Herz Jesu. Offenheit ist angesagt, Empfang und Willkommen. Katholizität in seiner reinsten Form, nämlich allumfassende Aufnahmebereitschaft gegenüber allen, die in Christus den Weg, die Wahrheit und das Leben suchen, wird signalisiert. Die Scheu, es könnten sich auch Nichtrechtgläubige angezogen fühlen, beschleicht nach wie vor manchen. Es bleibt zu hoffen, daß sie sich eines Tages legt. Zugegeben: In der Phase des unkontrollierten Andrangs kurz nach der Weihe wurde mir als Pfarrer zuweilen schwindlig angesichts der neugierig anstürmenden Besuchermassen. Erleichterndes Aufatmen nach den ersten Monaten, daß es der Kirche nichts anhaben konnte.

Die Offenheit signalisierenden Tore bIeiben ein ständiges Postulat an die sich hier zur Feier des Gottesdienstes einfindende Gemeinde: Ist sie wirklich so offen, wie es die Tore signalisieren? Sind tatsächlich alle willkommen oder fühlt man sich nur wohl, wenn man unter sich ist? Bewegt man sich in einem geschlossenem Milieu, das sich katholisch nennt, oder tut sich ein Zugang auf für jene, die fremdartig wirkenden Erlebniswelten angehören? Ist die Sprache der Liturgie allgemeinverständlich oder nur einem beschränkten Insiderkreis geläufig? Mit welchen Haltungen und mit welchem Gesichtsausdruck begegnen in dieser Kirche die Mitglieder der Kerngemeinde den Neuankömmlingen und Fremden? „Hier mögen die Armen Barmherzigkeit finden, die Bedrückten Freiheit und jeder Mensch die Würde deiner Kindschaft“ - so betet der Bischof im Weihegebet der Kirche. „Das große Tor weist mit seinen geöffneten Flügeln auf die am Kreuz weit ausgebreiteten Arme hin, mit denen der Herr uns alle umfangen will. Unser Kirchenbau markiert zwar einen klar umrissenen heiligen Raum; aber die Kirche lebt nicht im Ghetto, sie steht offen für alle. ‘Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt: Ich werde euch Ruhe verschaffen’ (Mt 11,28).“

Je nach Sonnenstand und Lichteinfall hebt sich auf den Portalen schwach sichtbar ein monumentales Kreuz ab. Diesem korrespondiert hinter dem Altarbereich ein zweites Kreuz. Wie das erstere ist auch dieses - zumindest bei Tageslicht - erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar. Das äußere Portalkreuz steht unter dem Vorzeichen der Passion; das Kreuz hinter dem Altar, hell leuchtend und gewebt in zwei Schichten aus tausenden von goldfarbenen Tombakstäben, symbolisiert die Auferstehung. Es ist ein Werk des Künstlerehepaares Susanne und Berhard Lutzenberger. Ihr Motiv war es, den Glanz und die Herrlichkeit des Osterlichtes aufscheinen zu lassen. In wievielen Kirchen, ganz gleich aus welcher Bauzeit, „ist nicht die Auferstehung Christi, derentwegen wir den Sonntag feiern, völlig von Heiligen- und Passionsbildern verdeckt?“4 In der neuen Herz-Jesu-Kirche sind Passion und Auferstehung unübersehbar deutlich akzentuiert. Mit den Doppelkreuzen auf Portal und Altarrückwand spannt sich somit über die Architektur dieser Kirche der Bogen des zentralen christlichen Glaubensmysteriums, das die Liturgie der Eucharistiefeier in den Antwortruf der Gemeinde kleidet: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Was die Theologie als Herzstück christlichen Bekenntnisses von aller Anfang an (vgl. 1 Kor 15, 3-5) festgehalten hat, nämlich: gelitten - gestorben - begraben - auferstanden, wird in der neuen Herz-Jesu-Kirche architektonisch und künstlerisch eins zu eins umgesetzt.

Weiterer Part dieser theologischen Linienführung sind die Orte der Verehrung der fünf Wundmale Christi. An fünf verschiedenen Stellen in den Kirchenboden eingelassen sind tiefe Kammern mit quadratischen Öffnungen. Der Betrachter blickt durch ein kleines in den Boden eingefaßtes Sichtfenster nach unten in das von hellem Licht erleuchtete Innere der Kammern. Je eine Glasplatte mit einem Motiv der fünf Wunden Jesu, senkrecht eingestellt, zeigt sich dem Betrachter. Viermal handelt es sich um das Nagelwundenmotiv (links und rechts vor der ersten Stuhlreihe im Altarbereich die Handwunden; zwei weitere enger beieinander liegend unter der Orgelempore die Fußwunden), einmal um das Herz-Jesu-Motiv (an zentraler Stelle im Mittelgang). Zusammengesehen ergibt sich eine abstrakte Kreuzform, die sich allerdings nicht genau dem symmetrischen Grundriß des Kirchenbodens anpaßt, sondern sich zu diesem leicht verschoben verhält.

