Neben solch positiven Erlebnissen wie in den Gottesdiensten – zehrt die Auseinandersetzung mit einer unheilbaren Krankheit auch an den Seelsorgenden und Ihnen persönlich?
Maria Kotulek: Die Arbeit ist schön und schwierig zugleich. Man muss da eine gute Balance für sich finden. Ich händele das, indem ich in meiner Freizeit ganz andere Dinge tue. Ich würde zum Beispiel nicht ins Kino gehen, um mir einen Film über Demenz anzuschauen. Und ein Anliegen ist es, genau das auch den Angehörigen zu vermitteln, sich Freiräume zu schaffen, seien sie auch noch so klein. Eine Zeit zu haben, in der sie sagen können, dass sie allein ihnen gehört.
Was steckt hinter dem Projekt „Gemeinsam unterwegs“?
Maria Kotulek: Hier handelt es sich um eine Kooperation mit der Caritas, die ich ins Leben gerufen habe. Wenn jemand mit vielen Fragen zum Demenzsyndrom und rechtlichen Hintergründen zu einem Seelsorgenden kommt, kann dieser an die Beratungsstellen der Caritas weiter verweisen – und umgekehrt genauso. Wenn die Kolleginnen und Kollegen der Caritas bemerken, dass ein seelsorglicher Bedarf besteht, leiten sie die Fragesteller an die Seelsorge weiter.
Im Rahmen dieser Aktion habe ich mehrere Handreichungen entwickelt, zum Beispiel „Menschen mit Demenz“ begleiten. Das ist ein kleiner Besuchsdienst-Flyer, in dem Hinweise zur Kommunikation mit Menschen mit Demenz festgehalten sind. Es gibt einen Gottesdienst-Flyer mit Basis-Informationen für Seelsorgende, die wenig Erfahrung mit Demenzbetroffenen haben und ab und an Gottesdienste in Altenheimen feiern. Dann haben wir ein Leporello „Demenz für Anfänger“ mit Basisinformationen herausgebracht, die auch in den Caritas-Zentren und Pfarreien ausliegen. Ein Gedanke hinter diesen Info-Materialien war, dass wenn zum Beispiel eine Pfarrsekretärin erkennt, dass jemand vom Thema Demenz betroffen ist, der sich überhaupt nicht damit auskennt, sie hier schon einmal schnell mit diesen Informationen weiterhelfen kann.
Welche Aufgaben hat die Fachgruppe Demenz?
Maria Kotulek: Im Ressort Seelsorge gibt es verschiedene Fachgruppen zu unterschiedlichen Themenfeldern, darunter eine zur Demenz. Dort sind Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Bereichen wie der Seniorenpastoral, der Klinikseelsorge und der Pfarreiseelsorge versammelt. Je nach Thema holen wir uns auch weitere Expertise dazu oder arbeiten ökumenisch. Ihre Aufgabe ist es, aktuelle Themen rund um Demenz zu bedenken, Ideen für eine adäquate Seelsorge zu entwickeln und in die Seelsorgearbeit zu implementieren.
„Wenn alles dich vergisst, und du dich vergisst – ich vergesse dich nicht“ lautet ein Motto ihrer Fachstelle. Welcher spirituelle Teil speist Ihr Engagement?
Maria Kotulek: Seit Beginn meiner Seelsorgetätigkeit trieb mich Markus 3,3 an: Dort stellt Jesus am Sabbat, dem Tag Gottes, den Menschen in die Mitte. Ich glaube, das ist Aufgabe von Seelsorge: den Menschen in die Mitte zu stellen – vollkommen gleich, ob alt oder jung, egal ob krank oder gesund. Wir haben eine Botschaft, die lebensförderlich ist und die Kraft spenden will, und diese möchte ich den Menschen weitergeben. Das ist ein großes Anliegen von mir, das scheint auch im IKS-Kurs sehr durch. Dort arbeiten wir mit Ritualen, die den Menschen gut tun sollen. Das ist ein Spezifikum unseres Angebots, dass wir stark auf das Religiöse und Spirituelle als Ressource aufbauen.
Was hat es mit Ihrer App auf sich?
Maria Kotulek: Eineinhalb Jahre haben wir ökumenisch an der
App „Demenz-Guide“ gearbeitet, mit der wir verschiedene Altersschichten erreichen möchten, also auch den Enkel, der die Großmutter im Heim besucht. Uns ist es wichtig gewesen, das ökumenisch aufzusetzen, denn es macht hier keinen Unterschied, ob man evangelisch oder katholisch ist, und es ist immer gut, wenn man die Kräfte bündelt.
Die App ist in drei Bereiche aufgeteilt. In der Rubrik „Wissen“ sind Verhaltenstipps, Tipps zum Gestalten von Begegnungen und Kurzinformationen zum Demenzsyndrom versammelt. Dann haben wir die Rubrik „Auszeit“, die sozusagen der Resilienzbereich ist. Da gibt es die „Idee das Tages“, die jeden Tag wechselt. Da steht dann zum Beispiel: Gönnen Sie sich mal dieses oder jenes! Und die „Denkanstöße“ und „Geteiltes Leid“. Die dritte Rubrik heißt „Zuspruch“ mit einem Bereich „Trost der Bibel“, mit „Humor“ und mit allgemeinen Zitaten. Die App ist seit dem 1. Februar 2022 verfügbar.
Ich freue mich auch sehr, dass unsere Ausstellung „… weil du mich berührst“ im kommenden Jahr anlässlich der Eröffnung der ökumenischen „Woche für das Leben“ in Leipzig zu sehen sein wird. Mit dieser Ausstellung wollte ich 2018 das Thema der Situation der Angehörigen in die Gesellschaft tragen. Es gab viele Ausstellungen zur Demenz, aber keine zur Situation der Angehörigen, die mir als hochgradig belastete Gruppe sehr am Herzen liegt. Mit der Künstlerin Karolin Bräg haben wir großes Glück gehabt. Sie ist sehr sensibel mit den Angehörigen ins Gespräch gegangen, und daraus ist etwas Wunderbares entstanden.