Missbrauchsskandal fordert die Kirche als Gemeinschaft heraus

Diözesanratsvorsitzender Baumgartner fordert Zuwendung zu den Opfern
Missbrauchsbeauftragter Kneißl: „Wir müssen das Leid der Opfer anerkennen“
München, 17. April 2010. Der Missbrauchsskandal fordere die Kirche als Gemeinschaft heraus, sagte der Vorsitzende des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum München und Freising, Professor Alois Baumgartner, bei der Frühjahrsvollversammlung des Gremiums am Samstag, 17. April, in München: „Die Schuld, die einige auf sich geladen haben, indem sie das ihnen von Heranwachsenden entgegengebrachte Vertrauen brutal missbraucht haben, lastet auf uns allen.“ Die Kirche sei keine ferne Institution, der man die Schuld zuschieben könne. Dass die Kirche oft nicht in der Lage gewesen sei, die Bedrohung zu erkennen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, sei allerdings auch ein institutionelles Versagen, das nach Verantwortung rufe.

Nach Ansicht Baumgartners muss der Missbrauch von Kindern in der Breite der gesellschaftlichen Realität diskutiert werden. Eine Einrichtung wie der Runde Tisch würden sich sicher um ein objektives Bild bemühen. Dies entschuldige jedoch nicht das Versagen innerhalb der Kirche. Noch weniger dürfe man sich in Rechtfertigung flüchten, indem auf die „durchaus beobachtbaren Kampagnen in der Öffentlichkeit“ verwiesen würde. Christen brauchten nicht naiv und unkritisch gegenüber den Medien zu sein, aber die krisenhafte Situation nur als Produkt der medialen Darstellung zu sehen, sei eine unangebrachte Märtyrerpose. „Unsere Kirche steht in erster Linie in Verantwortung gegenüber denen, die an Leib und Seele geschädigt wurden“, so Baumgartner. Für die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Gemeinschaft sei entscheidend, wie die Zuwendung zu den Opfern konkret aussehen werde.

Der Beauftragte für die Klärung von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen im Erzbistum, Monsignore Siegfried Kneißl, berichtete der Vollversammlung aus seinen Erfahrungen der letzten Wochen. Bei den jetzt bekannt gewordenen Opfern handle es sich um Erwachsene, die im Alter von 8 bis 12 Jahren missbraucht wurden. „In ihrer Seele sind sie verwundete Kinder geblieben.“ Missbrauch, Misshandlung, Pädophilie, Gewalt und sexualisierter Gewalt würden in der öffentlichen Meinung sehr undifferenziert behandelt. Kneißl sieht seinen Auftrag vor allem darin, die Opfer wahrzunehmen, ihnen zuzuhören und ihr Leid und das erfahrene Unrecht anzuerkennen. Vielen der heute Erwachsenen gehe darum, nur mit einem Vertreter der Kirche reden zu können, andere suchten auch Therapie, oder finanziellen Ausgleich. Die Kirche müsse sich jetzt die Zeit nehmen, um in Ruhe Angebote zu überlegen.

Der Generalvikar des Erzbistums, Prälat Peter Beer, erläuterte die Maßnahmen des Erzbistums zum Thema Missbrauch. Zur Zeit würden alle Personalakten seit Kriegsende durchgesehen, um die Zahl von Missbrauchsfällen und den damaligen Umgang damit zu klären. Manche der Täter seien verstorben, aber die Opfer erwarteten eine Anerkennung ihres Leids. Beer gab auch bekannt, dass im Erzbistum eine Arbeitsgruppe „Prävention“ gegründet wurde, die möglichst noch in diesem Jahr erste Ergebnisse vorstellen werde. Die Delegierten aus den Pfarreien und Dekanaten diskutierten Konsequenzen aus der Krise und forderten unter anderem eine konsequente Aufklärung der Missbrauchsfällen, eine offene Diskussion über Sexualmoral, klare Regeln für den Umgang mit Kindern und Präventionsmaßnahmen sowohl in der Priesterausbildung als auch für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter. Explizit drückten die Delegierten ihre Unterstützung für Erzbischof Marx und Generalvikar Beer in der konsequenten Linie der Aufklärung von Missbrauchsfällen aus. (ua)