Trauerpastoral: Den Karfreitag aushalten Seelsorger unterstützen im extremen Ausnahmefall und im Gemeindealltag

Trauer und Verlust sind Grunderfahrungen des Menschen. Sie werden auf unterschiedliche Weise individuell erfahren. Sterbende und Trauernde zu trösten und zu begleiten, machen sich u. a. Notfallseelsorge und Trauerpastoral in den Gemeinden zur Aufgabe.
Wenn Hermann Saur gerufen wird, dann ist immer jemand plötzlich gestorben und ein anderer Mensch steht deswegen unter Schock. Wenn die zu Hilfe gerufenen Rettungskräfte erkennen, dass der oder die Hinterbliebene selbst Hilfe braucht, dann fordern sie jemand wie Hermann Saur an. Der 62-jährige Diakon leitet die Notfallseelsorge der Erzdiözese München und Freising und kennt die ganze Bandbreite des plötzlichen Todes. Das eigene Kind ist tot oder der geliebte Partner und damit ist das eigentlich Unfassbare ins Leben eingebrochen. „Meine Aufgabe ist es zu schauen, welche Ressourcen dem Hinterbliebenen dann helfen können“, erklärt er. Etwa zwei bis vier Stunden bleibt er bei ihm oder ihr. Am Anfang ist Saur oft der Einzige, der im Trubel der anderen Anwesenden von Sanitätern, Notarzt und Polizei keine Fragen stellt, sondern einfach nur da ist.
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(Abschieds-)Rituale helfen bei der Bewältigung der Trauer. (Foto: Joao Silas / unsplash)

Beistand für die Hinterbliebenen

Doch schon bald kann er wichtige Weichen stellen. „Für die meisten bin ich ein Ersatz für jemand, den sie eigentlich gerne an ihrer Seite hätten: die Tochter in Ingolstadt, den Sohn im Ruhrgebiet oder die beste Freundin. In ihrem Schock kommen sie oft gar nicht auf die Idee, diese Person anzurufen und mitzuteilen, was geschehen ist“, schildert Hermann Saur. Deshalb unterstützt er die Hinterbliebenen beim Anruf. Dass der eigene Vater tot ist, das müssen die Kinder von der Mutter erfahren und nicht von ihm, einem Fremden. Deshalb gibt er Formulierungshilfen und lässt Hinterbliebene auch schon einmal einen Satz üben wie „Hier ist die Mama. Es ist etwas Schlimmes geschehen. Papa ist tot“, bevor der eigentliche Anruf stattfindet. Ein Ziel der Notfallseelsorge sei es, sich überflüssig zu machen, erklärt der Diakon. „Wen hätten Sie gern bei sich?“, fragt er die Betroffenen.

„Hinterbliebene machen sich oft Vorwürfe, vor allem dann, wenn jemand durch Suizid verstorben ist“, weiß der erfahrene Notfallseelsorger. Rund 10.000 Menschen nehmen sich in Deutschland pro Jahr das Leben – dreimal so viele wie infolge eines Verkehrsunfalls sterben. Die Frage, ob man das wohl hätte bemerken können, wenn man nur aufmerksamer gewesen wäre, quält sie oft schon unmittelbar nach der Todesnachricht. Das kommt bei anderen plötzlichen Todesarten kaum vor. Hermann Saur erklärt den Hinterbliebenen, dass sie den Suizid nicht hätten verhindern können. „Ich sage in den gemeinsam verbrachten Stunden oft zehn- bis zwölfmal den Satz: ‚Nein, Sie hätten es nicht verhindern können.‘ Diese Botschaft ist enorm wichtig, damit die Schuldgefühle sich nicht übermächtig einnisten.“

Schockstarre und Wut

Menschen, die mit einer plötzlichen Todesnachricht konfrontiert werden, reagieren oft dissoziiert. Das heißt, in ihnen laufen Überlebensprogramme ab: Kämpfen, fliehen oder erstarren. Hermann Saur hat das alles schon erlebt, auch dass Hinterbliebene ihm mit den Fäusten gegen die Brust trommeln. „Dann umarme ich diesen Menschen und versuche, ihn oder sie aus der Dissoziation herauszuholen“, erklärt er. Nach einiger gemeinsam verbrachter Zeit und wenn er Anzeichen dafür in der Wohnung sieht, dass jemand religiös ist, fragt er auch, ob ein gemeinsames Gebet beim Toten gewünscht ist. Kleine Abschiedsrituale können hilfreich sein.

Auch ganz praktische Themen gehören zu seinen Einsätzen bei traumatisierten Hinterbliebenen. Zum Beispiel wie man erfährt, wann ein Leichnam von der Gerichtsmedizin zur Bestattung freigegeben ist. Oder wie man dem Arbeitgeber des gestorbenen Mannes mitteilt, dass er tot ist. Sobald diese ganz konkreten Fragen gestellt werden, weiß Hermann Saur, dass die Hinterbliebenen aus dem unmittelbaren Krisenmodus herausgefunden haben. Beim Gehen hinterlässt er für Rückfragen eine Telefonnummer und Infomaterial zu weiterführenden Hilfsangeboten. Nach vier Wochen schickt die Krisenpastoral einen Nachsorgebrief an die Hinterbliebenen mit einem Selbsttest zu ihrer Situation und Hinweisen über helfende Angebote.

Saurs Arbeit ist anfordernd – allein an einem Silvestertag wurde er fünfmal zum Noteinsatz gerufen. Doch er macht sie gerne. „Ich war zehn Jahre lang Diakon in einer Gemeinde, bevor ich zur Notfallseelsorge kam. Von dort her kenne ich die Situation in Bibelkreisen, wo es auch um die Frage geht, warum Gott etwas Schlimmes zulassen kann“, erinnert sich Hermann Saur. „Und wir haben dazu auch immer Antworten gefunden. Aber im Notfall funktioniert Theologie nicht. Da geht es darum, den Karfreitag auszuhalten, auch wenn ich auf den Ostersonntag vertraue.“
zugewandte große Engelsfiguren auf Friedhof
Sehnsucht nach Versöhnung beschäftigt viele vor dem Tod. (Foto: imago / CHROMORANGE)

Klassischer Versehgang rückläufig

Szenenwechsel aus der Notfall- in die Pfarrseelsorge. P. Korbinian Linsenmann ist seit 2006 Pfarrer von St. Bonifaz im Zentrum Münchens. Er hat viel Erfahrung mit der Begleitung Sterbender. Bei ihm kommt es aber eher selten vor, dass Menschen nach dem Tod eines Angehörigen schwer traumatisiert sind. Seine Begleitung bezieht sich meist auf Fälle, wo bekannt war, dass jemand demnächst sterben könnte. In der Regel kennt er die Menschen, die er begleitet. Sie kommen zum Gottesdienst, zur Beichte, auch zum Krankengottesdienst, so lange dies möglich ist. Dabei sind auch die Gesundheit und das bevorstehende Lebensende Thema.

„Der klassische Versehgang ist in unserer Gemeinde selten geworden“, erklärt P. Korbinian. „Zuletzt wurde ich im November 2018 hier zu einem Versehgang gerufen“, berichtet der Benediktiner. Dieser Besuch des Priesters führt zu einem schwerkranken Menschen, der von ihm die Stärkung für den Sterbeprozess erhält. Wenn der oder die Sterbende noch bei Bewusstsein ist und sich äußern kann, ist eine Beichte möglich. Dann folgen Salbung und die Kommunion, wenn der Sterbende noch schlucken kann.

