Florian Meidinger hat sechs Wochen lang ein Praktikum bei der Obdachlosenseelsorge in Sankt Bonifaz in München absolviert. Wie ihn die Zeit geprägt hat und welche Anstöße die Begegnung mit den Wohnungslosen ihm sogar für seinen weiteren Lebensweg gegeben hat, erzählt der Student im Interview.
Florian Meidinger bei der Essensausgabe in Sankt Bonfifaz
Herr Meidinger, wie sind Sie für Ihr Praktikum auf die Einrichtung Sankt Bonifaz gekommen?
Florian Meidinger: Ich habe Anfang letzten Jahres bei Obdachlosenseelsorger Norbert Trischer Straßenexerzitien gemacht und hatte dort den ersten Kontakt mit Obdachlosigkeit. Bei Sant' Egidio habe ich einen Tag in der Essensaufgabe mitgeholfen und wollte dann dort ein Praktikum machen. Das hat nicht geklappt, weil es keine Vollzeitstelle für mich gab. Dann hatte Norbert Trischer die Idee, bei Sankt Bonifaz anzufragen.
Was machen Sie im „normalen Leben“?
Florian Meidinger: Ich studiere Katholische Theologie und mache studienbegleitend die Ausbildung zum Pastoralreferenten.
Welche Stationen haben Sie bei Sankt Bonifaz durchlaufen?
Florian Meidinger: Ich war an der Essensausgabe, in der Kleiderkammer, an der Infothek und bei der Sozialberatung. Bei der Sozialberatung und an der Infothek ist man am meisten ins Gespräch gekommen. Das war das Schöne. Bei der Essensausgabe machst du das eher im Akkord und sagst "Hallo!" und "Tschüss!" – für viel mehr bleibt keine Zeit.
Florian Meidinger in der Kleiderkammer
Inwiefern liegt Ihnen die Obdachlosenarbeit besonders am Herzen?
Florian Meidinger: Mir hat das wahnsinnig viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Mir hat eine Schwester in der Kleiderkammer gesagt, das ist wie Straßenexerzitien – bloß Hardcore und sechs Wochen lang.
Was gibt Ihnen diese Arbeit ganz persönlich?
Florian Meidinger: Es hat angefangen damit, eine gewisse Dankbarkeit zu spüren, dass ich ein Dach über dem Kopf habe. Dass ich weiß, dass ich jederzeit duschen kann und zwar länger als 20 Minuten. Dass ich einfach Essen habe, wenn ich den Kühlschrank aufmache, und nicht nur, wenn ich hier anstehe. Und natürlich einen Schlafplatz, der nicht nass und nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft ist.
Ich bin mit zwei Vorsätzen reingestartet: Zum einen Barmherzigkeit und Nächstenliebe üben und zum anderen – das hatte ich auch schon von Norbert Trischler mitbekommen – Gottes geliebtes Geschöpf in den Obdachlosen zu sehen, gerade auch dann, wenn man wieder diskutieren muss. Trotz Auseinandersetzung das geliebte Geschöpf sehen.
Letzen Endes kam der Gedanke, auch Christus in den Obdachlosen zu sehen, als leidenden Christus. Mir kamen dann Gedanken wie „So wahnsinnig viel brauche ich gar nicht zum Zufriedensein“. Was ich auch beobachte: Mein Kleidungsstil hat sich immer mehr reduziert. Ich bin hier angekommen mit weißen Sneakers – wie der typische Theologie-Student. Bei mir hängt das auch zusammen mit einer franziskanischen Spiritualität. Ich habe mich auseinander gesetzt, was da das Armutsideal ist. Ich habe dann irgendwann angefangen, Sandalen zu tragen als Zeichen dafür, dass es arme Menschen gibt, die es sich nicht aussuchen können.
Angestoßen durch die Arbeit mit Obdachlosen habe ich mich darüber hinaus ganz persönlich gefragt, wohin mein Leben zukünftig gehen soll – ob nun in einen Orden oder in Richtung Familie und die Arbeit als Pastoralreferent. Die Reduktion auf das Wesentliche ließ für diese Überlegungen auch Platz. Wenn mich Besitz nicht unbedingt erfüllt, muss ich mir etwas Anderes suchen.
Ärzte und medizinische Fachkräfte behandeln heute über 5.000 Menschen im Jahr in der Arztpraxis von Sankt Bonifaz
Möchten Sie beruflich in diese Richtung gehen?
