Betreuung an Leib und Seele Pater Pius Mühlbacher aus Gaden im Landkreis Traunstein kümmert sich in Spanien um Pilger auf dem Jakobsweg

Pater Pius Mühlbacher wurde im Januar 1941 als sechstes von zehn Kindern in Gaden bei Waging am See geboren. Der Vortrag eines Missionars, den er als 11-Jähirger in der Volksschule hörte, weckte in ihm den Wunsch, als Priester nach Afrika zu gehen und eine Pfarrei aufzubauen. Deshalb trat er bei den Benediktinern in St. Ottilien ein, in der Hoffnung, in Afrika in den Missionseinsatz zu kommen. 1984 war es so weit, es folgten 26 wechselvolle und erlebnisreiche Jahre in Kenia und Uganda, bevor Pater Pius 2010 mit 69 Jahren die Betreuung von Jakobsweg-Pilgern im spanischen Priorat Rabanal übernahm.
Pater Pius Mühlbacher im Garten bei Arbeiten an einer Steinmauer
Auch Gartenarbeit gehört zu seinen Aufgaben: Pater Pius Mühlbacher im spanischen Kloster Rabanal
Was war Ihre Motivation, nach Rabanal del Camino zu gehen?
Vor fast zehn Jahren habe ich in einem Rundbrief an Freunde und Verwandte auf diese Frage geantwortet, indem ich meine Bitte an den Erzabt Jeremias Schröder zitierte: „Über 30 Jahre war ich immer Oberer oder Leiter eines Hauses und hatte damit viel mit der Verwaltung zu tun und die beständige Sorge, wie und ob ich das nötige Kleingeld auftreiben könnte, um den Betrieb am Laufen zu halten. Da ich jetzt auf die 70 zugehe, wollte ich gern für die noch verbleibenden aktiven Jahre einen Posten, an dem ich mehr Seelsorge leisten und weniger wirtschaftlichen Umtrieb zu machen hätte. Hast Du einen entsprechenden Posten für mich?“ Seine Antwort war in eine Gegenfrage gekleidet: „Rabanal, kannst Du Dir das vorstellen?“ Ich kannte Rabanal nicht, hatte nur einmal in einem Rundbrief darüber gelesen. Ich hatte nie daran gedacht, nach Spanien zu fahren und konnte kein Spanisch, war aber frech genug mit einem kurzen „Ja!“ zu antworten.
 
Wie war Ihr Einstand in Rabanal?
Nach der endgültigen Zusage fand ich im Internet Meldungen und Filme, die mich fast zu einem Rückzieher veranlassten. Aus mehreren Gründen war es in dem kleinen Dorf zu erheblichen Konflikten gekommen; es gab Demonstrationen und viel Geschrei. Eine Seite ging nach wie vor in den Gottesdienst, während eine lautstarke Gruppe den Abzug der Benediktiner forderte. Die beiden Patres zogen sich vorübergehend nach St. Ottilien zurück. Der Bischof versuchte, eine Versöhnung im Dorf anzuregen. Am Benediktus-Fest, dem 21. März 2010, eskalierte die Situation erneut, und jetzt war klar, dass die Mannschaft auszuwechseln war. In diese gespannte Situation fiel mein Umzug nach Spanien.
 
Wie haben Sie geschafft, die Lage zu beruhigen?
Zur ersten Aufgabe zählte die stille Arbeit der Versöhnung im Dorf mit der Bereitschaft, mit allen zu reden und zusammenzuarbeiten. In dieser Aufgabe hat es mir geholfen, dass mir die Arbeit in den Gärten und auf den Grundstücken zufiel, wo ich dieselben Arbeiten verrichtete, die die Dorfbewohner ihr ganzes Leben zu leisten hatten. Heute funktionieren die Nachbarschaft und der Zusammenhalt im Dorf wieder. Man kann sich hier wohl fühlen.
 
Die Versöhnungsarbeit war nicht Ihre einzige Aufgabe…
Das kleine Kloster war gegründet worden, um für die Pilger auf dem Weg nach Santiago da zu sein. Gespräche mit den Pilgern ergeben sich bei verschiedenen Gelegenheiten, auch beim Kirschen- oder Beerenpflücken. Manche Pilger bleiben auch für zwei bis fünf Tage bei uns. Nach der Vesper, die immer gut besucht ist, bieten wir eine Zeit für Beichte oder Gespräche an, die auch gut angenommen wird. Es haben sich auch einige Dauer-Verbindungen zu ehemaligen Pilger entwickelt.
 
Wo kommen die Pilger her?
Sie kommen aus der ganzen Welt, außer Deutschen, Italienern und Engländern sind auch Chinesen, Litauer und seit neuestem auch Russen dabei. Wir können nie genug Sprachen, um mit ihnen persönlichen Austausch zu pflegen. Mehr und mehr stellen sich aber Spanisch und Englisch als die gängigsten Umgangssprachen auf dem Camino heraus. Da auch viele Koreaner unterwegs sind, haben wir uns bald um Verstärkung aus unserem Kloster in Waegwan in Korea bemüht. Zunächst kamen zeitlich begrenzte Aushilfen und seit vier Jahren lebte ein koreanischer Pater bei uns, Pater Clemente, der sich ganz der Sorge um seine Landsleute widmete. Heuer kam nun eine Ablösung für ihn, Pater Pedro.
 
Wie haben wir uns den Alltag vorzustellen?
Unser kleines Kloster Rabanal war von Anfang an darauf angelegt, dass alle Hausarbeiten von den Mönchen verrichtet werden. Seit 20 Jahren gab und gibt es keine Angestellten. Küche, Wäsche, Hausputz, Kirche und Sakristei wird unter den Mitbrüdern aufgeteilt. Einerseits ist dieses Prinzip gut. Der Mönch soll ja, wie der Apostel Paulus sagte, von seiner Handarbeit leben. Andererseits habe ich mich aber oft gefragt, ob wir nicht zu viel Zeit für die häuslichen Arbeiten verwenden und zu wenig davon für die Seelsorge übrig haben. Vor allem beschäftigte mich die Frage, ob wir genug Fantasie aufbringen, wie wir am besten den Pilgern gerecht werden können.
 
Ich habe mich gleich am Anfang dafür eingesetzt, jeden Tag einen geistlichen Impuls für die Pilger in der Vesper auf Spanisch und Englisch einzuführen. Die Fürbitten habe ich dann auch mehrsprachlich gehalten, und da zwei Mitbrüder auch Italienisch können, wurden sie viersprachig und seit der Verstärkung aus Korea in fünf Sprachen vorgetragen. Es soll für jeden Pilger eine Anregung dabei sein.
 
Sie kümmern sich aber nicht nur um das seelische Wohl der Pilger…
Unserer Hausoberer ist nicht nur ein sehr sicherer Sänger mit einem guten Gehör, was gut ist für unsere Vesper und den ganzen Choralgesang. Er ist auch hervorragend als Koch. Die Pilger und andere Gäste kommen in den Genuss seiner Kochkunst. Mir fiel von Anfang an die Waschküche samt Bügeln zu, und als Landkind suchte ich mir dann die Gartenarbeit samt Pflege der Beeren und die Marmeladeproduktion als meine Aufgabe hinzu. Die Marmelade schmeckt immer zum Frühstück und kommt auch gut an bei der „Pflege guter Nachbarschaft“.
Pater Pius tanzt auf Platz mit Dorfbewohnern
Anfangs war das Dorf zerstritten, doch inzwischen funktioniert die Gemeinschaft wieder: Pater Pius beim Tanz mit Bewohnern von Rabanal
Was haben Sie vor Spanien gemacht?
Seit meinem zwölften Lebensjahr hatte ich immer die Missionsarbeit in Schwarz-Afrika als meine Aufgabe angesehen. Es hat lange gedauert, bis ich nach 17 Jahren Jugendarbeit in der Heimat nach Kenia geschickt wurde. Der Traum von einer Missionsstation im Busch dauerte allerdings gerade fünf Monate. Man brauchte einen Prior für das noch junge Kloster in der Hauptstadt Nairobi, in dem junge Afrikaner zusammen mit alten Europäern leben und so ins Klosterleben eingeführt werden sollten. Und so musste ich in den sauren Apfel beißen und mich als Neuling in eine ungewollte Aufgabe einarbeiten – neben der Aufgabe, in Englisch und Swahili hineinzuwachsen. Es folgten 7,5 Jahre als Prior in Nairobi, wobei es fast zwei Jahre dauerte, bis ich mich wohl in meiner Haut fühlte.
 
Warum?
Der Druck war enorm, allein schon wegen der mangelnden Sprachpraxis. Dazu kam die gruppendynamische Situation, dass ich der neueste Missionar war neben 15 altgedienten Mitbrüdern aus Europa und der Gruppe der jungen Afrikaner, die zu integrieren waren, Kenianer und Ugander.
 
