Kardinal Marx fordert Kultur des Hinschauens

Erzbischof von München und Freising mahnt in einem Radiobeitrag:
„Kirche muss ein Ort der Gewaltlosigkeit und Liebe gerade für die Kleinen und Schwachen sein“
München, 3. Dezember 2010. Mit Blick auf den am Freitag vom Erzbistum München und Freising vorgelegten Missbrauchsbericht mahnt der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, eine neue Kultur des Hinschauens und der Verantwortung an: „Achtet besser aufeinander, seid aufmerksam, wenn ihr den Eindruck habt, dass irgendjemandem Leid geschieht. Nicht wegschauen, sondern hinschauen. Und vor allem: von den Opfern her denken und fühlen.“ Aus den Erkenntnissen, die man mit dem Bericht über sexuelle und andere körperliche Übergriffe in den vergangenen sechs Jahrzehnten im Erzbistum gewonnen habe, müssten die Konsequenzen gezogen werden, betont Kardinal Marx in einem Radiobeitrag für den Bayerischen Rundfunk: „Und das tun wir auch, damit möglichst nie wieder Menschen Missbrauch und Gewalt erleiden müssen. Denn die Kirche soll ja ein Ort der Gewaltlosigkeit und Liebe gerade für die Kleinen und Schwachen sein.“

Bezug nehmend auf das Evangelium von diesem Sonntag, 5. Dezember, in dem Johannes der Täufer den Messias ankündigt als einen, „der uns prüfen wird, der die Spreu vom Weizen trennen und die Spreu verbrennen wird“, erklärt Kardinal Marx: „Johannes will uns aber keine Angst machen, uns lähmen und klein machen. Er will uns wachrütteln. Deshalb sagt er: Führt euer Leben redlich und wahrhaftig. Kehrt um, wenn ihr auf dem falschen Weg seid. Gebt eure Schuld und eure Fehler zu.“ In diesem Sinn gelte es, vor den Ergebnissen des Berichts über sexuellen Missbrauch und körperliche Gewalt nicht die Augen zu verschließen. „Vor allem nicht mit Blick auf die Menschen, die Opfer von Übergriffen wurden. Wenn ich die Mahnung des Johannes also ernsthaft höre und auf diese Frage übertrage, dann heißt das: Seid redlich und wahrhaftig“, so Kardinal Marx. „Sucht die Wahrheit, und lasst euch nicht auf den Weg der Täuschung führen. Steht für eure Fehler ein, entschuldigt euch und lernt daraus für die Zukunft.“

Auf den ersten Blick schienen solche Gedanken „in der Adventszeit irgendwie zu stören“, so Kardinal Marx. Wer aber im Advent die Ankunft des Herrn erwarte, für den gehörten solche Gedanken genau in diese Zeit: „Deshalb war die Adventszeit über viele Jahrhunderte eine Bußzeit, in der sich die Gläubigen auf das Kommen des Herrn vorbereitet haben durch Umkehr und Erneuerung. Gerade in diesem Jahr empfinde ich diesen Charakter der Adventszeit in besonders intensiver Weise.“ In der Umkehr und Buße liege die Chance auf einen echten Neuanfang: „Macht Platz in eurem Leben für den Nächsten und für Gott. Hört nicht auf, nach der Wahrheit zu suchen, die Jesus Christus heißt.“ (ck)