Die Geduld umarmen Abt Markus Eller OSB erläutert, wie wir diese himmlische Tugend im Advent leben können

Verschneite Holztreppe im Wald
Schritt für Schritt auf Weihnachten zu: Wenn wir uns Zeit nehmen und Zeit lassen, wächst die Freude auf das Fest.
"Geduld, Geduld“, so mahnte einer meiner inzwischen verstorbenen Lehrer in seiner unverwechselbaren Art, um dann mit einem Augenzwinkern gleich hinzuzufügen „Aber sofort!“. Mit der Geduld ist es so eine Sache. Geduld zu haben, ist nicht einfach, sie fordert uns Menschen auch heraus. Die Geduld kann strapaziert werden, wie wir sagen. Geduld wird manchmal als Untätigkeit empfunden oder mit ihr sogar gleichgesetzt. Wo Geduld als Deckmantel für Saumseligkeit oder Unwilligkeit benützt wird, da wird sie heftige Reaktionen bei anderen Menschen hervorrufen, und das nicht zu Unrecht.
 
Geduld ist meines Erachtens alles andere als Untätigkeit, denn Geduld heißt ja nicht einfach nur dasitzen und nichts tun. Vielleicht hilft uns ein anderes Wort, um von der Vorstellung der Untätigkeit wegzukommen. Die Langmut bringt es auf den Punkt, man braucht und hat Mut und einen langen Atem. Man ist und bleibt zielstrebig. Man kann die geschenkte oder auch aufgezwungene Wartezeit nutzen. Einfallsreichtum und Kreativität sind angesagt.

Keine Zeit zu warten

Geduld zählt seit dem vierten Jahrhundert zu den sieben himmlischen Tugenden, auch wenn sie in unserer Zeit, die als „schnelllebig“ bezeichnet wird, nicht hoch im Kurs steht. „Geduld ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“, so kann man in Anlehnung an das Sprichwort von der Bescheidenheit durchaus hören und vor allem spüren, wenn Menschen keine Zeit mehr haben oder aufbringen wollen, um auf etwas zu warten. Warum auch? Der technische Fortschritt macht’s möglich, dass alles immer schneller gehen kann. Die Möglichkeiten, Zeit zu sparen, werden immer mehr. Auf der anderen Seite erheben diese Möglichkeiten den Anspruch, dass sie genutzt werden müssen. Heute bestellen, morgen haben. Man erwartet sofort eine Antwort auf eine E-Mail, die Nachrichten in wenigen Sekunden von einem Ende der Erde an das andere transportiert.
 
Entfernungen spielen kaum mehr eine Rolle. Die Bahn etwa hat es geschafft, auf Inlandsstrecken dem Flugzeug den Rang abzulaufen. Auch die ausgefeilteste Technik ist nicht perfekt, sondern anfällig für Störungen. So müssen Tag für Tag sich viele Menschen in Geduld üben, wenn Züge wie Flugzeuge Verspätung haben, oder man im Auto im Stau steht. Wer beispielsweise jeden Tag von Scheyern auf der A9 Richtung München pendelt, weiß, wovon ich spreche. Dafür braucht man Gelassenheit, um noch ein anderes Wort für Geduld ins Spiel zu bringen.
 
Die Stufen der Demut

In meiner Lebensform als Benediktiner taucht der Begriff der Geduld in einem vielleicht etwas eigenartigen Zusammenhang auf. Der heilige Benedikt schreibt im siebten Kapitel seiner Lebensregel über die Stufen der Demut. Auch wenn jemandem Widrigkeiten und Unrecht widerfahren, „umarmt er gleichsam bewusst die Geduld“. Die Geduld umarmen! Ja ein eigenartiges Bild, aber auch ein schönes Bild.
 
Wenn man jemanden umarmt, ist das nicht nur Ausdruck einer innigen Beziehung, sondern eine Umarmung gibt Halt und Standfestigkeit. Man steht ja mit vier Beinen auf dem Boden. Man fällt nicht so leicht um. Der heilige Benedikt spricht von den Stufen der Demut, die bewusst gegangen beziehungsweise genommen werden müssen. Wer mehr Stufen gleichzeitig oder auf einmal nimmt, läuft Gefahr zu fallen, zu stolpern und zu stürzen. Unfälle durch überhöhte oder nicht angepasste Geschwindigkeit sind leider an der Tagesordnung.

Den Advent zum Träumen nutzen

Wer sich auf welche Art und Weise auch immer schon einmal einen Gipsfuß eingehandelt hat, weiß, dass man plötzlich viel Zeit hat und Geduld aufbringen muss, denn unser Körper braucht für Heilung und Genesung einfach seine Zeit.
 
Mit dem Advent, der am Anfang eines neuen Kirchenjahres steht, sind wir eingeladen, sozusagen nicht gleich in die Vollen zu gehen, sondern es schrittweise anzugehen. Mir ist schon klar, dass die Adventszeit eine der stressigsten Zeiten im Jahr ist. Sie stellt viele Ansprüche, aber sie bietet auch Möglichkeiten der Entschleunigung. Vielleicht können wir uns von Kindern etwas abschauen. Sie können es kaum erwarten, bis Weihnachten ist. Aber sie nutzen die Zeit. Sie beginnen zu träumen, ob wohl alle ihre Wünsche erfüllt werden und wie es dann sein wird, wenn … Vielleicht werden Wünsche noch einmal überdacht, auch geändert oder präzisiert. Auf alle Fälle aber freuen sie sich auf Weihnachten. Und die Vorfreude gehört auch zu den schönsten Freuden, die es gibt.

Schritt für Schritt
 
So wünsche ich uns allen, dass wir uns die Zeit des Wartens gönnen, dass wir Geduld als himmlische Tugend, als etwas Lebensförderndes verstehen. Dass wir uns Zeit nehmen und Zeit lassen, dass wir die Chance haben, etwas Schritt für Schritt tun zu können, um nicht ins Stolpern zu geraten. Und vor allem, dass wir uns freuen können!
 
Geduld, Geduld, aber sofort. Nein, sondern Schritt für Schritt und immer ein bisschen Freude mehr.
 
 
Text: Abt Markus Eller, Abt der Heilig Kreuzabtei Scheyern und stellvertretender Landkreisdekan des Landkreises Pfaffenhofen, aus: Münchner Kirchenzeitung vom 1. Dezember 2019