Worauf blicken Sie mit Freude zurück?
Während dieser Zeit fiel mir die Arbeit zu, ein neues Zentralkloster in der Nähe von Nairobi aufzubauen. Bei dieser Arbeit lernte ich viel über Architektur und das Bauen, das hat mich gefreut und auf zukünftige Arbeiten in Tororo in Uganda und dann wieder in Nairobi/Langata vorbereitet. Zusammen mit fünf weiteren Missionsorden haben wir Benediktiner zudem im Westen von Nairobi ein Institut für Theologie aufgebaut, genannt „Tangaza“. Dieser Name ist das Swahili Wort für „Verkündigung“ oder auch „verkündige!“ Nach einem Jahr wurde mir die Leitung angetragen, was mit vielen erfreulichen Erinnerungen verbunden ist. Heute besuchen die Studenten von 22 Missionsorden dieses Institut mit einer Gesamtzahl von 450 Theologen und weiteren 400 Studenten und Studentinnen in angeschlossenen Instituten, die sich als Gymnasiallehrer, Sozialarbeiter und Radio- bzw Fernsehjournalisten qualifizieren wollen.
 
Wie kam es zum Wechsel nach Tororo?
Gegen Ende des Bürgerkriegs wuchs in den 80er-Jahren ein neuer benediktinischer Zweig in Uganda heran, in Tororo. Nur der äußerst rührige Pater Johannes Neudegger und ein englischer Benediktiner lebten dort. Bald wurden junge Ugander auf die beiden Mönche aufmerksam und wollten Benediktiner werden. Pater Johannes wollte eine große Abtei aufbauen mit allen möglichen Betrieben, die finanziell unabhängig sein sollte. Der „Geruch“, dass dort Geld sei, zog aber auch manch falsche Menschen an, zumal die Wirtschaft durch den Bürgerkrieg am Boden lag. Pater Johannes nahm viele Flüchtlinge aus dem Norden des Landes auf. Sie verrichteten gegen geringen Lohn Arbeiten, allerdings kam es zu Spannungen und im Streit um Geld sogar zu einem Mord an einem Novizen. Da Pater Johannes in Jinja ein Haus für Studenten aufmachen wollte, schlug er mich als Ablösung vor, und im September 1992 wechselte ich.
 
Das klingt nach einer schwierigen Mission.
Die Aufgabe in Tororo war hart. Ich fand etwa 300 angestellte Arbeiter in den verschiedenen Betrieben vor, die sich wirtschaftlich nicht halten konnten. Die Löhne waren zu niedrig, um eine Familie davon zu ernähren. Viele Arbeiter tauchten nur einen oder zwei Tage auf, um ihr Geld abzuholen. Eine der ersten Aufgaben war, die Zahl der Arbeiter und Angestellten auf ein bezahlbares Maß zu reduzieren und gleichzeitig die Mindestlöhne anzuheben. Gleichzeitig mussten wir Schritt für Schritt das Kloster und die Angestelltenwohnungen sowie die Werkstätten sanieren. Bei meiner Ankunft lebten die Brüder noch in Lehmhütten oder gemauerten Rundhütten, buchstäblich auf Sand gebaut ohne Fundamente. Zum Glück gab es auch Werkstätten, die Einkommen brachten. Neben der Schreinerei waren die Schlosserei und Elektrikerwerkstatt die gefragtesten Betriebe. Unter anderem bauten wir im Dienst der Diözese eine alte Handwerkerschule mit Hilfe von Kolping Geretsried wieder auf.
 
Blieb da Zeit, sich um die Menschen zu kümmern?
Eine erfüllende Erfahrung in Tororo waren die von mir organisierten Seminare für Elternpaare – auf Englisch „Marriage Encounter Seminars“ genannt. Wir arbeiteten in mehreren Teams, da Tororo zehn unterschiedliche Stämme und Sprachen hatte. Jedes Team brauchte einen Priester, eine Krankeschwester und einen Katechisten. Ich deckte meist die Entwicklungspsychologie der Kinder und Jugendlichen ab, wenn der Fachmann von der Uni dazu nicht zu haben war. Das war in Tororo ein wirklich pastoraler Einsatz neben der vielen technischen und organisatorischen Arbeit.
 
