Ankunft bei der Panoramakapelle in Törwang
Online-Redaktion: Herr Maier, wie kommen Motorrad und Seelsorge zusammen?
Jörg Maier: Es heißt: „Vier Räder bewegen den Körper, zwei Räder bewegen die Seele.“ Das würde jede Motorradfahrerin und jeder Motorradfahrer sofort unterschreiben. Der Sinn, mit dem Motorrad irgendwo hinzufahren, ist die Fahrt dorthin. Kein Mensch braucht ein Motorrad – ein Motorrad hat man, weil man es will. Es ist kein Mittel zum Zweck, sondern man fährt es ausschließlich um seiner selbst willen. Motorradfahren gehört nur einem selbst und zwingt einen in den Augenblick hinein. Man erlebt die Landschaft mit allen Sinnen, liegt in den Kurven, riecht das Sägewerk und die gemähten Wiesen, spürt das Bergauf und das Bergab und wie im schattigen Wald die Temperatur sofort absinkt. Man ist eins mit der Umgebung.
Und genau das möchte man ja auch mit einer Meditation anstreben, das Leben im Hier und Jetzt. Das ist die erste Stufe dessen, was wir theologisch Transzendenzerfahrung nennen. Das ist die Basis, an der ich ansetzen und von der aus ich mit der Motorradseelsorge noch einen Schritt weiter gehen möchte.
Im Vordergrund auf dem Motorrad fahren die Tourguides Jörg Maier und Pilgerbegleiterin Birgit Mooslechner
Online-Redaktion: Wie kamen Sie konkret auf die Idee der Motorradseelsorge als Angebot der Männerseelsorge in der Erzdiözese?
Jörg Maier: Es gab zum Saisonstart im März und zum Saisonende im November jeweils Gottesdienste, die von Pastoralreferenten und Pfarrern, die selbst eine Affinität zum Motorradfahren besitzen, gefeiert wurden – und das war’s. Wir fanden, dass man Seelsorge aber nicht nur auf Liturgie beschränken sollte. Die Seelsorge wirkt ja insbesondere, wenn man auch zwischendurch Kontakte zur Zielgruppe hat. Also haben wir uns entschlossen, diese Lücke zu füllen.
Ich habe mich dann ein wenig erkundigt und herausgefunden, dass es die meisten Motorradzulassungen in Bayern gibt, mit München als Zentrum. Eine hier ansässige Firma hat zum Beispiel im vergangenen Jahr einen Rekord in der Firmengeschichte aufgestellt. Das Potential einer großen Zielgruppe, der wir unsere Angebote machen können, lag also auf der Hand. Bis jetzt hat die Seelsorge die Motorradfahrerinnen und -fahrer schlicht nicht erfasst – und in den Sonntagsgottesdienst kommen die auch nicht. Wenn das Wetter schön ist, sind sie auf der Straße. Und bei schlechtem Wetter schraubt man.
Ein Beispiel, das ich selbst erlebt habe: Ich war bei einem Mann, der Motorradteile verkaufte. Als ich ihn fragte, warum er sich davon trennt, sagte er mir, dass er keine Freude mehr am Fahren habe. Oha! Da wurde ich natürlich hellhörig. Und aus zehn wurden 90 Minuten. Es stellte sich raus, dass sein Sohn zwei Jahre zuvor bei einem Motorradunfall tödlich verunglückt war. Dieser Mann tauchte auch nicht in der Kirche auf. Aber als Motorradfahrer hatte ich sofort einen ganz anderen Zugang, eine ganz andere, eigentümliche Gesprächsebene. Da pendelt man zwischen dem seelsorglichen Anteil und Passagen über Technik, Bremsen, Straßenbelag. Am Ende gab er mir die Hand und meinte: „Gutes Gespräch!“
Es geht hier und gerade hier auch ohne klassischen Rahmen, bei dem man sich im Stuhlkreis gegenüber sitzt und mit sonorer Stimme Betroffenheitslyrik austauscht.
Online-Redaktion: Haben Sie den Bedarf für solch einen Austausch allgemein wahrgenommen? Sind zum Beispiel die Motorradgottesdienste gut besucht?
Jörg Maier: Das sind sie. Dabei geht es aber auch nicht nur um die reinen Gottesdienste, sondern es gibt auch Zeit für das Miteinander davor und danach, bei dem natürlich das gemeinsame Interesse verbindet – man fachsimpelt über die Technik, ist sowieso von vornherein per du. Im Sommer wird dann noch die Biergartengarnitur rausgeholt und gegrillt. Ein großes Happening mit einem Gemeinschaftsgefühl unter Gleichgesinnten.
Geistlicher Impuls mit Birgit Mooslechner bei der Panoramakapelle in Törwang
Online-Redaktion: Wie haben Sie die Idee der Motorradseelsorge etabliert?
