Ein Münchner Priester vor Hitlers Volksgerichtshof

Vor 60 Jahren wurde Kaplan Hermann Joseph Wehrle ermordet
Gedenkgottesdienst mit Kardinal Wetter am 14. September
Wehrle
Hermann Joseph Wehrle
München, 7. September 2004 (ok) Hermann Joseph Wehrle, Priester des Erzbistums München und Freising und Kaplan in der Pfarrei Heilig Blut im Münchner Stadtteil Bogenhausen, wurde vor 60 Jahren am 14. September 1944 von der nationalsozialistischen Willkürjustiz zum Tod durch den Strang verurteilt. Der 45-jährige wurde noch am selben Tag in eine der Todeszellen des Gefängnisses in Berlin-Plötzensee gebracht. Dort wurde er in einem Gefängnisschuppen durch den Strang ermordet. Seine Asche wurde über Kanalisationsgewässer, sogenannte Rieselfelder, verstreut. So sollte auch noch die Erinnerung an ihn ausgelöscht werden. In dem vom Präsidenten des sogenannten Volksgerichtshofs, Roland Freisler, unterzeichneten Todesurteil wird Wehrle der Mitwisserschaft an der Verschwörung des 20. Juli 1944 bezichtigt und in die „Reihe dieser Verräter“ gestellt. Wehrle, ein Verwandter des selig gesprochenen Paters Rupert Mayer, gehört zu den mehr als 700 Frauen und Männern, die in das deutsche Martyrologium der Blutzeugen des Glaubens im 20. Jahrhundert aufgenommen worden sind.

Im Dezember 1943 hatte im Bogenhausener Pfarrhaus Ludwig Freiherr von Leonrod unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit seinem Beichtvater Kaplan Wehrle ein Seelsorgegespräch geführt. Dabei hatte der Freiherr, der mit Graf Claus Schenk von Stauffenberg vertraut war, um Rat gefragt. Er hatte wissen wollen, ob das Wissen um die Vorbereitung eines „Tyrannenmordes“ bereits eine Sünde sei. Wehrle verneinte dies unter ausdrücklicher Heranziehung theologischer Literatur. Nach dem Scheitern des Aufstandes gegen Hitler wurde auch Leonrod verhaftet. Unter den Foltermethoden sogenannter „verschärfter Vernehmung“ der Gestapo gab er den Inhalt des Seelsorgegespräches preis. Allerdings hoffte er, dass sein Beichtvater durch das Reichskonkordat von 1933 geschützt sei, das nicht nur die sakramentale Beichte, sondern auch vertrauliche Auskünfte bei der Ausübung der Seelsorge unter die zu respektierende Verschwiegenheitspflicht stellte.

Vor dem nationalsozialistischen Volksgerichtshof erhob Freisler gegen den aus der Wehrmacht ausgestoßenen Baron Leonrod wie auch gegen Kaplan Wehrle Anklage wegen Hochverrats. Ein Gnadengesuch Leonrods, in dem noch einmal der Sachverhalt des Seelsorgegesprächs von 1943 dargelegt und bewertet wird, verwendete das Gericht als zusätzliches Beweismittel gegen den Kaplan. Im Protokoll einer „sicherheitspolizeilichen Vernehmung“ hatte Wehrle auf die Frage, ob er im Führer Adolf Hitler einen Mann sehe, der seine Macht zum Schaden des Volkes ausnutzt, geantwortet: „Jawohl. Auch nach meiner Auffassung hat der Führer sehr viel Gutes geschaffen, aber beispielsweise auf dem Gebiet des Geistigen und Geistlichen sind Maßnahmen durchgeführt worden, für die der Führer letztlich verantwortlich ist und die den altgewohnten Begriffen von Freiheit und Recht zuwiderlaufen. In dieser Hinsicht muss ich allerdings sagen, dass der Begriff des Tyrannen, wie ihn die Antike versteht und wie auch ich ihn verstehe, auf den Führer zutrifft.“

Im Urteil vom 14. September 1944 heißt es: „Hermann Wehrle beruhigte als Priester das Gewissen eines Verratsmitwissers, der von ihm wissen wollte, ob er seine Kenntnis vom Mordplan melden müsse: solche Mitwisserschaft sei keine ‚Sünde’. Er ließ also den Verrat reifen und bewahrte den Plan vor der ‚Gefahr’, aufgedeckt zu werden. So wurde auch er Mitverräter.“ Wehrles letzte Worte sind auf einem kleinen Zettel aufgeschrieben. Seine Schwester fand ihn in der ihr zurückgeschickten Kleidung des Hingerichteten. Sie lauten: „Ich bin eben zum Tode verurteilt. Welch schöner Tag – heute Kreuzerhöhung.“ Anlässlich des 60. Todestages von Kaplan Hermann Joseph Wehrle feiert der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, am kommenden Dienstag, 14. September, dem Fest Kreuzerhöhung, in der Pfarrkirche Heilig Blut in München-Bogenhausen um 18.30 Uhr einen Gottesdienst. (wr)