Globales Lernen hautnah Delegation des Erzbistums München und Freising im Dialog mit Misereor-Projektpartnern in Indien

Vom 28. Oktober bis 8. November 2017 reisen Vertreterinnen und Vertreter der Bereiche katholische Jugend-, Erwachsenen- und Umweltbildung aus dem Erzbistum München und Freising auf Einladung von Misereor und der Abteilung Weltkirche des Erzbistums nach Indien. Die Region Nordindien steht im Fokus der 60. Misereor-Fastenaktion, welche im Februar 2018 in der Erzdiözese München und Freising feierlich eröffnet wird. Während der Bildungsreise besuchen die haupt- und ehrenamtlichen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren des Erzbistums verschiedene von Misereor geförderte Projekte sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum. Sie lernen die je eigene Problematik und die Herausforderungen direkt im Dialog mit benachteiligten und marginalisierten Menschen vor Ort kennen.
Reisegruppe in Aurangabad. Mit auf dem Foto Herr Melvin Pangya, Fieldworker der Caritas Indien in Maharashtra und Subhadra Kaul Misereor Dialog- und Verbindungsstelle Mumbai.
Reisegruppe in Aurangabad. Mit auf dem Foto Herr Melvin Pangya, Fieldworker der Caritas Indien in Maharashtra und Subhadra Kaul Misereor Dialog- und Verbindungsstelle Mumbai.

Enzyklika Laudato si‘ macht Mut für die Arbeit vor Ort

Im Rahmen der bundesweiten Eröffnung der Misereor-Fastenaktion wird es bereits ab Januar 2018 bis über die Fastenzeit verschiedene Aktionen und thematische Bildungsveranstaltungen im Erzbistum geben, zu deren inhaltlicher Vorbereitung sich die Delegation unter der fachkundigen Leitung des Misereor Länderreferenten für Nordindien, Dr. Anselm Meyer-Antz, auf den Weg nach Indien macht. In Neu-Delhi heißt der Generalsekretär der Indischen Bischofskonferenz, Bischof Theodore Mascarenhas, die Reisegruppe  willkommen. Auf den Empfang folgt ein inhaltliches Treffen mit der Belegschaft von Misereor-Projektpartner Caritas Indien und deren Hauptgeschäftsführer, Fr. Frederick d’Souza. Die Reisegruppe erhält eine erste Präsentation zu den anstehenden Feldbesuchen und zu grundlegenden Prämissen der Arbeit von Caritas Indien, die sich von der Enzyklika Laudato si‘ bestätigt und ermutigt fühlt.
Dorfbesuche im Bundesstaat Maharashtra und Austausch mit Bewohnern.
Dorfbesuche im Bundesstaat Maharashtra und Austausch mit Bewohnern.
Eine Einführung in die politische und sozioökonomische Realität Indiens sowie einen regen Erfahrungsaustauch zu Themen der Globalisierung und Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht der Besuch bei einer lokalen NGO, der Indo-Global Social Service Society. Nach den ersten Tagen in Delhi mit den Vertretern der indischen Kirche wird bald der dialogische Ansatz Misereors deutlich. Die Fastenaktion wird gemeinsam in Deutschland und Indien ausgetragen werden: Es soll nicht einseitig in Deutschland über Indien gesprochen bzw. „etwas für Indien getan“, sondern zusammen mit den Partnern vor Ort gearbeitet und nach Lösungen gesucht werden, damit immer mehr Menschen weltweit ein menschenwürdiges und gutes Leben führen können. Buchstäblich überschattet ist der Aufenthalt in Delhi von dem allgegenwärtigen Smog, in dem diese Stadt versinkt und der von allen Reisenden als extrem beeinträchtigend und belastend empfunden wird.

Was kann zur Verbesserung der Lebenssituationen führen?

Mumbai, Landeshauptstadt des Bundesstaates Maharashtra, ist das nächste Ziel. In einer engen Gasse eines ärmlichen Viertels befindet sich das kleine Büro der Misereor-Dialog- und Verbindungsstelle, von wo aus der Kontakt zu den 220 indischen Partnerorganisationen in Indien gehalten wird. Nach einem stärkenden Tee in dem bewusst spartanisch eingerichteten Büro, geht es von Mumbai über Aurangabad nach Beed in eine sehr ländlich geprägte Gegend. Vier Dörfer bereiten den Gästen aus Deutschland einen herzlichen, traditionellen Empfang. Die Dorfbewohnerinnen und –bewohner (meist Angehörige indigener Gruppen, die als besonders von der Entwicklung ausgeschlossen gelten) berichten aus erster Hand über die Zusammenarbeit mit Caritas Indien. Der methodische Ansatz der Zusammenarbeit ist das sog. „people led empowerment“ (zu Deutsch etwa „von den Betroffenen geleitete Befähigung/Ermächtigung“). In den Dörfern lernt die Delegation von Betroffenen geführte Gemeinwesenentwicklungsprozesse kennen wie z.B. den Kampf für ein Wasserauffangbecken, das in der sehr trockenen Gegend die Möglichkeit einer zweiten Ernte ermöglichen und somit nachhaltig zur Verbesserung der Lebenssituation der Dorfbewohner beitragen und die massive saisonale Arbeitsmigration ganzer Familien verhindern würde.
Besuch von Slum an Bahngleisen in Patna, Schülerinnen und Schüler vor Eingang ihrer Schule sowie Zusammenkunft mit Sister Dorothy Fernandes‘ Team von Streetworkern.
Slum an Bahngleisen in Patna.
Die letzte Etappe führt nach Patna, in die ca. 1,8 Mio zählende Hauptstadt des Bundesstaates Bihar, der zu den ärmsten Staaten Indiens gehört. Hier trifft die Reisegruppe Sister Dorothy Fernandes, die sich gemeinsam mit ihrem Team von Streetworkern und Sozialarbeitern für unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen, die überwiegend zur Gruppe der Kastenlosen (Dalits) gehören, einsetzt. Darunter Tagelöhner(innen), Rickshaw-Fahrer, Straßenfeger(innen), Kleinhändler(innen), Hausangestellte und Hilfsarbeiter(innen) aus diversen Elendsvierteln und Obdachlose. Ihr Alltag in den Slums und bei informellen Arbeiten ist von fehlendem Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäreinrichtungen, Gesundheitsversorgung sowie Bildung geprägt. Sister Dorothy und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten einen Beitrag zur Beseitigung von Diskriminierung und zur Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage sowie Förderung der Selbsthilfekapazität marginalisierter Dalit-Familien, indem Sie die Menschen über ihre Rechte aufklären und sie befähigen, diese eigenmächtig einzufordern.

