Ein Raum mit grauen Wänden. Ein schlichter Tisch, zwei Stühle und ein Päckchen Taschentücher. In der Justizvollzugsanstalt von Garmisch-Partenkirchen ist heute Gefängnisseelsorger Oskar Ehehalt anwesend. Umgeben von Gittern, Regeln und Protokollen sitzt er ohne Vorwissen und ohne Akte Straftätern gegenüber, um zuzuhören, auch wenn es nichts zu sagen gibt. Und manchmal den Raum zu öffnen für ein Gespräch, das nicht geplant war – über Gott, über Hoffnung, über Vergebung.
Seelsorger Oskar Ehehalt in der Justizvollzugsanstalt Garmisch-Partenkirchen
Wenn Oskar Ehehalt die Justizvollzugsanstalt Garmisch betritt, geht in den Hafträumen eine Durchsage über die Lautsprecher: „Die Seelsorge ist im Haus.“ Stahltüren schließen sich hinter ihm, eine nach der anderen. Es ist der Klang eines Ortes mit vielen Regeln und wenig Freiheit. Und an dem er, ein 57-jähriger Diakon mit grauem Haar und ruhiger Stimme, der einzige Mensch ist, der nichts will, nichts fordert, nichts wissen muss. Er ist einfach da.
Früher war sein Leben schneller. Oskar Ehehalt war Manager, Marketing- und Vertriebsleiter eines börsennotierten US-Unternehmens. Flughäfen, Hotels, Sitzungen, Zeitdruck. Er war gut in dem, was er tat – erfolgreich. Bis zu einem Wintersportunfall und nachfolgend sechs Wochen im Bett, in denen die Geschwindigkeit stoppte und alles auf einmal leise wurde. „Ich hatte Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Dinge ich in meinem Leben bis dahin wie gewichtet habe – und ob das so bleiben soll.“ Auch seine Kinder begannen zu fragen: Warum bist du so oft unterwegs? Was genau machst du da eigentlich?
Oskar Ehehalt im Gespräch mit einem Strafgefangenen
Diese Fragen trafen. Ehehalt kehrte zwar in den Job zurück, doch innerlich hatte sich etwas verschoben. Es begann eine Zeit des Suchens. Gespräche, Zweifel – und irgendwann das Wort „Diakon“. Nicht als Ziel, sondern als Möglichkeit. Er ließ sich darauf ein, informierte sich, begann ein Fernstudium, wuchs langsam in die Aufgabe hinein. „Ich habe darauf vertraut, dass Gott mich dorthin stellt, wo es passt“, sagt er. Und er fand seinen Platz: Im Dienst an Menschen in Ausnahmesituationen. In der Notfallseelsorge, die er im Dekanat Bad Tölz-Wolfratshausen leitet – und im Gefängnis.
Heute ist Oskar Ehehalt Fachbereichsleiter für Gefängnisseelsorge der Erzdiözese München und Freising und Gefängnisseelsorger in Garmisch-Partenkirchen. Dort sitzt er in einem Raum mit grauen Wänden. Umgeben von Gittern, Regeln und Protokollen bietet er einen schlichten Tisch, zwei Stühle und ein Päckchen Taschentücher – und einen Moment ohne Urteil. Ohne Akte. Ohne Vorwissen über die Straftäter, die ihm gegenüber sitzen.
„Ich sehe es als meinen persönlichen Auftrag, mich um die zu kümmern, die in den Tälern des Lebens sind"
Gefängnisseelsorger Oskar Ehehalt
„Ich sehe mir vor einem Termin keine Akte an. Ich will dem Menschen begegnen, nicht seiner Tat“, sagt er. Das Gefängnis ist ein Ort der Vorschriften, des Misstrauens, der Kontrolle. Die Seelsorge fällt aus diesem System heraus. Sie bedeutet: Da sein, wo andere fehlen. Aushalten, was sich nicht schnell ändern lässt. Zuhören, auch wenn es nichts zu sagen gibt. Und manchmal den Raum öffnen für ein Gespräch, das nicht geplant war – über Gott, über Hoffnung, über Vergebung.
