Kardinal Marx warnt Europa vor militärischer Aufrüstung

Diskussion zur Zukunft der Europäischen Union bei Diözesanrats-Vollversammlung
Ebersberg, 18. März 2017. Kardinal Reinhard Marx hat vor einer neuen militärischen Aufrüstung in Europa gewarnt. „Alle werden sagen, wir brauchen mehr Waffen. Ich sage: Da müssen wir umsteuern“, sagte der Erzbischof von München und Freising in seiner Funktion als Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) bei der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising am Samstag, 18. März, in Ebersberg. Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine Aufstockung der Rüstungsetats der Nato-Mitgliedstaaten forderte Marx eine andere Sichtweise: „Sicherheit bedeutet nicht mehr Militär. Stattdessen gehört Entwicklungspolitik zur Sicherheitspolitik dazu.“

Der Kardinal rief dazu auf, am „Friedensprojekt Europa“ festzuhalten, das „weiterhin hochaktuell“ sei. Eine „wirklich realistische Alternative zu einem Zusammengehen, einem Miteinander der Völker in Europa“ könne es nicht geben. Christen müssten Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen, „und das ist jetzt über unser Land hinaus ein neues Gemeinwesen, das einmalig ist in der Geschichte, das sich den Prinzipien von Recht, Gerechtigkeit, Menschenwürde verpflichtet weiß“, betonte Kardinal Marx: „Wir haben das zu gestalten! Deshalb gibt es keinen Rückzug der Christen aus diesem Projekt.“

Allerdings sei in Europa größere Solidarität nötig, so der Erzbischof. Statt einen „überzogenen kapitalistischen Weg“ zu beschreiten, müsse „eine zwar wettbewerbsfähige, aber doch soziale Marktwirtschaft auf den Weg gebracht“ werden. „Wir müssen daran arbeiten, dass es ein neues Miteinander in Europa gibt und dass auch an den Werten weitergedacht wird“, sagte Kardinal Marx. Regionale Besonderheiten und religiöse Prägungen müssten dabei ernst genommen werden. Für die Unterstützung des afrikanischen Kontinents müsse Europa „viel mehr aufbringen“, betonte der Erzbischof: „Wir werden unseren Wohlstand nicht bewahren, wenn wir ihn nicht teilen. Da kann nur ein gemeinsames Europa eine Antwort geben, und die Christen müssen das Salz in der Suppe sein und diese Ideen in das Projekt Europa hineingeben.“

Marx sprach sich dafür aus, die Sozial- und Finanzpolitik der EU-Mitgliedsstaaten stärker zu koordinieren als bislang. „Dazu braucht es eine vertiefte politische Union, eine stärkere Kohäsion.“ Mit der Einführung des Euro habe man die politische Union in Gang bringen wollen, dabei „steht ein gemeinsamer Währungsraum eigentlich am Ende eines politischen Prozesses“. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme einer einzelnen Region beträfen letztlich alle, weil damit immer auch die politische Stabilität und Akzeptanz der gesamten EU in Frage stünden. „Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien ist auch unser Problem“, so der Erzbischof.

Die Europaabgeordnete Angelika Niebler, Vorsitzende der Europagruppe der CSU, betonte, die Europäische Union sei „viel besser als ihr Ruf“ und verwies unter anderem auf Freizügigkeit und Freihandel, Umwelt- und Verbraucherschutz. Für die anstehenden Herausforderungen sehe sie aber keine einfachen oder schnellen Lösungen, so gebe es unter den Mitgliedsländern der EU deutlich unterschiedliche Auffassungen dazu, was Solidarität in der Flüchtlingsfrage bedeute. Zur Zukunft der EU brauche es eine breite gesellschaftliche Debatte, forderte Niebler.
 
Unter dem Motto „Ach Europa! Bist du noch zu retten?“ befassten sich die rund 180 Delegierten der Vollversammlung mit der Krise der Europäischen Union. Eröffnet wurde der Studienteil mit fünf Impulsvorträgen. So wies Jörg Basten vom Hilfswerk Renovabis darauf hin, dass Millionen Menschen in der EU von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht seien und dass Christen eine wichtige Rolle bei der Förderung gerechterer Lebensverhältnisse spielten. Pfarrer Wolodymyr Viitovitch von der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in München erinnerte an „Europas vergessenen Krieg“ im Osten der Ukraine, der bereits Tausende Tote und Hunderttausende Flüchtlinge gefordert habe. Ein Austausch in Kleingruppen zu politischen und gesellschaftlichen Aspekten der Europäischen Union und eine Podiumsdiskussion schlossen den Studienteil ab, den die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Ursula Münch, moderierte.

Der Diözesanrat der Katholiken der Erzdiözese München und Freising ist die höchste Vertretung der Laien in der Erzdiözese. Auf der Tagesordnung der Vollversammlung in Ebersberg standen außer dem Studienteil auch Arbeitsberichte von Kardinal Marx sowie dem Vorsitzenden des Diözesanrats, Hans Tremmel. Ein gemeinsamer Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Sebastian schloss die Vollversammlung ab. (kel/gob)