„Heute sterben die meisten Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Dort gibt es Gott sei Dank überall eigene Seelsorgerinnen und Seelsorger, die dann tätig werden“, erklärt P. Korbinian, der für die Arbeit dieser Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar ist. Mit Menschen, die sich auf ihren Tod vorbereiten, hat der Pfarrer immer wieder zu tun. „Erst vor einigen Tagen war eine Frau bei mir, die die Diagnose einer tödlich verlaufenden Krankheit erhalten hat“, schildert er. „Sie hat von mir die Krankensalbung erbeten als Sakrament der Stärkung, wollte aber kein längeres Gespräch über ihren Zustand. Sie hat jedoch meine Nummer und weiß, dass sie sich melden kann, falls sie das später doch wünscht.“ P. Korbinian begegnet öfter Menschen, die schwer krank sind und wissen, dass ihre Krankheit irgendwann, mitunter bald, zum Tod führen wird. Von daher weiß er auch, dass ganz unterschiedliche Reaktionen möglich sind.

Versöhnung als Thema

„Manch einer nimmt es scheinbar gefasst auf, ist aber erst einmal erstarrt. Andere sind wütend, wieder andere fassungslos, weshalb ausgerechnet sie in eine solche Situation geraten“, berichtet der Seelsorger. „Ich kann die Wut und das Unverständnis gut nachvollziehen, wenn jemand mit nicht einmal 50 Jahren erfährt, dass er auch nie 50 werden wird. Ich bin der Typ Seelsorger, der sich das alles anhört und auch lange zuhört. Da geht es zum Beispiel darum, dass jemand nie erleben wird, wie die eigenen Kinder erwachsen werden. Das Hadern mit Gott kann sehr erleichternd sein, wenn man dem Priester davon erzählt“, weiß der 47-jährige Benediktinerpater.

Der Pfarrer von St. Bonifaz hat Kontakt zu Kranken bei Hausbesuchen, wenn sie die Wohnung nicht mehr verlassen können. Er fragt dann regelmäßig, was ihnen in ihrer Situation helfen könnte. Oft wird der Wunsch nach Versöhnung mit zerstrittenen Familienmitgliedern genannt. „Ich bin froh, wenn das noch rechtzeitig vor dem Sterben ein Thema ist, denn dann kann man das auch angehen. Auf dem Sterbebett ist es erfahrungsgemäß zu spät dafür. Wer stirbt, hat keine Kraft mehr für lange Erklärungen“, betont P. Korbinian.

Diese Sehnsucht nach Versöhnung ist auch ein Thema, das ihm in Beichtgesprächen immer wieder begegnet. „Man sollte nicht zu lange damit warten, sondern rechtzeitig versuchen, Trennung zu überwinden, sonst kann es auf einmal zu spät sein“, erklärt der Seelsorger. Der Tod werde hier zu Lande verdrängt, bedauert P. Korbinian, der sich ein größeres Bewusstsein für die Endlichkeit der je eigenen Lebensspanne in der Gesellschaft wünscht.

Loslassen lernen

Manchmal sind es aber gar nicht die Sterbenden, die so große Probleme mit dem Tod haben, sondern es seien die Angehörigen, die nicht ohne den geliebten Menschen zurückbleiben wollten. Wenn Kinder oder junge Menschen sterben, sei das auch verständlich. „Aber ich habe schon öfter erlebt, wie über 90-Jährige lebensvoll gehen möchten und ihre 70-jährigen Kinder wollen sie einfach nicht loslassen“, erinnert sich P. Korbinian Linsenmann. Die Angehörigen müssten dann lernen, den Abschied zuzulassen, wenn er denn ansteht. „Vielleicht wäre das alles nicht so schwer, wenn wir uns im Lauf des Lebens öfter damit auseinandersetzen, dass jeder geboren wird und jeder einmal sterben muss.“ Schließlich sei doch dies genau der Tod, den sich fast alle wünschten: Hochbetagt und dankbar für ein gutes, langes Leben in Anwesenheit der Liebsten friedlich einschlafen zu dürfen.

Text: Gabriele Riffert

Krankensalbung

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