2003 kehrten Sie nach Nairobi zurück.
Erzabt Jeremias Schröder wollte, dass ich in Nairobi ein Studienhaus für unsere Benediktiner Studenten bauen und leiten sollte. Im September 2003 zog ich um und lebte mit unseren Studenten zunächst in einem alten Kolonialhaus im Westen im Stadtteil Langata. Ich machte mich gleich daran, Pläne zu zeichnen und das Gelände zu erkunden. Im August 2005 konnten wir einziehen.
 
Insgesamt lebte ich wieder 7,5 Jahre in Langata. Jeden Sonntag fuhr ich quer durch die Stadt in unsere Pfarrei St. Benedikt und hielt dort zwei Gottesdienste. An den Samstagen half ich bei den indischen Vinzentinern mit Beicht-Hören aus. Das war intensive Seelsorge mit vier bis sechs Stunden ununterbrochenem Dienst. Der Andrang war groß. Anfangs waren wir fünf Priester, am Ende der vier Jahre bis zu 15 Priester. An einem Samstag konnte ich mehr Beichten hören als in Rabanal in einem Monat. Diese Beicht-Seelsorge vermisse ich am meisten.
 
Eingangs sagten Sie, dass Sie sich einen Posten mit mehr Zeit für Seelsorge wünschten – ist es anders gekommen?
Ja, ich wollte einen zeitlich verstärkten Einsatz in der Seelsorge nach der vielen Bau- und Verwaltungstätigkeit. Selbstironisch muss ich im Rückblick oft lachen und sagen, dass ich mehr Zeit in den Gärten verbringe als in der Arbeit mit Menschen. Trotzdem sehe ich eine gute Möglichkeit für uns Missionsbenediktiner in Rabanal, weil die ganze Welt hier durchzieht. In Afrika gingen wir zu den Menschen, hier kommen sie zu uns.
 
Wir betreuen hier sieben Pfarreien, die allerdings erheblich kleiner sind als in Afrika. Unsere Pfarrei in Nairobi zählte etwa 30.000 Katholiken. Unser Dorf Rabanal hat etwa 30 bis 35 Einwohner. Die anderen Pfarreien sind ähnlich kleine Dörfer. Natürlich hat sich auch in Spanien die Teilnahme am kirchlich-religiösen Leben weit zurückgebildet.
 
Was aus Ihrer Heimat oder früheren Lebensorten vermissen Sie am meisten?
Was mir am meisten fehlt ist Afrika und die Mentalität der Afrikaner. Afrikaner wirken lebendiger und oft menschlicher. Auch die Gottesdienste waren immer sehr lebendig. Wenn Afrikaner singen, schwingt ihr ganzer Körper. Da ist Leben. Um es kurz zu sagen: In Afrika trifft man überall auf Natur, wohin man auch geht. Hier in Spanien betritt man überall geschichtlichen Boden und findet wesentliche welt- und kirchengeschichtliche Bauten, Denkmaler oder auch Überreste. Bei uns in der Nähe ist noch eine funktionierende 1000-jährige Hammerschmiede, die mit Wasserkraft betrieben ist und in der Nähe von Ponferrada hatten die Römer ihre reichsten Goldminen des gesamten Reiches von Portugal bis Indien. Im Archiv unserer eher unbedeutenden Diözese von Astorga findet sich auch ein Brief des berühmten Bischofs Cyprian von Karthago an seinen Amtsbruder in Astorga, geschrieben im 3. Jahrhundert nach Christus. Derlei Beispiele könnte man endlos aneinanderreihen.
 
Haben Sie noch Verbindung zu den früheren Einsatzorten?
Wenn man von einem Land ins andere wechselt, muss man das vorherige Leben zurücklassen. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Man muss auch dem Nachfolger Platz machen. Nach sechs Jahren in Spanien konnte ich meine alten Plätze und Freunde in Kenia und Uganda wieder besuchen. Ich fühlte mich wie der Großvater, wenn er seine erwachsenen Kinder besucht. Es war schön, aber ich spürte auch, dass es in meinem Alter keinen Rückweg mehr gibt. Ich war und bin „Out of Africa“, wie der berühmte Film heißt, der in und um Nairobi spielt. Trotzdem sind die meisten Anrufe oder Mails noch aus Afrika, mehr als aus Deutschland.
 
Kehren Sie auch wieder nach Deutschland zurück?
In Afrika konnte ich alle vier Jahre in Heimaturlaub gehen, hier von Spanien aus verbringe ich jedes Jahr im Januar in der pilger-armen Zeit meinen Heimaturlaub in St. Ottilien und besuche dabei auch meine Geschwister. Sieben von neun leben noch.

Das Interview führte Sandra Tjong, freie Redakteurin