Marx: „Aufarbeitung der dunklen Seiten ist nicht zu Ende“

Kardinal ruft mit Blick auf kirchliche Erziehungshilfe zu „nüchternem Blick in die Vergangenheit“ auf
München, 16. Juni 2021. Kardinal Reinhard Marx hat zu einem „nüchternen Blick in die Vergangenheit“ aufgerufen, der deutlich mache, „die Aufarbeitung auch der dunklen Seiten unserer Geschichte ist nicht zu Ende“, so Marx im Rahmen eines Gottesdienstes zum 101-jährigen Bestehen des Landesverbands katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen in Bayern (LVkE), am Dienstag, 15. Juni, in der Münchner Jugendkirche. Mit Blick auf die Geschichte des LVkE sagte der Erzbischof von München und Freising, erst bei einer ungeschönten Betrachtung werde „der Blick frei für das, was an Großartigem geleistet wurde“. Sonst bleibe die Sicht „getrübt und nicht ehrlich und nicht glaubwürdig“.

Am 8. Januar 1920 im Angerkloster München als „Landesverband katholischer Waisenhäuser und verwandter Erziehungsanstalten in Bayern“ gegründet, nimmt der heutige Landesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen in Bayern im Bereich des Deutschen Caritasverbandes die Aufgaben eines Fachverbands für die Erziehungshilfe in katholischer Trägerschaft wahr. Kardinal Marx würdigte die vielfältig gute und wichtige Arbeit in der Geschichte des LVkE. Zugleich unterstrich er mit Blick auf Leid, das Kindern auch in kirchlichen Häusern geschehen sei, „die Aufarbeitung in den einzelnen Einrichtungen, den Blick in die Geschichte – das können wir nicht einfach beiseiteschieben“. 

Statt von einer reinen Erfolgsgeschichte zu erzählen nach dem Motto: „Wir haben geprägt, wir waren stark, wir waren gut“, regte der Erzbischof dazu an, sich bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, „zu erinnern an Jesus von Nazareth, dessen Namen wir tragen". Jesus habe die Heranwachsenden ernstgenommen und auch „die Kinder und Jugendlichen gesehen, die damals am Rande standen“. Marx rief dazu auf, „immer wieder vom Niveau Jesu auszugehen“ und zu jeder Zeit „kritisch auf den Zeitgeist zu schauen – damals und heute“. Provozierend könne man fragen „können wir uns vorstellen, dass Jesus Kinder geprügelt hat? Wohl kaum!", so Marx. „Und doch ist es auch in unseren Einrichtungen geschehen!“.

 Unabhängig von einem sich wandelnden Zeitgeist sei laut Marx richtig, „die Zeit im Licht des Evangeliums zu lesen und zu erkennen, was gut ist“. In diesem Kontext müsse im besten Sinne einer Wechselwirkung zwischen Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft betrachtet werden, „was an neuen Erkenntnissen da ist und was an Möglichkeiten wie auch an Nöten und Herausforderungen“ vorhanden sei.  Mit all dem müsse professionell und zum Besten der Kinder und Jugendlichen umgegangen werden, „immer mit dem Blick Jesu, mit dem Blick vom Evangelium her“, so Marx. (hs)