"Mehr als schöne Dinge zeigen" Direktor Dr. Christoph Kürzeder über die Wiedereröffnung des Freisinger Diözesanmuseums

Seit Juli 2013 war das Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg geschlossen, weil es grundlegende Brandschutzauflagen nicht mehr erfüllte. Die Erzdiözese München und Freising entschloss sich deshalb zu einer Generalsanierung und einem Umbau entsprechend den Anforderungen eines modernen Museumsbetriebs inklusive Museumspädagogik und Gastronomie. Am 2. Oktober wird das Haus mit einer neu konzipierten Dauer- und einer Sonderausstellung wiedereröffnet. Ein Interview mit dem Direktor des Diözesanmuseums, Dr. Christoph Kürzeder
 
Dr. Christoph Kürzeder bei der Führung durch das Diözesanmuseum
Dr. Christoph Kürzeder bei der Führung durch das Diözesanmuseum
 
Herr Dr. Kürzeder, Sie waren über neun Jahre ein Museumsdirektor ohne eigenes Museum, haben viele Ausstellungen in anderen Häusern gezeigt. An was müssen Sie sich denn jetzt erst wieder gewöhnen?

Christoph Kürzeder: Zum Eingewöhnen wird nicht viel Zeit sein. Wir bekommen das Haus jetzt übergeben und alles muss sofort funktionieren, weil wir ja gleich in den Vollbetrieb mit Dauer- und Sonderausstellung gehen. In den vergangenen neun Jahren sind wir durch viele Gastspiele in anderen Museen und unser Quartier im Kloster Beuerberg aber immer in Übung geblieben und haben ganz normalen Museumsalltag gelebt. Natürlich beziehen wir jetzt ein neues Haus, mit einer hochkomplexen Technik. Die haben wir uns gewünscht und müssen wir jetzt genau kennen und nutzen lernen.
 

Bilder vom Festakt zur Wiedereröffnung des Diözesanmuseums

 

Diözesanmuseum
Blick in die Ausstellung
Auf ihrer Website laden Sie zur Wiedereröffnung unter dem Motto ein: „Wie immer. Nur neu“. Das klingt so, als hätte sich das Haus nicht verändert, als ob der alte Zustand erhalten worden wäre.

Kürzeder: Das Wort „neu“ ist schon entscheidend. Wir haben jetzt ein Museum auf dem aktuellsten Stand, etwa bei der Klimatechnik oder beim Brandschutz. Das werden und sollen die Besucherinnen und Besucher nicht sehen, war jedoch ein gewichtiger und zeitintensiver Teil der Gesamtsanierung. Das Gebäude hat aber auch eine Ausstrahlung und Würde zurückbekommen, die es durch verschiedene Umbauten so nicht mehr hatte. Das ausführende Architektenbüro Brückner & Brückner hat dem Umbau das Motto „geöffnete Wände“ gegeben. Das fängt bei den Arkaden an der Fassade im Erdgeschoss und im ersten Stock an, die das frühere Fensterschema aufbrechen und das Haus heller machen.

Das entspricht dem Ursprungsplan des Architekten Matthias Berger, der 1870 ein neoklassizistisches Gebäude entworfen hat. Er war übrigens ein Schüler von Friedrich von Gärtner, der in München unter anderem St. Ludwig oder die Bayerische Staatsbibliothek in der Ludwigsstraße mit erbaut hat. Der Plan der geöffneten Wände zieht sich aber auch im Inneren weiter: Brückner & Brückner haben großzügige Durchblicke in und zwischen den Ausstellungsräumen geschaffen. Das Haus ist transparent geworden und öffnet sich zur Umgebung. Es gibt jetzt klare Sichtachsen zum Dom, zur Stadt, zur Landschaft, die ausdrücken, dass unser Haus damit in Verbindung steht und aufnimmt, was von dort kommt und gekommen ist.

Dieser Transparenz entspricht auch das Vermittlungskonzept unseres Museums, das für alle offen sein soll. Das heißt, dass wir nicht nur für eine bestimmte Gruppierung, etwa Menschen mit katholischem Hintergrund oder bildungsbürgerlichem Anspruch da sein wollen – für diese natürlich auch, aber allein das Gebäude drückt aus, dass wir einen ganz weitgespannten Dialog anbieten, zu dem wir jede und jeden willkommen heißen.
 
