Diözesanrat der Katholiken

Demokratisch gewählte Vertretung des Kirchenvolkes.
Der Diözesanrat repräsentiert mehr als 125.000 ehrenamtlich in Katholikenräten, Verbänden und Initiativen aktive katholische Frauen und Männer. Zu den Aufgaben des Diözesanrats gehört es, das wirtschaftliche, familiäre, gesellschaftliche und politische Umfeld so mitzugestalten, dass der Mensch gedeihen und sich entfalten kann.

Münchner Kirchenzeitung vom 14.04.2002

Baumgartner Kolumnen
Vorsicht vor Ideologen

Der moderne Verfassungsstaat, wie er sich im Grundgesetz der Bundesrepublik darstellt, ist weltanschauungsneutral. Was das bedeutet – darüber gehen die Meinungen im Land weit auseinander, ja darüber herrscht seit Jahren ein erbittertes Ringen. Vielen entgeht dieser Meinungskampf, die meisten berührt er wohl auch nicht. Nur gelegentlich, wenn etwa in Klassenzimmern die Kreuze nur noch ihre Schatten hinterlassen, werden viele hellhörig. Dann kommen, gering an der Zahl, aber nicht einflusslos, die Meinungsführer, denen sich offensichtlich die »Initiative Kirche von unten« zugesellt hat, und erklären uns: Das verlange die Treue zur Verfassung und, wer dies nicht so sehe, hinke in seinem Verständnis vom Verhältnis zwischen Kirche und Staat der modernen Entwicklung weit hinterher.
Was heißt »weltanschauungsneutraler Staat«? Zunächst doch, dass sich unser Staat keine Weltanschauung und kein religiöses Bekenntnis zu eigen macht, und dass in unserer Rechtsgemeinschaft niemand aufgrund seiner lebensbestimmenden Überzeugungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Aber es bedeutet keineswegs, dass der Staat allem Religiösen interesselos gegenüber zu stehen habe, und dass er dem religiösen Bekenntnis keinen Raum geben dürfe, wo Menschen in staatliche Institutionen eingebunden sind, in öffentliche Schulen, Kasernen, Strafvollzugsanstalten und so fort. Und es bedeutet noch weniger, dass der Staat, obwohl er keine Staatsreligion kennt, den Beitrag der religiös geprägten Menschen und ihrer kirchlichen Gemeinschaften für den Aufbau eines toleranten und solidarischen Gemeinwesens gering achten und darauf verzichten sollte. Und es bedeutet schon gar nicht, dass überall dort, wo Staatlichkeit ins Spiel kommt, die christliche Tradition unserer Gesellschaft geleugnet werden müsste.

Genau darum aber geht der subtile Kampf derer, die keinen Staat wollen, der das religiöse Bedürfnis seiner Bürger ernst nimmt. Sie wollen ein religiös bis ins Letzte purifiziertes, von allen christlichen Spuren chemisch reines Staatswesen. Deshalb bekämpfen sie heute das Kreuz in der öffentlichen Schule, morgen (oder schon heute) den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach und übermorgen die Seelsorge im öffentlichen Krankenhaus. Sie sind konsequent. Selbst die Geschichte bemisst sich für sie nicht mehr nach dem Datum vor oder nach Christi Geburt. Die Krönung Karls des Großen findet im Jahr 800 »nach unserer Zeitrechnung« statt. Deshalb werden die Christen, wenn sie sich an den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen beteiligen, verdächtigt, sie wollten ihre exklusive christliche Moral zur Staatsmoral erheben. Nur eine Überzeugung ist den Kämpfern unverdächtig: ihre eigene Ideologie. Ihr hat der weltanschauungsneutrale Staat zu folgen.