Zwischen den Projektbesuchen, in  den Staus der Großstädte oder auf den weiten Strecken, die aufgrund der Größe des Landes zurückgelegt werden müssen, hat die Reisegruppe immer wieder Zeit in die fremde Kultur einzutauchen. Es sind jedoch weniger das Taj Mahal und die Höhlen in Aurangabad und deren Jahrhunderte und Jahrtauende alten Mauern, die vor Augen führen, wie anders und fremd diese Kultur westlich geprägten Gästen bleibt. Es ist vielmehr das alltägliche Leben, das sich für die Mehrheit aller Inder auf und an den Straßen abspielt, das die Andersartigkeit verdeutlicht. 80% Hindus, 15% Moslems, 2% Sikhs und nur 2% Christen sowie 1% andere Religionen leben oft auf engstem Raum zusammen. Auch diese Tatsache trägt möglicherweise dazu bei, dass Indien als Land der Gegensätze und schwer verständlich wahrgenommen wird. Einen nicht unbeträchtlichen Anteil an dieser Wahrnehmung hat aber sicherlich das offiziell zwar abgeschaffte, de facto aber überall offensichtlich präsente Kastensystem, das nach wie vor gesellschaftliche Prozesse bzw. Hierarchien bestimmt.

Im Erzbistum sensibilisieren und Bewusstsein schaffen

Eine Sache jedoch wird für die Reisegruppe in Indien sehr klar: der Grund für Papst Franziskus‘ geforderten Einsatz für die Armen in seiner Enzyklika Laudato Si‘. Sein Aufruf zum Kampf gegen die weltweite soziale Ungerechtigkeit erschließt sich im indischen Kontext sofort. Aber auch die Verknüpfung der sozialen mit der ökologischen Frage drängt sich dort unwillkürlich auf: Die Folgen von Umweltverschmutzung (z.B. Abgase und Smog in Delhi, dem die Rickshaw-Fahrer oder die informellen Gemüseverkäufer am Straßenrand täglich ungeschützt ausgeliefert sind) und Klimawandel (extreme Trockenheit in Beed und zunehmende Überschwemmungen in Bihar, gegen die sich arme Dorf- oder Slumbewohner nicht schützen können) werden dort direkt spür- und messbar.  
 
Bei den abendlichen Reflexionen der Reisegruppe kommt immer wieder die Frage auf, wie das Erlebte und Gelernte nachhaltig Einfluss finden kann in die Bildungs- und Bewusstseinsarbeit im Erzbistum - auch wenn oder gerade weil unsere Realität völlig anders ist. Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter des Erzbistums München und Freising, zieht eine wichtige Bilanz für seine Arbeit: „Mir ist in Indien durch das konkrete Erleben nochmals neu bewusst geworden, wie wichtig die globale Dimension auch für meine Arbeit ist. Salopp gesagt, können wir in Deutschland noch so viel Energie einsparen und auf die Erneuerbaren umstellen - wenn sich nicht gleichzeitig in Ländern wie Indien (das 2020 China überholt haben und das bevölkerungsreichste Land der  Welt sein wird) etwas ändert, bleiben unsere Bemühungen gegen den Klimawandel global gesehen vergeblich.“ Fest steht für alle Reiseteilnehmerinnen und -teilnehmer, dass die Aufgabe, im Erzbistum für globale Zusammenhänge zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für weltweite soziale und ökologische Gerechtigkeit zu schaffen, nicht mit dem Fastenaktionszeitraum endet.
Besuch von Slum an Bahngleisen in Patna, Schülerinnen und Schüler vor Eingang ihrer Schule sowie Zusammenkunft mit Sister Dorothy Fernandes‘  Team von Streetworkern.
Besuch von Slum an Bahngleisen in Patna, Schülerinnen und Schüler vor Eingang ihrer Schule sowie Zusammenkunft mit Sister Dorothy Fernandes‘ Team von Streetworkern. (Bild: Weltkirche / EOM)
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