„Hinschauen, und dann sagen: So nicht!“

Kardinal Marx ruft am Aschermittwoch dazu auf, sich berühren zu lassen von menschlichem Leid
Gottesdienst im Liebfrauendom erinnert an Ermordung der Weiße-Rose-Mitglieder vor 75 Jahren
München, 14. Februar 2018. Zum Beginn der Fastenzeit hat Kardinal Reinhard Marx dazu aufgerufen, „sich betreffen, sich berühren“ zu lassen von menschlichem Leid. „Umkehr: Da geht es zunächst nicht um eine moralische Anstrengung, sondern darum, sich anrühren zu lassen von dem lebendigen Gott, der uns aufbrechen lässt in ein größeres, tieferes, intensiveres, besseres Leben“, sagte der Erzbischof von München und Freising, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, beim Gottesdienst zum „Aschermittwoch der Künstler“ am Mittwoch, 14. Februar, im Münchner Liebfrauendom.
 
Im Blick auf Jesus Christus könnten Menschen lernen, „was Empathie, Mitleid, Umkehr, Anrührung ist“, sagte Kardinal Marx. „Und dann sagen wir mit ihm: So nicht, bei mir nicht und bei anderen nicht! Wir schauen in unser Herz und sagen Nein zum Gefühl des Hasses, des Egoismus. Wir schauen in die Welt und sagen: Nein, wir wollen das nicht, eine Welt, in der Menschen über andere herrschen und sie ausbeuten, vergewaltigen, erniedrigen.“ Mit Blick auf die Ermordung von Mitgliedern der Weißen Rose vor 75 Jahren sagte der Erzbischof, die Widerstandsgruppe im Nationalsozialismus habe den „Zweiklang von Umkehr und Widerstand“ sichtbar gemacht.
 
„Bleib erschütterbar und widersteh‘!“, forderte Kardinal Marx mit den Worten des Lyrikers Peter Rühmkorf die Gläubigen auf. „Gnade uns Gott vor Menschen, die ohne jede Erschütterung leben, ohne Anrührung ihres Herzens.“ Künstlern und Künstlerinnen dankte der Erzbischof für ihren Dienst: „Künstler, die sich anrühren lassen vom Elend, von den Fragen der Menschen, drücken in ihrer Kunst auch aus, was man dagegen setzen kann, was man ahnen kann, wenn man sich auf diesen Weg begibt, sich erschüttern zu lassen und zu widerstehen.“
 
Zu dem Gottesdienst, den Kardinal Marx im Gedenken an das Wirken der Weißen Rose feierte, wurde das Kreuz aus der Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim in den Liebfrauendom gebracht. Zur Zeit des Nationalsozialismus war es in der dortigen „Arme-Sünder-Zelle“ angebracht, wo sich zum Tode Verurteilte vor der Hinrichtung aufhielten, auch mehrere Mitglieder der Weißen Rose. Der Münchner Autor Ludwig Steinherr las sein neues Gedicht „Foto“, das sich mit einer Abbildung des Kreuzes aus der „Arme-Sünder-Zelle“ befasst, sowie sein Gedicht „Weißes Blatt“. Musikalisch wurde der Gottesdienst von der Capella Cathedralis, dem Ensemble „Espresso Espressivo“ und Domorganist Hans Leitner unter der Leitung von Benedikt Celler gestaltet. Zur Austeilung der Asche erklang die Doppelfuge „In memoriam: Die Weiße Rose“ von Hans Werner Henze.
 
Traditionell nehmen an dem Gottesdienst insbesondere Künstler und Kulturschaffende teil. Die Schauspieler Norbert Heckner und Adela Florow trugen die Lesungen vor. Die Kollekte aus dem Gottesdienst kommt dem Monsignore-Fellerer-Fonds zugute, der Künstler und Künstlerinnen in Notsituationen unterstützt. Der „Aschermittwoch der Künstler“ wurde von dem katholischen Schriftsteller und Diplomaten Paul Claudel nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris begründet. Er wird mittlerweile in mehr als 100 Städten weltweit gefeiert. (gob)