Diözesanmuseum
Pietà im Diözesanmuseum
Viele Museen präsentieren ihre Sammlungen neu, bringen bekannte und altvertraute Werke ins Depot, nicht immer zur Freude des Publikums. Erwartet die Besucher im Diözesanmuseum auch ein neues Ausstellungskonzept oder wird die Sammlung wie vor neun Jahren präsentiert?

Kürzeder:
Wir haben die klassische Präsentation, die sich nach Epochen – wie Romanik, Gotik oder Barock – gliedert, aufgebrochen, weil sich eine solche Darbietung vor allem an das schon kunsthistorisch vorgebildete Museumspublikum wendet. Wir stellen in unserer Schausammlung die Geschichte, das Leben und die Wirkung der beiden wichtigsten Figuren für das Christentum dar: Jesus und Maria. An ihnen zeigt sich ja, was Menschsein ist. Hier erleben wir das Wunder der Geburt oder sind mit entscheidenden Fragen konfrontiert: Welche Erwartungen und Aufgaben stellt dieses Leben an mich? Wie finde ich einen Weg durch diese Welt, durch ihr Leid und den Tod – und auch einen Sinn, obwohl schon in der Weihnachtsgeschichte vom grausam und sinnlos erscheinenden Kindermord in Bethlehem berichtet wird? Da ergeben sich grundlegende menschliche Fragen nach Schuld, Sünde, Hoffnung und Erlösung, die wir anhand unserer Sammlung für und mit den Menschen stellen wollen.
 
Generalvikar Christoph Klingan spricht zur Wiedereröffnung des Diözesanmuseums
Generalvikar Christoph Klingan spricht zur Wiedereröffnung des Diözesanmuseums
Die einzelnen Werke sollen nicht nur herausragende Beispiele einer Kunstepoche sein, sondern in einen persönlichen Dialog mit den Besucherinnen und Besuchern und ihrer Lebenswelt treten. Nehmen wir die Figur des Heiligen Leonhard auf einem unserer barocken Votivbilder mit einem Pferd oder einer Kuh, einem Heiligen, der vor Seuchen beschützen soll. Das ist in Zeiten der Massentierhaltung mit reichlichem Antibiotikaeinsatz weit weg oder wird nur als drollig oder nett empfunden. Aber der Heilige stellt doch auch eine große Demut vor dem Leben und seiner Unverfügbarkeit dar, die wir Menschen trotz Gentechnik eben nicht in der Hand haben. Darüber kann diese Leonhard-Figur allen Besucherinnen und Besuchern etwas erzählen, wenn wir es als Museum vermitteln und nicht so tun, als ob unser Haus entrückt auf dem Freisinger Domberg steht, ein Schatzkästlein, eine heile Welt, die von der Gegenwart abgekoppelt ist.

Als kirchliches Museum stellen wir gleichzeitig die Frage, welche Lebensrelevanz die Religion heute noch besitzt, ob sie Menschen von heute noch etwas zu geben hat. Wir möchten unser Publikum dazu anstoßen, für sich eine Antwort zu finden, wir setzen sie nicht vor. Das Haus ist nicht nur da, um schöne Dinge zu zeigen, dann bräuchten wir es nicht. Und ich bin dankbar dafür, dass die Erzdiözese München und Freising den Mut hat, ein Museum mit diesem Konzept zu finanzieren.
 
Blutreliquie
Blutreliquie des Heiligen Januarius
Dazu passt die Sonderausstellung zur Wiedereröffnung: „Tanz auf dem Vulkan. Leben und Glauben im Schatten des Vesuv“.

Kürzeder: In Neapel leben die Menschen mit einer ständigen Bedrohung, es ist eine der seismisch aktivsten Regionen der Welt. Als vor 2000 Jahren der Vesuv unerwartet ausbrach, wurde eine hochstehende Kultur, ein riesiger Luxus und ein immenses Kapital von einem Moment zum anderen vernichtet. Tausende Menschen haben ihr Leben verloren. Diese geschichtliche Erinnerung ist nach wie vor da. Und leben wir nicht in einer ähnlichen Angst, auch wenn kein Vulkan in der Nähe ist, aber dafür ein furchtbarer Krieg, wie wir ihn uns in unserer Zeit und in so großer Nähe kaum hätten vorstellen können, samt einem militärisch umkämpften Atomkraftwerk, oder wenn die Klimaveränderung uns existentiell bedroht?

Wir präsentieren zum einen Stücke aus Herculaneum und Pompeji, einer Zivilisation, die unter Lava und Asche versunken ist. Wir zeigen aber auch, wie die Menschen sich einen übernatürlichen Beistand bei ihrer Angst vor einer erneuten Katastrophe suchen. Die Neapolitaner wenden sich seit vielen Generationen an den Stadtpatron San Gennaro, den Heiligen Januarius. Dessen Blutreliquie verflüssigt sich Jahr für Jahr. Geschieht das nicht, ist ein Unheil für die Stadt zu erwarten. Was immer jemand davon halten mag, vielen Menschen in dieser bedrohten Region gibt das Orientierung, und sie geben ihrem Glauben einen kultischen Ausdruck mit Messen und Prozessionen.

Wir haben aus dem ungeheuer reichen Kirchenschatz von San Gennaro zahlreiche Leihgaben sowie Prozessionsfiguren bekommen, die diese Spannung zwischen natürlicher Bedrohung und Suche nach „übernatürlichem“ Schutz deutlich machen. Dass wir zusätzlich ein Originalgemälde von Caravaggio präsentieren können, ist natürlich ein besonderer Glücksfall.
 
Lichtinstallation von James Turrell im Diözesanmuseum Freising
Lichtinstallation von James Turrell
Ein neues „Ausstellungstück“ und eines, das bleibt, ist die umgestaltete ehemalige Hauskapelle des vormaligen Knabenseminars. Dafür konnten Sie den weltbekannten amerikanischen Künstler James Turrell gewinnen, der dort einen Lichtraum gestaltet hat, der ganz ohne greifbaren Gegenstand auskommt. Warum war Ihnen gerade ein Werk dieses Künstlers wichtig?

Kürzeder:
James Turrell stellt einen der Ursprünge religiöser Erfahrung, wie er etwa im Alten Testament dokumentiert ist, in diese frühere Kapelle, diesen Gebetsraum hinein: ein Licht, das nicht greifbar ist, nicht aufhört und doch alles unmittelbar umgibt. Turrell hat in jahrzehntelanger Arbeit Räume entwickelt, in denen die Besucherinnen und Besucher nur noch Licht sehen, Wände und räumliche Grenzen sich in der Wahrnehmung auflösen.

James Turrell ist ein großer Bewunderer des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckhart, der solche innerlichen Erlebnisse und diese Erfahrung eines unfassbaren Geheimnisses schildert. Der Künstler bringt dieses Geheimnis in die Außenwelt und er lädt dazu ein, sich mit allen Sinnen darauf einzulassen in einer betrachtenden Meditation. Der Raum von James Turrell strahlt wortwörtlich über das Museum hinaus. In der Dunkelheit leuchtet sein Licht durch die verschlossene Eingangstür hindurch auf den Vorplatz, überwindet Grenzen und stößt Gefühle und Gedanken an. Genauso wie das die Architektur und das Ausstellungskonzept des Diözesanmuseums auch tun wollen.
 
Interview: Alois Bierl, Sankt Michaelsbund, September 2022

Das Diözesanmuseum Freising

Informationen zur Wiedereröffnung 2022: Schausammlung, zeitgenössische Kunst, Sonderausstellungen sowie Generalsanierung und Architektur
PDF zum Herunterladen
 

Eindrücke von der Wiedereröffnung des Diözesanmuseums:


Diözesanmuseum
Residenzstr. 1
80333 München
Telefon: 089 2137-4240
info(at)dimu-freising.de
http://www.dimu-freising.de
Stabsstellenleiter:
Dr. Christoph Kürzeder, Museumsdirektor