Digitalisierung an Schulen - kein Ersatz für echte Gemeinschaft Interview mit Ordinariatsdirektorin Sandra Krump

 
Vor einem Jahr hat Ordinariatsdirektorin Dr. Sandra Krump über die Situation der Schulen in Zeiten von Schulschließungen, Fernunterricht und Digitalisierung geschrieben. In einem Gespräch beurteilt sie nun die weitere Entwicklung und die aktuelle Lage.
 
Jugendliche sitzt vor Laptopbildschirm
"Alle Angebote für kreatives Tun und gerade auch die seelsorglichen Angebote haben eine sehr positive Resonanz erfahren"
 
Frau Dr. Krump, "Schule hat in Zeiten von Corona einen ganz neuen Stellenwert bekommen“, haben Sie vor einem Jahr in einem Artikel der "Münchner Kirchenzeitung" geschrieben. Die Kinder und Jugendlichen haben es während des Lockdowns vermisst, zur Schule zu gehen. Ist dieser neue Stellenwert auch heute noch spürbar?

Sandra Krump:
Ich glaube schon. Wir haben im langen Lockdown und auch nach den Pfingstferien, als die Schülerinnen und Schüler wieder an die Schulen zurückgekommen sind, gemerkt, dass ihnen die Schule wirklich gefehlt hat. Natürlich als Ort, an dem sie Freunde und Freundinnen treffen. Aber auch als Ort, an dem man gemeinsam lernt, sich dabei auch austauscht – auch als Institution, die dem Tag und dem Lernen einen Rahmen und Struktur gibt. Wie notwendig das ist und wie sehr das fehlen kann, ist uns allen durch die Pandemie besonders deutlich geworden.

Inwiefern hat sich Ihr persönlicher Blick auf die Bedeutung der Schule als umfassenden Bildungsraum durch die vergangenen Ausnahmemonate verändert?

Sandra Krump: Ich glaube, dass eine Grundüberzeugung katholischer Bildungsarbeit, die mir selbst auch sehr wichtig ist, durch die Erfahrungen der vergangenen Monate sehr bestätigt worden ist: dass es in der Schule um Bildung und Erziehung geht, dass das ein ganzheitliches Geschehen ist, dass die Schulzeit natürlich Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, dass die Bildung und Entfaltung der Persönlichkeit aber genauso wichtig sind. Wissen kann man sich auch gut selbst aneignen, tieferes Verstehen und Durchdringen von Zusammenhängen gehen allein schon nicht mehr so gut und sich selbst entdecken und entfalten, ist ohne andere gar nicht möglich.
Auf dem Foto sieht man Dr. Sandra Krump. Sie ist Mentoring.
Dr. Sandra Krump
Kann man bereits Schlüsse ziehen, welche Auswirkungen das wochenlange Home-Schooling auf die (Lern-)Entwicklung der jungen Menschen hat?

Sandra Krump: An den Erzbischöflichen Schulen hat der digitale Distanzunterricht sehr gut funktioniert, auch didaktisch vielfältig, so dass die Lernfortschritte bei den Schülerinnen und Schülern unserer Schulen im Allgemeinen recht gut sind. Die Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher an unseren Schulen haben auch mit viel Engagement und Kreativität versucht, den Kindern und Jugendlichen Angebote über das Lernen hinaus zu machen – vom Projekt „Ton to go“ über Video-Anleitungen zum Kochen für die Familie im Homeoffice bis hin zum gemeinsamen Einüben von Tänzen, natürlich online.

Wichtig waren dabei vor allem Möglichkeiten zum kreativen Tun als wichtige Abwechslung zum langen Sitzen vor den PCs. Auch spirituelle Angebote waren sehr gefragt. Wir haben aber auch gesehen, dass der beste Distanzunterricht, die kreativsten Anregungen eines einfach nicht ersetzen können: die echte Gemeinschaft in der Schule.

Und man darf auch nicht vergessen, dass die Kinder und Jugendlichen durch die Corona-Beschränkungen auch privat über lange Zeit nur sehr eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten hatten. Viele haben das einigermaßen verkraftet, für manche war das aber sehr belastend.

Das neue Schuljahr hat gerade erst begonnen. Welche Themen stehen bei Ihnen und in den Schulen gerade ganz oben auf der Agenda?

Sandra Krump: Zum einen geht es jetzt darum, dass alle wieder in einen beständigen Lernrhythmus finden – in der Schule genauso wie bei den Hausaufgaben. Lücken, die entstanden sind, müssen gut und mit pädagogischem Augenmaß geschlossen werden. Aber auch die Ermöglichung von Gemeinschaft ist ein großes Anliegen, das hat allen im vergangenen Schuljahr am meisten gefehlt.

Ich hoffe sehr, dass es gelingt, in diesem Schuljahr den Präsenzunterricht durchzuhalten – ohne die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen zu gefährden. Die staatlichen Vorgaben zum Hygienekonzept zum Schuljahresbeginn sind daher sehr wichtig; auch, dass möglichst viele sich impfen lassen – nicht nur Schülerinnen und Schüler, für die das ab zwölf Jahren möglich ist, sondern auch die Erwachsenen. Wir alle haben es in der Hand, wie sich die Infektionszahlen in den kommenden Wochen entwickeln.

