Kardinal Marx: „Stunde der Wahrheit“ für die Kirche

„Hier ist ein Weckruf an uns ergangen, den wir nicht beschwichtigen und relativieren sollten“
München, 18. November 2018. Im Münchner Liebfrauendom hat Kardinal Reinhard Marx einen Gottesdienst anlässlich des Gedenktags für Opfer sexuellen Missbrauchs gehalten und sich dabei dankbar gezeigt, dass für die Kirche die „Stunde der Wahrheit“ gekommen sei. „Wir dürfen den Betroffenen, den Opfern, dankbar sein, dass sie sich geäußert haben, dass sie sprechen, oft nach Jahrzehnten, was schmerzhaft ist für viele von ihnen“, sagte der Erzbischof von München und Freising in seiner Predigt am Sonntag, 18. November. „Wir dürfen auch den Medien dankbar sein, wir dürfen dafür dankbar sein, dass die Aufmerksamkeit gewachsen ist für dieses manchmal verschwiegene, verborgene, verheimlichte Unrecht, für diese Gewalt, die vielen Menschen weltweit angetan wurde und wird.“
 
Es sei gut, dass der sexuelle Missbrauch im Raum der Kirche „in Wahrhaftigkeit sichtbar wird und wir Verantwortung übernehmen müssen, der wir nicht ausweichen dürfen. Die Stunde der Wahrheit eben, die wir annehmen und die wir aufgreifen müssen, in besonderer Weise natürlich die Verantwortungsträger in der Kirche“, so Kardinal Marx: „Endlich wird offenbar, was geschieht, und es wird darüber gesprochen, und es wird nach Heilung gesucht, nach Prävention, nach Überwindung.“
 
„Wir haben versagt“, betonte der Erzbischof. „Wir haben versagt, und wir waren wie in einem Verblendungszusammenhang: nicht hinsehen wollen, nicht wahrhaben wollen, was geschieht, es kleinreden, es nicht anhören, all das ist immer wieder geschehen. Und damit muss Schluss sein! Das ist eine Verantwortung der ganzen Kirche, besonders der Bischöfe und Priester und der Verantwortlichen, aufmerksam zu sein und nie wieder zuzulassen, dass übersehen wird, nicht hingehört wird, vertuscht und verschwiegen wird.“
 
Die Kirche werde an ihrem Handeln gemessen werden. Dazu gehöre „ein wahrhaftiger Blick zurück: Was ist geschehen? Worauf haben die Betroffenen einen Anspruch? Welche Verantwortlichkeiten können wir benennen?“, sagte Kardinal Marx. „Und der Blick nach vorn: Was in den vergangenen Jahren geschehen ist in unserer Präventionsarbeit, ist schon ein Schritt nach vorne, aber es muss noch vertieft werden, noch intensiver werden.“ Es gehe aber auch darum, so der Erzbischof, „dass wir lernen müssen, anders Kirche zu sein, transparenter, offener, nicht in geschlossenen Kreisen, nicht die einen gegen die anderen, sondern im Miteinander, im Lernen von der Welt.“ Kirche brauche „die Gesellschaft, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die kritische Begleitung der Öffentlichkeit“, um diesen Weg zu gehen. „Wir dürfen nicht nachlassen und wieder in den alten Trott verfallen!“, mahnte Kardinal Marx. „Wir müssen wirklich sehen: Hier ist ein Weckruf an uns ergangen, den wir nicht beschwichtigen und relativieren sollten.“
 
Der Gedenktag für Opfer sexuellen Missbrauchs geht auf eine Anregung von Papst Franziskus zurück, der um die Einrichtung eines „Tages des Gebetes und der Buße für die Opfer sexuellen Missbrauchs“ gebeten hatte. Er wird in den deutschen Bistümern in den Tagen um den 18. November begangen, der zugleich „Europäischer Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“ ist. Der Gottesdienst und das Gebet für die Opfer ergänzen die vielfältigen Aktivitäten des Erzbistums München und Freising in der Aufarbeitung und Prävention sexuellen Missbrauchs, die unter www.erzbistum-muenchen.de/im-blick/missbrauch-und-praevention dokumentiert sind. (gob)