Marx zu Waffenlieferungen: „Es gibt keine einfachen, keine richtigen und keine nur guten Entscheidungen“

Erinnerung an Ende des Zweiten Weltkriegs vor 77 Jahren / Krieg und Leid in der Ukraine heute
München, 6. Mai 2022. In der aktuellen Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine hat Kardinal Reinhard Marx gefordert, es müsse „auf allen möglichen Wegen versucht werden, die Waffen zum Schweigen zu bringen und zu reden“. Die Spirale der Gewalt und der Eskalation zwinge Europa dazu, über Waffenlieferungen zu entscheiden und damit zunächst das Ziel der Überwindung der Gewalt und des Friedens aufzugeben, so der Erzbischof von München und Freising in einem Radiobeitrag für die Reihe „Zum Sonntag“ des Bayerischen Rundfunks, der am Samstag, 7. Mai, gesendet wird. „Mir ist bewusst, wie schwer diese Entscheidungen für alle in Politik und Diplomatie sind“, so Marx. Sie trügen auch eine moralisch hohe Verantwortung in dieser Dilemma-Situation: „Es gibt keine einfachen, keine richtigen und keine nur guten Entscheidungen.“ Die Option auf ein Schweigen der Waffen und Gespräche dürfe nicht aufgegeben werden, „auch in der Hoffnung auf einen vielleicht noch brüchigen Frieden, der ja kommen muss“.
 
Kardinal Marx erinnert am Vorabend des 8. Mai, der als Jahrestag des Endes des zweiten Weltkriegs in Deutschland erinnert wird, an die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985. Der Tag sei „ein Tag der Erinnerung an menschliches Leid und ein Tag des Gedenkens in Trauer“, zeichnet Marx die Gedanken Weizsäckers nach. „Die nach dem Zweiten Weltkrieg kaum zu erhoffende Versöhnung zwischen den Völkern, die entlarvende Erkenntnis des Nationalsozialismus als menschenverachtende Ideologie und der politische Verzicht auf Gewalt prägen das Gedenken bis heute und haben zugleich das neue europäische Narrativ von Frieden, Freiheit und Menschenwürde wachsen lassen“, sagt Marx. Dieses Narrativ sei mit vielen Erinnerungen, Erfahrungen und Versprechen angefüllt worden und habe sich deshalb durch all die Jahrzehnte tragen können – selbst angesichts des Kalten Krieges und der Grenzen zwischen Ost und West, auch angesichts von Terror, Flucht und Krieg in anderen Teilen der Welt.
 
„Trägt uns diese große Erzählung auch noch in diesen Tagen?“, fragt der Erzbischof von München und Freising und richtet den Blick auf den Krieg und das Leid in der Ukraine: „Wie dieser Krieg traumatisiert und welche Folgen und Zerstörungen er noch schaffen wird, ist gar nicht abzusehen. Die Bilder und Berichte lassen schier das Herz stillstehen“, so Marx. Solidarität, Zuwendung, Hinsehen und auch die öffentliche Aufmerksamkeit seien hingegen „Zeichen von Menschlichkeit“. (glx)