Graffitikünstler in der Kirche

Früher musste der heute weltberühmte Loomit Sozialstunden leisten, wenn er mit der Spraydose auf Betonwände malte. Jetzt hat er in der Münchner Maximilianskirche gearbeitet.

München - Kräftig schüttelt Loomit noch einmal seine Sprühdose. Dann signiert er mit der weißen Farbe sein Werk und nimmt die Atemschutzmaske ab. Eine Woche lang hat der Künstler in der Münchner Maximilianskirche in der Chorapsis gearbeitet. Auf einer Fläche, die ungefähr so groß ist wie zehn hochkant nebeneinander gestellte Tischtennisplatten, hat er ein großes Bild gemalt.
Wie immer bei Loomit kommen die Farben nicht aus der Tube, sondern aus der Sprühdose und Pinsel braucht er deshalb auch keinen. Als er Mitte der 1980er Jahre mit seinen Graffitis begann, bekam er noch Strafanzeigen und musste Sozialstunden leisten. Heute stellt er in der ganzen Welt aus, von Sarajevo bis New York. Über dem mächtigen Bild in Sankt Maximilian, das er nicht direkt auf die Wand, sondern auf Leinwände gesprüht hat, erheben sich im Halbrund monumentale Steinfiguren. Sie stellen verschiedene bayerische Heiliger und Glaubenszeugen dar und stammen aus der Erbauungszeit der Kirche.
Carola Rackete und der heilige Maximilian
Auf einige davon nimmt Loomit in seinem Bild Bezug. „Auf dem Gemälde ist ein Paket-Fahrer zu sehen, der an den seligen Winthir aus München-Neuhausen erinnert“, erklärt der Künstler, der mit bürgerlichem Namen Mathias Köhler heißt. Denn auch Winthir hat als Fuhrmann Waren ausgeliefert. Heute könnte er bei Amazon beschäftigt sein und würde vielleicht allein durch seine Freundlichkeit das Evangelium verkünden. Der heilige Maximilian, der sich mit der Obrigkeit anlegte und seine Karriere aufgab, um Notleidenden beizustehen, ist Vorbild für Carola Rackete, die Kapitänin, die im Mittelmeer vom Ertrinken bedrohte Flüchtlinge rettet. Auf Loomits Bild hält sie einen Rettungsreifen in den Händen. Auch der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden ist auf dem Gemälde zu erkennen. „Er erinnert an die Beichte“, sagt Loomit, „weil er sich Spionagemethoden und böse Dinge von der Seele geredet hat.“
An den beiden Enden des Bildes sind jeweils zwei riesige Hände zu sehen, die sich berühren. „Da geht´s darum, dass sich in Sankt Max viele verschiedene Menschen begegnen, aber auch um die Berührung bei der Sakramentenspendung.“ Durch das gesamte Bild zieht sich der Schriftzug „Freude“, die einzelnen Buchstaben sind auf der gesamten Fläche verteilt: „Den vielen negativen und Märtyrergeschichten wollte ich etwas Positives entgegensetzen, um das es im christlichen Glauben ja genauso geht.“
Mit Kirche kennt sich Loomit aus, er war als Kind selbst Ministrant in Buchloe. Wer genau hinschaut, bemerkt, dass die liturgischen Farben auf dem Gemälde dominieren, das Pfingstrot, das Weiß der Hoch-, das Blau der Marienfeste, das Violett der Fastenzeit: „Diese Ordnung kenne ich noch von unseren Ministrantengewändern, die wir entsprechend zum Festkreis getragen haben.“ 

Mit Atemschutz und Spraydose: Loomit vor seinem Graffiti in Sankt Maximilian. Barockkünstler als Vorbilder
Ebenso haben den heute 51jährigen auch barocken Fresken in seiner Heimatkirche inspiriert und er sieht sich durchaus in der Tradition dieser Künstler: „Auch sie wollten einfach etwas Schönes für viele Menschen schaffen, nichts Akademisches.“ Und wie Loomit haben sie deshalb nicht zuerst fürs Museum, sondern für den öffentlichen Raum gearbeitet, wo jeder die Werke sehen kann. Seine amerikanischen Graffiti-Kollegen führt der in München lebende Künstler übrigens am liebsten in die rauschhaft ausgestattete Asam-Kirche in der Sendlinger Straße: „Die sind dann immer extrem beeindruckt.“
Jetzt findet es „große Klasse, dass ich gefragt worden bin, selbst in einer katholischen Kirche zu arbeiten, direkt hinter dem Altar und dem Tabernakel!“ Dadurch springt sein Gemälde gleich vom Haupteingang ins Auge. In seiner starken Farbigkeit erinnert es an Pop-Art. Pfarrer Rainer Maria Schießler und Stefan Alof von der Kirchenverwaltung sind sehr zufrieden damit. Sie wollten einen „Hingucker“ in dem riesigen Gotteshaus, das zu den größten in der bayerischen Landeshauptstadt zählt. Mindestens die nächsten zwei, drei Jahre soll es jetzt hier zu sehen sein, kündigt Stefan Alof an. Bezahlt worden ist das Kunstwerk vor allem aus Spenden.
Graffiti als Geste
Wie viel genau es gekostet hat, wollen die beiden nicht verraten, „ein bisschen mehr, als der Materialwert“, meint Pfarrer Schießler. Dass er jetzt ein ganz und gar zeitgenössisches Kunstwerk in der fast 120 Jahre alten Maximilianskirche präsentieren kann, ist für ihn auch eine Geste. „Man sieht zwei Epochen neben- und miteinander und wie Kirche immer im Werden ist.“ Dabei deutet er auf das große Mosaik aus der Zeit um 1900, das im Seitenschiff direkt neben Loomits Werk zu finden ist. Rainer Maria Schießler liebt es sehr und zelebriert gern davor: „Aber Kirche gibt´s nur in der Veränderung, nur in der Weiterentwicklung, wenn sie stehen bleibt, hat Kirche aufgehört zu sein.“ Und das betrifft seiner Meinung nach nicht nur die Kunst, sondern auch die Theologie.

Wer neugierig ist auf das Kunstwerk in Sankt Maximilian an der U-Bahnstation Fraunhofer Straße ist, bekommt es am 1. Advent aus erster Hand erläutert. Loomit erklärt sein Kirchen-Graffiti nach dem Sonntagsgottesdienst am 01. Dezember, um 10.30 Uhr.

Autor: Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund