Leben (dr)innen neu entdecken Impuls für Donnerstag, 30. April 2020, von Julia Mokry

„Mama, ich kann nicht andauernd alleine sitzen. In der Schule sitzen auch mehr in einem Raum.“ So oder ähnlich lautet in der letzten Zeit häufig der Satz meines Sohnes, wenn er Homeschool macht und sich wieder einmal wünscht, dass Mama oder Papa neben ihm sitzen sollen. Nicht, um zu helfen oder Lateinvokabeln abzufragen, sondern nur, um nicht allein in einem Raum zu sitzen. Die Nähe innerhalb des Hauses reicht hierbei nicht immer aus.
Mädchen sitzt allein in Klassenzimmer
Foto: pixabay / Cole Stivers
Wie vielen Schülerinnen und Schülern geht es derzeit ähnlich? Welch große Herausforderung ist es, sich oft genug allein zu motivieren - für die Kinder und Jugendlichen zum Homeschooling, für alle alleinlebenden Menschen in Zeiten des eingeschränkten Kontaktes zu anderen Menschen durchzuhalten? Es braucht viel Motivation und Disziplin. Das erfahren wir heute in der Tageslesung vom Äthiopier, der alleine auf seinem Wagen sitzt und den Propheten Jesaja liest. Der Dialog fasziniert mich, als Philippus an ihn herantritt:
„Da sagte er: Verstehst du auch, was du liest? Jener antwortete: Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet? Und er bat den Philippus, einzusteigen und neben ihm Platz zu nehmen. ( Apg 8,30b -31)

Für uns heißt es gerade auch: Wer leitet mich an? Wer hilft mir, den Alltag zu meistern, zu verstehen, was uns die Situation sagen will? Wer in Gemeinschaft lebt, kann sich austauschen über die Fragen, Sorgen und Ängste, die gerade das eigene Leben begleiten. Wer in Gemeinschaft lebt, hat die Chance, dass einfach jemand mit im Raum sitzt und da ist. Wie geht es aber gerade den Kindern und Jugendlichen, die tagsüber allein sind, weil Eltern arbeiten und nicht vollständig Zeit für sie haben? Wie geht es gerade den Menschen, die allein leben? Wie geht es den Seniorinnen und Senioren, die in Alten- und Pflegeheimen wohnen, wie den Kranken, die alle derzeit keinen Besuch bekommen dürfen? Wie geht es Enkeln und Großeltern, die sich jetzt seit über fünf Wochen nicht mehr real gesehen haben?

Der Äthiopier hatte das Glück, dass Philippus des Weges kam und sich zu ihm setzte. Sie teilten ein Stück des Weges, überbrückten die Zeit. Das brachte, wie wir lesen können, den Äthiopier in seiner Antwortsuche weiter. Ja, wir glauben und vertrauen, dass Gott mit uns geht auch in dieser Zeit. Und dennoch wird das Fehlen der Mitmenschen im Alltag immer schmerzlicher.

Gott, danke für deine Wegbegleitung in unserem Leben.
Für dein Dasein.
Und dennoch, Gott, fehlen uns unsere Freunde, unsere Familie.
Begleite uns im Kontaktaufnehmen,
im Nachfragen bei anderen Menschen.
Sei bei uns,
wenn uns jemand fehlt, um den Alltag zu verstehen,
wenn wir uns jemanden wünschen, der uns anleitet,
wenn wir uns alleine fühlen.
Amen.
 
Ich wünsche uns Menschen, die mit dem derzeit nötigen Abstand unser Leben begleiten. Die anrufen, die schreiben, die an uns denken. Und haben wir immer wieder Mut und die Muße, selbst bei Menschen anzurufen, ihnen zu schreiben, und für die, die uns wichtig sind, zu beten oder eine Kerze anzuzünden.

Text: Julia Mokry, Geistliche Verbandsleiterin der KLJB Bayern