Gerade auch der Schutz der Kinder unter zwölf Jahren, die noch nicht geimpft werden können, liegt mir besonders am Herzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn jeder Erwachsene daran denkt, dass jeder mit seinem Verhalten dazu beitragen kann, dass die Kinder und Jugendlichen ein einigermaßen normales Schuljahr erleben. Dazu kann jede und jeder einen Beitrag leisten!
Hat der erzwungene Distanzunterricht einen Schub in der Digitalisierung bewirkt?

Sandra Krump: Ja, auf jeden Fall! Die Corona-Krise hat in dieser Hinsicht auch etwas Positives bewirkt, gerade an den Schulen. Wir konnten an unseren Schulen schon auf viel Vorarbeit – sowohl bei der Ausstattung als auch beim Unterrichten – zurückgreifen. Und die Lehrkräfte haben wirklich Tolles geleistet bei der Entwicklung von digitalem Unterricht in so kurzer Zeit und mit einer so großen didaktischen Versiertheit. Man hat gemerkt, dass es ihnen ein echtes Anliegen ist, dass die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen auch in dieser schwierigen Situation möglichst gut lernen können.

In Ihrem Artikel vor einem Jahr haben Sie geschrieben, dass der umfassende und vielschichtige Prozess des Lernens nicht durch eine Art digitales Selbststudium ersetzt werden kann. Wie blicken Sie heute auf den Stellenwert des Digitalen?

Sandra Krump: In der Krise konzentriert man sich auf das, was in einer solchen Lage geboten und möglich ist. Ohne digitalen Distanzunterricht hätten die langen Lockdown-Phasen in den zurück liegenden beiden Schuljahren schlicht verheerende Folgen gehabt. Viele Erfahrungen, die damit gemacht wurden, können auch im Präsenzunterricht weiter von Nutzen sein. Mir geht es vor allem darum, dass man das eine nicht gegen das andere ausspielt.

Schon im Medienkonzept, das wir bereits vor der Pandemie für die Erzbischöflichen Schulen entwickelt und herausgegeben haben, ist der Mehrwert ein zentrales Kriterium: Es geht immer darum, bestimmte Bildungsziele zu erreichen – die Wege dazu können analog und digital sein. Entscheidend ist es, die richtige Methode zu wählen, die eben einen Mehrwert beim Erreichen eines Bildungsziels bringt.
Inwiefern können die katholischen Schulen des Erzbistums gegenüber anderen Schulen gerade in dieser schwierigen Zeit besonders punkten?

Sandra Krump: Unsere Schulen waren schon zu Beginn der Pandemie technisch gut ausgestattet, es gab ein Medienkonzept und einen Ausstattungsstandard, sodass wir auf dieser Basis sehr schnell und sehr gut noch das nachrüsten konnten, was für einen guten digitalen Distanzunterricht erforderlich war. Wir haben durch diese gute Vorarbeit sehr von den staatlichen Fördergeldern profitieren können. Auch die schon begonnene intensive Auseinandersetzung mit den Fragen des Lehrens und Lernens in der digitalen Welt war sehr hilfreich. Die Schulleitungen haben sehr viele Zuschriften von Eltern, sogar von Großeltern bekommen, die sich herzlich bedankt haben, dass der Distanzunterricht so gut funktioniert.

Besonders geschätzt haben alle aber auch das „Darüber-hinaus“: Alle Angebote für kreatives Tun und gerade auch die seelsorglichen Angebote haben eine sehr positive Resonanz erfahren. Die kurzen Videos, die der Schulseelsorger Domvikar Manfred Maurer auf der Homepage der Erzbischöflichen Pater-Rupert-Mayer-Schulen in diesen Phasen eingestellt hat, haben eine ganz große Resonanz ausgelöst und sind vielfach, weit über den direkten Umkreis der Schule hinaus, geteilt worden, ganze Familien haben diese Videos angeschaut und auch in Mails darauf reagiert.

Einen „Kraftakt“ für alle Beteiligten nannten Sie die Ausnahmesituation der Schule vor einem Jahr. Glauben Sie, die Schulen gehen gestärkt oder geschwächt aus diesem Kraftakt hervor?

Sandra Krump: Ich glaube, dass man aus jeder Krise, die man gemeistert hat, letztlich gestärkt hervorgeht. Menschen erinnern sich ganz besonders an das, was sie in Krisenzeiten erlebt und erfahren haben – im Guten wie im Schlechten. Schon allein deshalb ist die Corona-Pandemie für die katholischen Schulen eine sehr herausfordernde Zeit, aber ebenso eine Zeit, in der das, was katholische Schulen in ihrem Anspruch und in ihrem Wirken kennzeichnet, besonders zur Geltung kommen kann: ihr Anspruch einer umfassenden Bildung und einer Zuwendung zu den Kindern und Jugendlichen aus dem Glauben heraus. Das ist nach meiner Wahrnehmung den Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sehr gut gelungen.
Text: Katharina Zöpfl, "Münchner Kirchenzeitung", Oktober 2021