Florian Meidinger: Seelsorge ist das, was ich auf jeden Fall machen will. Ich muss jetzt schauen, wo das am besten geht.
Gab es ein Erlebnis, das Sie besonders berührt hat?
Florian Meidinger: Ein positiver Moment: Mir hat an der Infothek ein junger Mann erzählt, dass er jetzt eine Arbeit gefunden hat. Zu sehen, da geht es jetzt aufwärts und zurück in ein normales Leben. Ein zweiter positiver Moment war relativ klein. Wenn sie aus der Dusche kommen, gehen die Menschen an der Kleiderkammer vorbei. Da habe ich an den ersten Tagen gemerkt, wie die Menschen hier wieder rausgehen mit frisch gewaschenen Haaren, sauberen Kleidern, nicht zerlumpt. Da habe ich das schillernde Licht in den Haaren gesehen. Da habe ich gesehen, was die Würde des Menschen ausmacht.
Ein Kollege hat mir erzählt, dass er jemanden kennen gelernt hat, der mehrfach auf der Straße gelebt und immer wieder gedacht hat, es ginge jetzt wieder aufwärts, und am Ende die Diagnose Darmkrebs bekommen hat. Mir blieb hängen: Jetzt ist er in einer fremden Stadt und stirbt einsam an Darmkrebs auf der Parkbank irgendwo. Er ist zu uns gekommen und wollte noch einmal menschliche Wärme spüren. Was das bedeutet, alleine auf der Straße zu leben, hat mir diese Geschichte am eindrücklichsten gezeigt.
Merken Sie, dass sich die Problematik in München verschärft?
Florian Meidinger: Das bekomme ich hauptsächlich aus Erzählungen mit: Vor Corona konnten sich die Menschen hier länger aufhalten, heute schleusen wir jeden Tag 600 Leute durch, die es auch dringend brauchen. Es gab 9.000 vor Corona und jetzt 11.000 Leute. 600 von 11.000 sind immer noch relativ wenig, aber die Hilfe wird dringend gebraucht.
Was würden Sie sich von politischer Seite wünschen, um diese Situation zu entschärfen?
Florian Meidinger: Es gibt viele Hilfen von katholischer oder evangelischer Seite, dann noch von privater Seite, aber von staatlicher Seite ziemlich wenig. Sich darauf zu verlassen, dass die Kirche das dann schon macht, ist der Wahnsinn. Es muss von Seiten der Stadt München mehr gemacht werden.
Praktikant Florian Meidinger und Prior Frater Emmanuel Rother
Was zeichnet St. Bonifaz aus?
Florian Meidinger: Die extreme Niedrigschwelligkeit. Wir stehen hier nicht und verlangen einen Gehaltnachweis oder einen Sozialhilfenachweis, sondern Menschen können sich hier einfach anstellen und sagen, was sie möchten, und kommen hier rein. Wir vertrauen darauf, dass sich hier nicht der Millionär einreiht, und dadurch begegnet man eben nur dem Menschen. Nicht dem Sozialfall oder dem Bescheid Nr. xxx, sondern einfach dem Menschen, wie er uns gegenüber steht. Hier ist das immer wieder motiviert durch das christliche Menschenbild.
Würden Sie jedem ein solches Praktikum empfehlen?
Florian Meidinger: Ich hätte auch ein Praktikum im Seniorenheim machen können, aber ich merke, hier beschäftigt einen das mehr, weil es eines der schwierigsten sozialen Milieus ist, in dem man arbeiten kann. Es ist eine Berührung mit einer Welt, die man nicht kennt.
Was werden Sie nach Ihrer Zeit hier am meisten vermissen?
Florian Meidinger: Hauptsächlich werde ich einige unserer Gäste und einige aus dem Team vermissen. Bei manchen Gästen werde ich mich schon ab und zu fragen, was aus ihnen wurde. Ich habe einige sechs Wochen begleitet und werde, von eventuellen zufälligen Begegnungen auf der Straße abgesehen, erstmal nicht mehr erfahren, wie es ihnen geht. Und eigentlich sogar die einfache Frage, so hart das klingt, ob sie überhaupt noch leben.
St. Bonifaz
Karlstraße 34
80333 München
St-Bonifaz.Muenchen(at)ebmuc.de
P. Lukas Essendorfer OSB, Pfarradministrator
Abt Dr. Johannes Eckert, Seelsorgemithilfe
P. Ulrich Rothacker OSB, Seelsorgemithilfe
Paul Hölzl, Diakon mit Zivilberuf
Zentralkolpinghaus: Hauskapelle