Jörg Maier: Interessant war, dass egal, wem ich davon erzählt habe – Vorgesetzte, Kollegen und andere –, alle begeistert waren, selbst die, die mit Motorradfahren nichts am Hut haben. Ich habe offene Türen eingerannt.
Als erste Idee kam mir das Motorradpilgern. Pilgern ist hervorragend, Motorradfahren ist hervorragend. Das erste Angebot „Love and Bike“, das ich zusammen mit meiner Kollegin und Pilgerbegleiterin Birgit Mooslechner veröffentlicht habe, war nach vier Wochen ausgebucht. Das haben wir zusammen mit dem Fachreferat Pilgern und der Familienpastoral als ein Angebot für Paare organisiert: Es geht darum, die verschiedenen Phasen einer Paarbeziehung mit den Stationen einer eintägigen Motorradreise zu verbinden.
Es gibt den Spruch „Who rides together, stays together“. Mitte Juli sind wir also in einer Gruppe von sechs Motorrädern und fünf Paaren durch das Voralpenland gefahren und haben außergewöhnliche Menschen besucht, darunter den letzten Einsiedler Bayerns. Wir hatten ein Fahrerlebnis, das die Basis für unsere Art von Spiritualität bildet. Das haben wir mit Reflexion und Geistlichem verbunden.
Die Strecke war dabei in verschiedene Stationen aufgeteilt, die auf Themen Bezug nahmen, die in einer Paarbeziehung eine Rolle spielen. Eines war zum Beispiel die eigene Psychohygiene: Geht man mit sich selbst nicht gut um, schlägt das auf die Paarbeziehung durch. Genau das gilt es zu vermeiden. Dazu konnte auch der Einsiedler etwas beitragen, denn man hält ein Einsiedlerleben nicht lange durch, wenn man nicht mit sich selbst klarkommt.
Ein anderes Thema lautete Konflikte und Stressbelastung. Da hatten wir eine 10 Kilometer lange Strecke ausgesucht, die Stress provozierte. Und es ging darum zu schauen, ob man aus dem so entstandenen Druck etwas für die Paarbeziehung lernen kann. Aber natürlich hatten wir auch ein Feierelement dabei – wir endeten an einem Biergarten und einer Brauerei.
Gespräch mit Bruder Damian, den letzten Einsiedler Bayerns am Samerberg, zum Thema Spiritualität und wie man mit sich selbst ins Reine kommt
Online-Redaktion: Sechs Motorräder klingt nach nicht viel…
Jörg Maier: Im Gegenteil, das ist schon die Grenze. Wenn die Gruppe größer ist – sagen wir mal zehn Motorräder – reicht schon eine rote Ampel und man ist auseinander gerissen. Die vorderen sind genervt, wenn sie warten müssen, die hinteren machen sich Sorgen, ob die vorne warten, und haben eventuell den Druck aufzuschließen. Das sorgt nur für Reibereien und unangenehme Gefühle.
Wir möchten maßgeschneiderte Angebote machen. Dazu müssen wir die Zielgruppe genau definieren. Je mehr wir auf Masse gehen, desto oberflächlicher würde unser Angebot werden. Genau das wollen wir nicht. Sowohl was die Seelsorge als auch den Sicherheitsaspekt betrifft, machen wir ein qualitätsvolles Angebot. Ich hoffe, dass die Angebote gut angenommen werden und wir sie dann sukzessive ausbauen können.
Biker-Segen mit Kurat Hans Schweiger in Birkenstein
Online-Redaktion: Was planen Sie noch?
Jörg Maier: Im September geht es zum Dankgottesdienst nach Altötting, mit Bikern aus allen Gegenden – ein schöner Sonntagsausflug mit anschließendem gemeinsamen Essen.
Kommendes Jahr werden wir mit „There Will Be Blood“ dann etwas größer und wollen drei Tage lang unterwegs sein. Da suchen wir fahrtechnisch interessante Orte auf, die zugleich geistlich etwas Kurioses bieten, nach dem Motto: „Ach, so was gibt es auch im Christentum?“ Und da gibt es eine ganze Menge. Wir werden unter anderem einen Wallfahrtsort mit einer Blutlegende ansteuern, wo wir etwas darüber erfahren, was überhaupt eine Blutlegende ist, und über die Bedeutung des Blutes in der Kulturgeschichte. Siehe das Alte Testament: „Blut ist Leben.“ Und im Neuen Testament: „Das ist mein Blut, das für euch hingegeben wird.“ So etwas wie das Blutopfer scheint ja beim Menschen etwas anzustoßen, denn ansonsten würde es ja nicht über Jahrtausende überliefert worden sein.
Männerseelsorge
Schrammerstraße 3
80333 München
maennerseelsorge(at)eomuc.de
Fachbereichsleiter:
Bernhard Zottmann
Wolfgang Tutsch
Master Mental Health,
Dipl.-Sozialpädagoge,
Referent des Fachbereichs
wtutsch(at)eomuc.de
Aida Sporrer
Sekretärin
asporrer(at)eomuc.de