Leben (dr)innen neu entdecken Impuls für Samstag, 18. April 2020 von Prof. Ludwig Mödl

Gottes- und Nächstenliebe
 
„Krankendienst ist Gottesdienst.“ So heißt eine christliche Volksregel. In diesen Tagen dürfen wir diese den Ärzten, Krankenschwestern, Pflegern und all den anderen zurufen, die sich mühen um die vielen Kranken: Ihr dient Gott, wenn ihr euch für die Kranken einsetzt. Wie ist das zu verstehen?

Jesus brachte die Sache auf den Punkt, als er einem Theologen auf dessen Frage nach dem wichtigsten Gebot antwortete. Er zitierte zunächst das Gebet, das jeder Israelit täglich spricht: „Höre, Israel, JHWH unser Gott, JHWH ist einzig. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Kräften.“ Dann fügte er eine zweite Bibelstelle hinzu: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18). Diese beiden Gebote, so sagte Jesus weiter, sind gleich. Gottes- und Nächstenliebe stehen auf einer Ebene. Warum ist das so?
Arzt mit Kittel und Stethoskop
Foto: Online Marketing / unsplash
Dafür gibt es zwei Gründe, einen eher weltlichen und einen theologischen. Wer einem anderen Menschen beisteht oder etwas Gutes tut, der öffnet sein Inneres und bewegt sich aus sich heraus – und damit letztlich schon auf Gott zu, selbst wenn er das nicht weiß. So hilft etwa der Samariter in dem Gleichnis Jesu einfach aus Mitleid einem halb zerschlagenen Menschen, der unter die Räuber gefallen war. Zwei Fromme waren an diesem vorbei gegangen, sie hatten ihre Frömmigkeit abgespalten von der Beziehung zu Menschen. Er aber hatte Mitleid und half einfach. Und genau das ist im Sinne Gottes; denn es liegt schon in der Schöpfungsordnung. Kein Mensch kann auf der Welt allein leben. Er braucht die anderen nicht nur als Kleinkind. Er hätte nichts zu essen, wenn es keinen Bäcker oder Metzger oder Händler gäbe. Er könnte eine Krankheit nicht überleben, wenn es keinen Arzt oder Apotheker oder Pfleger gäbe usw. Wir Menschen brauchen einander. Deshalb kann niemand auch nur für sich leben.

Und damit kommen wir zum zweiten, theologischen Grund, warum die Nächstenliebe ein Teil der Gottesliebe ist. Gott solidarisiert sich mit dem Menschen, indem er ihn, wie die Bibel schon ganz am Anfang sagt, als sein Bild in die Welt gestellt hat. Jeder Mann und jede Frau, so heißt es dort, ist „Bild Gottes“ (vgl. Gen 1,27). Aus dem Gesicht eines Menschen schaut mich also Gott an. Und wie Jesus betont: besonders aus dem Gesicht eines Kranken, eines Armen und eines Hilflosen. Darum sind die Gottes- und die Nächstenliebe so eng miteinander verbunden.

Nun mag jemand sagen: Gut, ich liebe die Menschen, und damit ist meiner Gottesliebe Genüge getan. Ich brauch mich um Gott nicht mehr zu kümmern. Ich liebe, und das ist meine Religion. Warum ist dies nicht genügend? Weil Gott sich geoffenbart hat – in einer langen Geschichte, durch viele Menschen, durch tausend Vorkommnisse im erwählten Volk und – wie wir Christen glauben – endgültig durch Jesus von Nazareth. Der Ewige hat uns Menschen wissen lassen, dass er ein Gott mit uns ist, der unser Leben begleitet, und der will, dass wir unseren Blick auf ihn richten. Er will unsere Liebe. Und diese kennt eben zwei Ausdrucksformen: Die direkte Hinwendung zu ihm im Gebet, und die indirekte Hinwendung zu ihm, indem wir uns um sein Ebenbild auf der Welt mühen, um unseren Nächsten. So kennt also die Gottesliebe zwei Ausdrucksformen: Gebet und Liebe.

Einmal hat jemand gefragt: Nehmen wir an: Uns Christen würde alles genommen, die Bibel, die Kirchen, die Gemeinschaft, der Glauben, der Gottesdienst, die Lieder, die Kulturschöpfungen – alles, was wir so an religiösen Hilfen haben. Was müssten wir unbedingt noch tun, dass wir Christen bleiben? Die Antwort lautet: Beten und lieben! Denn Gebet und Liebe sind die sichtbaren Seiten unserer Hinwendung zu Gott.
 
Text: Prof. Dr. em. Ludwig Mödl