„Ich habe darauf vertraut, dass Gott mich dorthin stellt, wo es passt“
Manche Häftlinge kommen mit konkreten Fragen: „Wie kommt meine Frau mit den zwei kleinen Kindern alleine zurecht?“ – „Ich habe sechs Monate geschafft, aber es stehen noch 24 aus. Wie soll ich das durchhalten?“ Nicht immer geht es um Glauben. Meist nicht am Anfang. „Aber zwischen den Zeilen ist er präsent“, sagt Ehehalt. Manchmal entsteht der Wunsch nach einem Gebet. Manchmal eine Erinnerung. Ein Satz wie: „Vielleicht sollte ich meiner Tochter schreiben.“
Die Gespräche schaffen kleine Räume, in denen der Glaube Platz finden kann. Und wenn es dazu kommt, braucht es Sprache. Ehehalt hat gelernt, über seinen Glauben zu sprechen – und darüber, wie man das kann, ohne zu belehren. „Für viele ist Kirche ein Thema, das – wenn überhaupt – sonntags zwischen zehn und elf Uhr eine Rolle spielt. Aber das reicht nicht. Wenn der Glaube im Herzen etwas bewirken soll, dann muss er auch im Alltag Sprache finden.“
Diese Sprachfähigkeit über den Glauben, über Werte und Entscheidungen, fehlt vielen – nicht nur im Gefängnis, auch außerhalb. „Wir reden zu wenig darüber, warum wir leben, wie wir leben – und was uns trägt.“ In der Gefängnisseelsorge erlebt Ehehalt, wie heilsam es sein kann, wenn die Lehren des Evangeliums in konkrete Lebenssituationen hineinsprechen – still, aber wirksam.
"Nicht immer geht es um Glauben. Meist nicht am Anfang."
Nicht Bekehrung ist sein Ziel. Ehehalt will aufrichten, Vertrauen ermöglichen. Menschlichkeit zeigen, wo sie sonst kaum vorkommt. „Ich sehe es als meinen persönlichen Auftrag, mich um die zu kümmern, die in den Tälern des Lebens sind.“ Für ihn ist das kein Sonderweg, sondern Kernauftrag der Kirche.
Die Haftanstalt bringt Geschichten hervor, die sich nicht in einfachen Kategorien einordnen lassen. Schuld ist da, ja. Aber auch Lebensumstände, Brüche, Erfahrungen von Gewalt oder Ausgrenzung. Ehehalt urteilt nicht. „Wer ist denn von Grund auf böse? Das sind alles Geschöpfe Gottes, die in Situationen geraten sind – und von diesen geprägt wurden.“
Auch das Gefängnispersonal kommt manchmal auf ihn zu. Erzählt, fragt, sucht Rückhalt. Auch dort: Keine Akte, kein Protokoll. Nur ein Raum. Ehehalt bringt mit, was im Gefängnissystem oft fehlt: Zeit. Geduld. Ein Gegenüber.
Sein eigenes Leben sieht heute anders aus. Mehr Zeit zuhause, weniger Flughäfen. Dafür seelische Schwere, Dienste am Wochenende, Gespräche, die nachhallen. „Trotzdem: Ich bin sehr glücklich in dem, was ich heute tue.“ Es sei nicht leichter geworden, aber klarer. „Man muss sich fragen: Will ich dort sein, wo Seelsorge dringend nötig ist?“ Für ihn ist die Antwort klar.
Die Gefängnisseelsorge
Die katholische Gefängnisseelsorge im Erzbistum München und Freising versteht sich als konkreter Ausdruck christlicher Nächstenliebe. „Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen“ – dieses Bibelwort aus dem Matthäus-Evangelium bildet das Fundament der seelsorglichen Arbeit hinter Gefängnismauern. Elf Seelsorgende betreuen die neun Justizvollzugsanstalten im Gebiet der Erzdiözese, darunter die große Haftanstalt München-Stadelheim. Sie begleiten Inhaftierte in Einzelgesprächen, Gottesdiensten und Krisensituationen, dabei unterliegen Sie der Schweigepflicht. Auch Angehörige und das Justizpersonal finden in der Seelsorge eine verlässliche Ansprechstelle. In ökumenischer Zusammenarbeit und durch regelmäßigen fachlichen Austausch bleibt die Arbeit nicht nur spirituell fundiert, sondern auch gesellschaftlich relevant – als leiser, aber beständiger Dienst an Menschen in Extremsituationen.