Marx: „Christen sind aufgerufen, für Freiheit und Würde aller Menschen einzutreten“

Erzbischof warnt am 80. Todestag des Widerstandskämpfers Willi Graf vor Gewalt und Antisemitismus
München, 12. Oktober 2023. Anlässlich des 80. Todestags von Willi Graf, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und Mitglied der „Weißen Rose“, hat Kardinal Reinhard Marx gewarnt vor einem Erstarken menschenfeindlicher Entwicklungen. „Heute ist wieder eine Zeit, wo Bilder von Gewalt, Ideologien und Antisemitismus durch die Medien geistern. Wir sind wieder erschrocken über rechtsextreme und autoritäre Tendenzen in unserer Gesellschaft – in Europa und weltweit“, sagte der Erzbischof von München und Freising. Die Lebenszeugnisse von Menschen wie Graf anzuschauen sei wichtig, um „Tendenzen, die gegen die Menschlichkeit, Menschenwürde und Freiheit verstoßen, klar zu erkennen – mit dem Instinkt des Evangeliums“, sagte Marx am Donnerstag, 12. Oktober, bei einem Gottesdienst zur Todesstunde Willi Grafs in der Münchner Pfarrkirche St. Sylvester. Graf wohnte während seines Studiums der Medizin ab 1942 an der Ludwig-Maximilians-Universität unweit der Kirche und besuchte dort regelmäßig Gottesdienste.
 
Marx wies in seiner Predigt darauf hin, dass nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und nach dem Fall der innerdeutschen Mauer zu hoffen gewesen sei, „dass die Epoche der Freiheit anbricht, die Epoche, in der es besser wird“. Umso besorgniserregender nannte der Kardinal aktuelle Entwicklungen, die dazu führten, „dass wir Sorge haben müssen vor Tendenzen, die vom Empfinden Willi Grafs her abzulehnen sind, die er nicht akzeptiert hätte“. Wenn das Gespür für solche Entwicklungen verloren ginge „in der Kirche oder in der Gemeinschaft der Religionen“, so Marx, „dann ist vieles verloren“. Christinnen und Christen hätten im Glauben die Möglichkeit, innere Freiheit zu gewinnen, und seien zugleich aufgerufen, „für die äußere Freiheit und die Würde aller Menschen einzutreten“. Daran erinnere das Leben des Willi Graf.
 
Willi Graf wurde am 2. Januar 1918 im rheinischen Kuchenheim geboren und engagierte sich früh im katholischen Schülerbund Neudeutschland und in der Liturgischen Bewegung. Ab 1937 studierte er in Bonn Medizin, wurde 1940 als Sanitäter zur Wehrmacht eingezogen und 1942 zur Fortsetzung des Medizinstudiums nach München geschickt. Hier schloss Graf sich der studentischen Gruppe der Weißen Rose an, die in Flugblättern zum Widerstand gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime aufforderte. Am 18. Februar 1943 wurde er, gemeinsam mit seiner Schwester Anneliese, festgenommen, am 19. April zum Tode verurteilt und am 12. Oktober im Gefängnis München-Stadelheim hingerichtet.
 
Aus Anlass des 80. Todestages von Willi Graf fand auf Einladung des Erzbischöflichen Ordinariats München und des Weisse Rose Instituts am 11. und 12. Oktober eine Fachtagung in der Katholischen Akademie in Bayern in München statt. Die Tagung unter dem Leitwort „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung“ sollte einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu Willi Graf geben und wesentlich zum Verständnis des Lebens und Wirkens seiner Person beitragen. Im Jahr 2018 eröffnete das Erzbistum München und Freising aus Anlass des 100. Geburtstags und des 75. Todestags von Willi Graf eine Voruntersuchung, um zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Seligsprechung Grafs besteht. Am Ende der Voruntersuchung steht gegebenenfalls die Eröffnung eines Seligsprechungsprozesses.  (hs)