Umgang mit Verdachtsfällen Die Arbeit der unabhängigen Ansprechpersonen und des Interventionsbeauftragten

Umgang mit Verdachtsfällen
Ungefähr 150 Betroffene von sexuellem Missbrauch, der vor längerer Zeit erfolgt ist, haben sich seit 2011 bei der Erzdiözese München und Freising gemeldet. „Manche sprechen zum allerersten Mal in ihrem Leben davon, was ihnen widerfah-ren ist. Oft wissen noch nicht einmal die Ehepartner und Familien vom früheren Missbrauch. Es gehört viel Mut dazu, über ein ext-rem schambehaftetes und schmerzliches Erlebnis zu sprechen“, beschreibt Diplom-Psychologin Kirstin Dawin. Sie ist eine der drei unabhängigen Ansprechpersonen der Erzdiözese, an die sich Betroffene oder Menschen, die von Missbrauch erfahren, wenden können.

Nach dem telefonischen Erstkontakt folgt ein persönliches  Gespräch, das die meisten Betroffenen als hilfreich erleben. „Ich erhalte oft die Rückmeldung, wie gut es ist, gesagt zu bekommen, dass sie als Kinder damals nichts tun konnten und dass die  Verantwortung allein beim Täter liegt“, weiß Kirstin Dawin. Die  Psychologin arbeitet hauptberuflich seit über 20 Jahren beim KinderschutzZentrum München. Durch die lange Arbeit mit Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, hat sie sich eine hohe Kompetenz angeeignet, auch zu den relevanten innerpsychischen Dynamiken. „Das Schlimme ist, dass die Täter ja für die  Betroffenen oft sehr wichtige Vertrauenspersonen waren, die sie gemocht oder gar geliebt haben“, erklärt Dawin. Beim beruflichen Hintergrund der unabhängigen Ansprechpersonen setzt die Erzdiözese bewusst auf eine breitere Auswahl. Manche Anrufer und Anruferinnen wollen statt mit einer Psychologin lieber mit einem Juristen sprechen oder mit einer Sozialpädagogin. „Und es ist gut und richtig, dass sie eine Auswahl haben“, bekräftigt Kirstin Dawin.

Gleich nach der Meldung wird der Jurist und Theologe Bernhard Freitag eingeschaltet, der die Aufgabe des Interventionsbeauftragten der Erzdiözese innehat und der erste Ansprechpartner der unabhängigen Ansprechpersonen ist. Er koordiniert zudem im Erzbischöflichen Ordinariat unter anderem die Informationsbeschaffung, etwa aus aktuellen Personalakten oder dem Archiv. „Bei meiner Arbeit erhalte ich von allen Ressorts und von der Bistumsleitung die bestmögliche Unterstützung, und zwar zügig“, bestätigt Bernhard Freitag. Menschen, die früher von sexuellem Missbrauch durch kirchliche Mitarbeitende betroffen waren, können einen Antrag auf Anerkennung des Leides und die damit verbundene Zahlung stellen.

Ein wichtiger Teil der Arbeit der unabhängigen Ansprechpersonen und des Interventionsbeauftragten ist der Umgang mit aktuellen Fällen. Hier geht es darum, Kinder und Jugendliche rasch zu schützen. Die aktuellen Meldungen beziehen sich auf Seelsorger und Seelsorgerinnen, auf Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen sowie auf ehrenamtliche Kräfte. Frauen sind unter den Beschuldigten eine kleine Minderheit. Oft handelt es sich bei den aktuellen Meldungen um so genannte Grenzverletzungen. „Wenn ein Lehrer zu einer Schülerin sagt: ‚Heute bist du aber wieder sexy angezogen, Schnucki‘, so etwas geht gar nicht“, erklärt Kirstin Dawin. 

Aufmerksamkeit ist gewachsen 

Auch ein Mesner, der den Ministrantinnen und Ministranten ständig beim Anlegen der liturgischen Gewänder helfen wolle oder ein Hausmeister, der junge Mädchen gerne mit einer Umarmung begrüße, würden zu Recht gemeldet. All diese Fälle führen zu Maßnahmen, die vom persönlichen Gespräch mit dem Beschuldigten, einem Präventionskurs für die Schule oder Gemeinde bis zur sofortigen Suspendierung des Beschuldigten bei schwerwiegenderen Vorwürfen, gegebenenfalls auch zur Strafanzeige, reichen.

Die Aufmerksamkeit für sexuellen Missbrauch ist gewachsen. Liegen Anhaltspunkte für eine Straftat vor, werden die Betroffenen ermutigt, einer Strafanzeige durch die Erzdiözese zuzustimmen. „Dabei unterstützen wir die Betroffenen auch mit allem, was sie brauchen: zeitnahem Coaching, einem eigenen Anwalt oder einem Therapieplatz“, betont Bernhard Freitag. Manche Betroffenen bräuchten allerdings Zeit, bis sie einer Anzeige zustimmen könnten, weil sie die intimen Fragen vor Gericht fürchteten. 

Strafanzeigen sind notwendig

In der Regel erfolgt die Strafanzeige in Absprache mit den Betroffenen, aber in einem Fall wollte die Erzdiözese auch ohne das Mit-wirken der betroffenen Person Strafanzeige stellen, um der Gefahr einer Wiederholungstat zu begegnen. Zum Glück erkannte die betroffene Person dann doch selbst die Notwendigkeit. 

Die Erzdiözese legt großen Wert auf eine angemessene Bearbeitung entsprechender Fälle. Es gibt unabhängige Ansprechpersonen, die frei in ihren Entscheidungen sind und verschiedene Kompetenzen abdecken. Es wird seitens des Erzbischöflichen Ordinariats schnell reagiert, Betroffene erhalten auf verschiedene Weise Hilfe. Das sieht auch Kirstin Dawin so: „Ich finde, dass diese Arbeit in der Erzdiözese gut funktioniert. Sonst würde ich mich auch nicht als unabhängige Ansprechperson zur  Verfügung stellen.“