Im Partner Gott begegnen

Aus: Bernhard Liss, Zwischen uns bleibt Raum für die Liebe, Würzburg 1993, 68ff.


Gelegentlich gibt es das Missverständnis, Christen würden meinen, ihre Ehe hätte eine höhere Qualität. Demgegenüber zeigt die Erfahrung, dass gläubige Menschen um ein gutes Zusammenleben mit dem Partner genauso ringen müssen wie andere. Der Unterschied ist klar: Er liegt im Glauben und in der damit verbundenen anderen Sicht. Das gilt für die Ehe genauso wie für alle anderen Bereiche des Lebens. Ein Mensch, für den Gott der große Partner des Lebens ist, von dem alles ausgeht und in dem alles seine Vollendung findet, nimmt den einzelnen Tag als Geschenk an und fühlt sich für den Umgang mit den Dingen und für die Begegnung mit den Menschen vor diesem Gott verantwortlich, das heißt, er weiß um das Interesse Gottes an seinem Leben und ist bereit, ihm Antwort zu geben, wenn er danach fragt, wie er den einzelnen Tag gestaltet hat. Auf die Ehe bezogen, ergibt sich aus dem Glauben eine besonders schöne Sicht: weil Gott - nach dem Zeugnis des Neuen Testaments - die Liebe ist, hat auch eine Beziehung, deren Substanz die Liebe ist, mit Gott zu tun. Einerseits können sich die Partner an Gott orientieren, andererseits können sie sich gegenseitig helfen, Gott näherzukommen


Gott ist treu

Gott steht also zu seinem Wort, das er den Menschen gegeben hat. Das heißt im einzelnen zum Beispiel:

  1. Ich bin immer für dich da.
  2. Ich lasse dich nicht allein und helfe dir, wenn du in Schwierigkeiten gerätst.
  3. Ich schaue in dein Innerstes und verstehe dich durch und durch.
  4. Ich bin daran interessiert, daß du aus deinem Leben etwas machst.
  5. Ich liebe dich zärtlich und leidenschaftlich.
Partner, die daran Maß nehmen, haben vor sich eine großartige Orientierung und werden in einer lebendigen Beziehung leben, solange sie auf diesem Weg bleiben.


Gott verzeiht

Er hat ein großes Herz, in dem auch Raum ist für den Menschen mitsamt seinen Fehlern. Denn Gott urteilt nicht nach Äußerlichkeiten, sondern er versteht, was im Inneren vorgeht, wenn je­mand Unrecht tut.

Liebende, die an einen solchen Gott glauben und davon über­zeugt sind, dass er etwas mit ihrem Leben zu tun hat, werden vorsichtig sein, wenn es sie drängt, hart zu urteilen. Wenn sie durch das gute intime Gespräch die Motivationen des Partners immer besser verstehen, hat das unweigerlich eine Wirkung dort, wo Fehler die Beziehung stören, selbst wenn sie einem gelegentlich auf die Nerven gehen.


Gott lässt Freiheit

Gott drängt sich trotz aller Liebe den Menschen nicht auf und schlägt nicht drein, wenn er ihre Wege beobachtet. Er möchte niemanden auf den geraden Weg zwingen, sondern macht sich von der freien Entscheidung des einzelnen für das Gute abhängig. In einer Beziehung, die vom Glauben an diesen Gott geprägt ist, wird mit der Zeit immer weniger Druck ausgeübt werden, bis schließlich ... aber vielleicht ist das zu kühn gedacht; wahrscheinlich kann der Mensch im Laufe seines kurzen Lebens nicht so weit kommen, dass er keinerlei Druck auf einen geliebten Partner ausübt. Trotzdem ist es wertvoll, die Richtung zu kennen. Auch die andere Seite hat eine große Bedeutung: Wer die Treue des Partners lebendig erfährt, weiß danach vielleicht besser, was es heißt: Gott ist treu. Wem ein Fehler verziehen wird, der versteht von daher vielleicht mehr davon, was die Theologie mit dem barmherzigen Gott meint. Und wer fühlen darf, dass er trotz der Sehnsucht des Partners nach Gemeinsamkeit ein freier Mensch ist, hat unter Umständen dadurch erst begriffen, wie groß der Gott der jüdisch-christlichen Tradition ist.