Die leicht farbigen Bilder sind hochgerastert im Siebdruckverfahren auf die Glasscheiben gebracht. Die Motivwahl orientiert sich an der Bildtradition der fünf Wunden des Herrn, überträgt diese jedoch in eine sukzessiv lesbare Folge. Die einzelnen Handlungen (Nagel ansetzen, Nagel einschlagen, eingeschlagener Nagel, Wunde) sind in nacheinander gereihter Folge dargestellt. Merkmale heutiger Darstellungsweisen, namentlich der filmischen, standen dabei Pate. Die Einlasssung der Motive in den Boden nimmt auf modifizierte Art die Traditionen von Krypta und Grundsteinlegung auf. Geschaffen wurden diese Orte der Wundenverehrung von dem Künstlerduo M+M (Marc Weiss und Martin de Mattia).

„Manchen mag dies ungewohnt und fremd, ja unverständlich vorkommen. Die Wundmale Jesu sehen wir für gewöhnlich nur an den Darstellungen des Gekreuzigten. Aber hier auf dem Boden? Und doch bringt diese Darstellung der Wunden Jesu auf dem Boden unserer Kirche etwas Tiefes zum Ausdruck: Wir werden von der Liebe Christi getragen, der sich am Kreuz für uns dahingegeben hat. Nicht der Fußboden, auf dem wir stehen, trägt unser Leben, sondern die Liebe unseres Gottes.“ (Peter B. Steiner, Kunst in der Kirche heute, in: initiativ Kunst . Kirche; hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, 1995)

So radikal bilderlos wie immer behauptet, ist also die neue Herz-Jesu-Kirche nicht. Neben der Darstellung der fünf Wunden ist auch der Ort der Marienverehrung bildnishaft in Szene gesetzt. Das Gemälde ist in München um 1500 entstanden. Sein Meister stammt aus der Werkstatt des Jan Polack und wird seit neuestem der Meister der Blutenburger Marientafeln genannt, weil seine Hand am Verkündigungsaltar und am Bild Mariä Krönung im Hochaltar der Schloßkapelle Blutenburg zum erstenmal nachweisbar ist. Das Bild ist eine spätgotische münchnerische Version eines der ältesten Gnadenbilder der Christenheit, nämlich der Ikone salus populi romani in Santa Maria Maggiore in Rom. In Herz Jesu fand es seinen Platz unter der Orgelempore und zieht sofort am Eingang den Blick des Besuchers auf sich. Eingefaßt ist das Bild von einem goldfarbenen-filigranen Gespinst aus Tombak, ähnlich dem des Tabernakels. Verdeutlicht wird damit der theologische Standort der Marienverehrung. Die Gottesmutter ist nie isoliert zu sehen, sondern steht immer in Beziehung mit Christus. Sie weist uns den Weg zu IHM, wo wir ihn aus dem Auge verloren oder nicht mehr wahrzunehmen vermögen. Sehr schön bringt dies der Gestus des Verweisens zum Ausdruck: Die Gottesmutter zeigt uns die gebenedeite Frucht ihres Leibes, den menschgewordenen Gottessohn, der uns seinerseits Kunde bringt vom ewigen Vater. Der erwachsen wirkende Jesusknabe hält in seiner Linken eine Schriftrolle. ER ist das Wort Gottes, der Logos, der uns letztgültig offenbart, wohin der Weg des Menschen führen soll, nämlich in die bergende Nähe des gütigen Gottes.

Wesentlich schwieriger zu deuten sind die vierzehn Kreuzwegstationen, der dritte Bilderkomplex in Herz Jesu. Im Umgang zwischen der gläsernen und hölzernen Raumhülle sind in Leuchtbildkästen fotographische Aufnahmen der Via dolorosa in Jerusalem zu sehen: verschmierte Wände, Straßenhändler, gelangweilte Passanten, neugierige Touristen, Souvenirs, gedrängte Pilgermassen, sogenannte heilige Stätten also, wie sie sich als Touristenattraktion des Orients in ihrer krassen Banalität und stupiden Degeneration dem Besucher darbieten. Die Via dolorosa ist, abgesehen von den Stationen unmittelbar bei und in der Grabeskirche, keineswegs der historische Kreuzweg Jesu. Wo der verläuft, ist bis heute unter Archäologen und Exegeten umstritten. Die heutige Via dolorosa entstammt der franziskanischen Frömmigkeit aus dem 12./13. Jahrhundert und wird als solche seit Jahrhunderten in der Jerusalemer Altstadt von Pilgern verehrt und gebetet.

