„Haltung zeigen gegen Antisemitismus“

Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm gedenken der ersten Deportation von Münchner Juden 1941
München, 19. November 2021. Bei einer Gedenkveranstaltung im Münchner Stadtteil Milbertshofen-Am Hart haben Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm am Samstag, 20. November, an die erste Deportation von Münchner Juden vor genau 80 Jahren erinnert. Wer sich den „Greueln der Geschichte“ nicht stelle, der verschließe auch „die Augen vor den Aufgaben der Gegenwart“ und lasse zu, dass das Verdrängte wiederkehren könne, so der Erzbischof von München und Freising. „Die vermeintlich ,alten Geister‘ des Hasses und der Ausgrenzung sind doch immer noch und wieder präsent, manchmal in neuem Gewand, aber letztlich doch dieselben, wenn man an die antisemitischen Verschwörungstheorien denkt, die heute wieder verstärkt im Umlauf sind“, betonte Marx und forderte: „Diese ,alten Geister‘ müssen wir erkennen und verbannen, wenn nötig auch mit dem Strafrecht, vor allem aber durch unser eigenes Verhalten, unsere Zivilcourage, indem wir Stellung beziehen. Da ist in erster Linie eine Haltung von uns gefordert.“ Zu der Gedenkveranstaltung hatten die Stadt München, die Gemeinschaft Sant’Egidio und die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) eingeladen. Neben Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm sprachen unter anderem auch Oberbürgermeister Dieter Reiter, Ellen Presser, Leiterin des Kulturzentrums der IKG, sowie Ursula Kalb von Sant’Egidio.
 
Kardinal Marx bezeichnete es in seinem Grußwort weiter als „eine eminente Aufgabe unserer Religionsgemeinschaften, dass wir Formen, Zeiten und Orte des lebendigen Erinnerns schaffen“. Dies könne am besten gemeinsam geschehen in der persönlichen Begegnung. „Als Schwestern und Brüder, als Geschöpfe des einen Gottes stehen wir hier, füreinander verantwortlich und vor unserem Schöpfer. Arbeiten wir gemeinsam an der Heilung der Welt“, sagte der Erzbischof.
 
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm erinnerte an die ledige Münchner Lehrerin und Schriftstellerin Elisabeth Braun. Die 54-Jährige stand unter Nummer 975 auf der Deportationsliste. Am 20. November 1941 war sie zum Güterbahnhof Milbertshofen getrieben und fünf Tage später in Kaunas ermordet worden. Braun stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie, war mit 33 Jahren in die evangelische Kirche eingetreten. 1938 hatte sie in ihr Stadthaus in Bogenhausen, dem Hildebrandhaus, 15 antisemitisch verfolgte Christen und Juden aufgenommen. Als sie erfuhr, dass sie enteignet werden sollte, setzte sie die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern als Alleinerbin ein. Ihr Erbe sollte zur Unterstützung von antisemitisch verfolgten Christen eingesetzt werden. Nach dem Krieg, so der Landesbischof, habe die evangelische Kirche das Erbe angetreten und setze es bis heute für Projekte ein, „von denen wir hoffen, dass sie im Sinne von Elisabeth Braun sind“.
 
Den 80. Jahrestag der Deportation nehme die bayerische Landeskirche zum Anlass, aller Opfer zu gedenken und dankbar an die mutige Münchner Protestantin Elisabeth Braun zu erinnern. „Voller Scham“, so Bedford-Strohm weiter, „stellen wir fest, wie wenig die Kirchenleitung damals zu ihrer Bewahrung tat“. Einzelne mutige Christenmenschen und Netzwerke seien damals für antisemitisch Verfolgte eingetreten, doch die Kirchenleitungen seien nicht bereit gewesen, „den von der Deportation bedrohten Menschen beizustehen“.
 
Veranstaltungsort des Gedenkens war unter anderem der Vorplatz des Gymnasiums München-Nord, in dessen Nähe sich das damalige sogenannte Judenlager Milbertshofen befand. In den frühen Morgenstunden des 20. Novembers 1941 fuhr vom Güterbahnhof Milbertshofen der erste Deportationszug nach Osteuropa ab mit 1.000 Juden, darunter 130 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Wenige Tage später wurden die Menschen, mehr als die Hälfte von ihnen Frauen, erschossen. (jm/kbr)