16. Juli 2021Vollversammlung des Katholikenrates zum Thema:
"Abschied in Würde. Verantwortung und Schutz am Lebensende!"
Nach langer Pause kann sich der Katholikenrat der Region München im Juli endlich wieder einmal analog treffen. Es ist kein einfaches Thema, das der Katholikenrat bei seiner Vollversammlung im Saal der Katholischen Akademie aufgreift: „Abschied in Würde. Verantwortung und Schutz am Lebensende“. Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, mit dem das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben wurde. Was bedeutet das für eine zunehmend älter werdende Gesellschaft, in der sich kranke und behinderte Menschen womöglich unter Druck gesetzt fühlen könnten, ihr Dasein zu beenden? Und was bedeutet das für katholische Einrichtungen und Seniorenheime, in denen genau diese Menschen leben?
„Ich bin froh, dass die Vollversammlung dazu heute keinen Beschluss fasst, denn je mehr man sich mit der Thematik auseinandersetzt, desto komplexer wird sie“, betont
Claudia Bausewein gleich zu Beginn ihres Impulsvortrags. Bausewein ist Lehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und selbst Palliativmedizinerin. Sie legt anhand von drei anonymisierten Fällen aus ihrer Praxis dar, wie vielseitig die Wünsche, Fragen und Ängste von Menschen am Lebensende sind. Neben der Sorge um nahestehende Menschen steht dabei meist das Bedürfnis im Fokus, so wenig Schmerzen wie möglich leiden zu müssen – und zwar nicht erst unmittelbar vor dem Tod. „Aber nur 15 Prozent aller Sterbenden in Deutschland erhalten Palliativversorgung. Da ist Luft nach oben“, findet Bausewein.
„Wir müssen uns mehr kümmern“, fordert
Professor Marcus Schlemmer in seinem Impuls. Er ist Chefarzt und Palliativmediziner am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, zudem studierter Theologe und Philosoph. Schlemmer hat den Eindruck, dass durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts „etwas losgetreten wurde“. Bereits jetzt gebe es rund 100.000 Suizidversuche pro Jahr in Deutschland, davon sei jeder zehnte erfolgreich. Darunter seien viele einsame, kranke und alte Menschen, die sich möglicherweise einem moralischen Druck zur Beendigung ihres Lebens ausgesetzt sehen.
Schlemmer berichtet von 146 Patienten, die mit einem Suizidwunsch zu ihm in die Sprechstunde gekommen seien. Diesen Wunsch gelte es im Gespräch ernst zu nehmen und nach den Gründen zu fragen. Die meisten Patienten habe die Aussicht auf eine gute Palliativversorgung und einen Abschied in Würde umstimmen können.
Dr. Gabriele Riffert, freie MK-Mitarbeiterin
Die beiden Referenten, Prof. Dr. Claudia Bausewein (links) und Prof. Dr. Marcus Schlemmer (rechts) mit der KRM-Vorsitzenden Hiltrud Schönheit (Mitte) während der Podiumsdiskussion.