Der Künstler, Matthias Wähner, schreibt dazu: „Das vorliegende Kreuzweg-Projekt ist in zweierlei Hinsicht einzigartig: Meines Wissens gibt es keine vergleichbare Darstellung des Leidensweges, die so dezidiert auf das Abbild Jesu Christi verzichtet. Der klassische Kreuzweg zeigt das, was sich möglicherweise so, oder ähnlich ereignet hat. Der geplante Kreuzweg zeigt das, was wir vorfinden, wenn wir uns am historischen Ort auf die Suche begeben. Er fordert unsere Vorstellungskraft, unser Abstraktionsvermögen und stellt so vielleicht auch eine Herausforderung an unseren Glauben.“
Der Umgang zwischen der Glasfront und der Holzlamellenwand ist nicht nur anregend aufgrund der installierten Kreuzwegstationen. Er ist auch aufschlußreich im Hinblick auf das Wesen der Kirche als pilgerndes Gottesvolk. Der Weg führt um den Innenraum herum, kennt als solches kein Ziel und verweist so auf das bleibende Unterwegssein des Christen. Bei diesem Unterwegssein fehlt die abschottende, schützende und undurchdringliche Mauer. Durch die transparente Glasfassade bleibt sichtbar und wahrnehmbar, was in der Welt draußen vor sich geht. Die neue Herz-Jesu-Kirche gemahnt augenscheinlich an die wegweisenden Worte der Konzilsväter in der Pastoralkonstitution des II. Vaticanums: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden.“(GS 1) Jede Denkweise derart, in der Kirche ein heiliges Refugium zu erleben und die böse Welt draußen hinter sich zu lassen, verbietet sich. Kirche ereignet sich in der Auseinandersetzung mit der Welt, sie ist aber nicht von dieser Welt. Der Umgang in Herz Jesu konfrontiert mit dieser Spannung, läßt sie gelegentlich auch unangenehm spürbar werden, wenn Besucher während des Gottesdienstes unbehelligt die Kreuzwegstationen neugierig betrachten kommen.

Daß sich das Bildprogramm von Herz Jesu so dezent in den Hinter- bzw. Unter-grund zurückzieht, verleitet zu der Annahme, es sei eine bilderlose Kirche. Für den Innenraum prima facie ist dies durchaus zutreffend und beabsichtigt. Die gesamte Raumaussage der Herz-Jesu-Kirche ist darauf ausgerichtet, die Feier der Liturgie hervorzuheben und zu unterstützen. Die Architektur und das Kunstprogramm der Kirche stehen ganz im Dienst der gottesdienstlichen Zeichen und Handlungen. Es gibt kein Bildprogramm, das ablenkt oder Zerstreuung böte. Licht und Wärme nehmen den Besucher in Empfang und lassen ihn eine Atmosphäre erleben, in der sich Gottesdienst mit dem Raum und getragen von ihm, aber nicht gegen den Raum feiern läßt. In unserer Zeit totaler Reizüberflutung, da es ungeheuer schwierig geworden ist, die Zeichenhandlungen der Liturgie in ihrer Fülle wahr- und aufzunehmen, schenkt der Raum dem liturgischen Geschehen seine volle Achtsamkeit. Was für die liturgischen Zeiten gilt, gilt ebenso für die liturgiefreien. Das Kircheninnere ist dank der Lichtfülle, der Geborgenheit und der Klarheit der Formen eine einzige Einladung, sich spirituell ergreifen und in die Tiefe führen zu lassen.

Was der Schriftsteller Alfred Döblin 1931 zur in diesem Punkt sicher artverwandten Aachener Fronleichnamskirche von Rudolf Schwarz geschrieben hat, gewinnt in München-Herz Jesu neue Aktualität: „Der Mensch, der in diese Kirche kommt, findet nichts vor als den lebendigen Gott - wenn er ihn sucht -, und kein Bild soll ihm diesen Dienst erleichtern. Den Dienst soll er leisten.“