"Wir können den Glauben nicht alleine leben"

Predigt von Kardinal Marx bei der Festakademie anlässlich des Priesterjubiläums Benedikts XVI.
Freising, 18. Juni 2011. Die Gemeinschaft des Gottesvolkes, das Wir der Kirche ist nach Worten von Kardinal Reinhard Marx „der einzige Raum, in dem sich unser Glaube entfalten kann“. Bei einem Pontifikalamt im voll besetzten Freisinger Mariendom, das den feierlichen Abschluss einer Festakademie anlässlich des Diamantenen Priesterjubiläums von Papst Benedikt XVI. bildete, sagte der Erzbischof von München und Freising am Samstag, 18. Juni: „Gott kreist nicht um sich selber, er öffnet sich für den Menschen und für die Welt. Er ist ein Gott der Inklusion, er will uns hineinziehen in seine Wirklichkeit.“ Deswegen sei für den Theologen Joseph Ratzinger die Kirche ein Wir. „Wir können den Glauben nicht alleine leben, wir können nicht alleine Priester sein, wir können die Wahrheit nicht alleine verstehen, wir sind nicht allein“, erklärte Marx.

Der Kardinal erinnerte an das Leitwort des ersten Deutschlandbesuchs Benedikts XVI., „Wer glaubt, ist nicht allein“ – das man wie folgt fortsetzen müsse: „Und wer allein ist, kann nicht glauben.“ Priester sollten deshalb „Zeugen der Liebe und Wahrheit Gottes sein im Wir der Kirche“, so Marx: „So könnte ich mir auch vorstellen, dass der Dienst des Priesters für heute und in der Zukunft wieder an Kontur gewinnt.“ Der Erzbischof bezeichnete in diesem Zusammenhang Mose als Leitbild für jeden Priester. In der Heiligen Schrift heiße es, niemand sei demütiger gewesen als Mose: „Etwas von dem finden wir immer wieder, wenn wir erleben, wie der Heilige Vater Messe feiert, wie er betet. Das Erstaunen, das immer neue Aufschauen, das man bei ihm findet über das Geheimnis Gottes.“ Aufgabe des Priesters sei es auch, sich wie Mose vor Gott zu stellen und dem Herrn zu sagen: „Es ist ein störrisches Volk, aber es ist dein Volk. Auch wenn wir immer wieder sehen, dass Wege gegangen werden, die schwierig sind oder nicht akzeptabel.“

Benedikt XVI. habe in seinen Predigten und in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ immer wieder darauf verwiesen, dass Gott die Liebe sei. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingegeben hat“, sagte Marx: „Gott spricht, Gott ist Kommunikation, er geht auf uns zu.“ Deswegen liege der Dienst des Priesters bei allen pastoralen Herausforderungen und Problemen vor allem darin, „mehr vom Zentrum des Glaubens zu sprechen, von dem Gott, der sich uns schenkt“.

Das Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Liebe habe den Theologen Ratzinger bis in die Gegenwart hinein beschäftigt, auch in seinem Buch „Jesus von Nazareth“, so Marx: „Gott ist die Wahrheit. Die Selbstmitteilung Gottes ist konkret. Sie wird wahr in Gestalt Jesu. Gott ist die Liebe, wir können ihr in seiner konkreten Gestalt nicht ausweichen. Ich muss erkennen, das ich mein Leben nicht einfach so weitergehen kann, wenn ich ihm begegnet bin.“ Diese Wahrheit „kleiner zu machen, sie anzupassen, damit man sich durchwurstelt“, sei nicht die Herangehensweise Benedikts XVI., „und das darf eigentlich auch kein Priester tun“. Es sei eine ständige Suche, erklärte der Kardinal: „Mehr zu verkünden, als wir manchmal selber leben und verstehen können. Nicht nur das verkünden, was ich verstehen kann, sondern das Plus, das Mehr, die größere Wahrheit.“

Der Erzbischof von München und Freising verwies darauf, dass der wichtigste Tag im Gedenken an das Diamantene Priesterjubiläum von Papst Benedikt XVI. wohl der Tag der diözesanen Priesterweihe selbst sei, den die Erzdiözese „hier an dieser Stelle, hier wo er am Boden gelegen hat, wo ihm Kardinal Faulhaber die Hände aufgelegt hat“ am kommenden Samstag, 25. Juni, im Freisinger Mariendom feiert. „Es ist vielleicht das größte Geschenk für den Heiligen Vater, dass an diesem Tag hier in seinem Heimatbistum neun junge Männer zu Priestern geweiht werden“, so Marx.

Der Kardinal sprach dem Papst herzliche Glückwünsche zu dessen 60-jährigem Priesterjubiläum aus. „Bitten wir den Herrn, dass er den Heiligen Vater behüte und begleite und stärke für seinen Dienst, für den wir so dankbar sind. Joseph Ratzinger war, ist und bleibt ein ungeheuer großes Geschenk an die Kirche in den 60 Jahren seines priesterlichen Wirkens.“

Marx dankte in seiner Predigt auch dem Institut Papst Benedikt XVI. für die Ausrichtung der Festakademie auf dem Freisinger Domberg, die der Theologie Ratzingers gewidmet war. Bei der Veranstaltung hatte der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der gemeinsam mit Marx, dem Institut sowie dem Sprecher des Weihekurses von Papst Benedikt XVI., Friedrich Zimmermann, eingeladen hatte, Band 12 der „Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers“ vorgestellt. Der Band ist unter dem Titel „Künder des Wortes und Diener eurer Freude“ erschienen und versammelt Texte zur Theologie und Spiritualität des Weihesakraments. Kardinal Paul Josef Cordes, ehemals Präsident des Päpstlichen Rates "Cor Unum", hatte den Festvortrag „Neue Pastoralkonzepte auf dem Prüfstand. Papst Benedikt zur Theologie des Weihesakramentes“ gehalten. Zudem wurde ein Film gezeigt, für den Bild- und Tondokumente zur Priesterweihe 1951 in Freising zusammengetragen und verschiedene Zeitzeugen befragt wurden, unter anderem der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger, Rupert Berger, ebenfalls 1951 in Freising zum Priester geweiht, langjähriger Pfarrer in Bad Tölz und ehemaliger Professor für Liturgiewissenschaft und Pastoraltheologie, oder Alfred Läpple, zur Studienzeit Ratzingers Dozent für praktische Sakramentaltheologie am Freisinger Priesterseminar. (kel)