Kaum ein Thema drängt sich aktuell durch Wellness-Zeitschriften so sehr wie die Achtsamkeit. Auf der Suche nach mehr Ausgeglichenheit, nach sich selbst, mehr Entspannung und Zufriedenheit lesen die Menschen aber nicht nur seitenweise Artikel oder probieren Meditations-Apps aus, sie besuchen auch Kurse und Vorträge, um sich neu auszuloten. Einer, der die Menschen bei diesen Bedürfnissen abholt, ist Michael Seitlinger. Was Achtsamkeit bedeutet, wie man eine achtsame Haltung erwerben und wie man sie lernen kann, darauf hat der Meditations- und Achtsamkeitslehrer Antworten. 
	
		
		
			Durch Achtsamkeit die Verbundenheit mit dem Leben erfahren (Bild: unsplash / Stefan Kunze)
		
	 
	 
		
	
	
	
	Einfach gesagt: Achtsamkeit ist eine Grundhaltung, sich im gegenwärtigen Moment zu verankern, ganz da zu sein. Es klingt simpel, ist aber doch (immer wieder) eine Herausforderung. Es gibt viele gesellschaftliche Tendenzen, vor allem in der Arbeitswelt, die das Leben schneller machen und die Verbindung mit dem Hier und Jetzt verlieren lassen. Hier kann die Achtsamkeitspraxis entgegenwirken. Denn durch Achtsamkeit kann man Verbundenheit mit dem Leben erfahren und zugleich lernen, heilsamer mit Dingen umzugehen, die man (vielleicht) nicht ändern kann.
  Ein passenderes Wort für Achtsamkeit ist deshalb auch eher das Wort Zugewandtheit. „Achtsamkeit“ suggeriert Vorsicht, dass man alles sorgfältig tun müsse und vielleicht auch keine Fehler mehr erlaubt seien. Sich dem Leben mehr zuzuwenden greift das, worum es geht, das Bestreben dahinter deshalb vielleicht besser auf.
	
	 
		
	
	
	
	Zunächst steht da sicherlich ein Bedürfnis / eine Sehnsucht, wieder  mehr mit dem eigenen Leben verbunden zu sein, wieder mehr in sich  beheimatet zu sein, mit dem Leben in Kontakt zu sein. Dem Gefühl etwas  entgegenzusetzen, am Ende des Tages gar nicht richtig gelebt zu haben,  weil man nur hindurchgehuscht ist. Die Sehnsucht muss dabei nicht immer  aus beruflichem Stress resultieren, sondern eben aus einem  grundsätzlichen, wenn man so will auch spirituellen Bedürfnis, wieder  mehr bei sich zu sein, mehr zu leben.
  Manchmal gibt es dann Ängste  vor der Stille, die sich in einem auftut, wenn man plötzlich einmal  nichts mehr zu tun hat. In dieser Stille und eben auch im Leben, wo  Stress an einem zerrt und arbeitet, kann man über die Achtsamkeitspraxis  eine neue Verankerung erfahren. So kann es gelingen, nicht mehr im  Alltagsgetriebe hängenzubleiben oder in alten Mustern. Vielmehr bietet  das Training eine Möglichkeit, mehr Freiheit, Gelassenheit,  Souveränität, vielleicht sogar Effizienz entstehen zu lassen. Das ist  aber nicht das unbedingte Ziel.
	
	 
		
	
	
		
		
			So sehen die Achtsamkeitsimpulse von Michael Seitlinger aus. (Bild: unsplash / SMB)
		
	 
	
	Bei der  Achtsamkeit geht es nicht direkt um Entspannung; zumindest  nicht in  erster Linie: „Du musst nichts leisten, Du musst Dich nicht  einmal  entspannen!“, so sage ich manchmal in meiner Übungsanleitung. Es  geht  um eine bewusste und mit Wohlwollen begleitete Wahrnehmung dessen,  was  im gegenwärtigen Moment gerade erlebbar ist, ohne gleich zu  reagieren  oder etwas damit bzw. dagegen zu machen. Es geht um eine  wache, in  gewisser Weise absichtslose innere Zuwendung zu dem, was  unmittelbar  spürbar und erfahrbar ist: Körperempfindungen, Gefühle,  Gedanken,  sinnliche Eindrücke (Hören, Schauen, Tasten, Schmecken,  Riechen). Und  gerade diese annehmende Haltung kann dann auf eine viel  tiefere Weise  Entspannung ermöglichen. 
  Achtsamkeit ist auch keine   Wellnessübungspraxis, weil man auch konfrontiert wird mit den Dingen,   die noch nicht fertig in einem sind. Die vielleicht auch noch wund sind.   Daher ist es immer wieder auch sehr herausfordernd, sich dem zu   stellen, was in einem ist – eben auch den schmerzhaften Dingen.
	
	 
		
	
	
	
	Achtsamkeit ist kein Werkzeug, mit dem man unbedingt schnelle    Veränderungen herbeiführen kann. Es geht vielmehr um eine grundlegende    Haltungsänderung – um die verstärkte Verankerung im gegenwärtigen    Moment. Und um von dort aus, den Dingen, die auf einen zukommen, mit    einem Stück mehr Freiheit zu begegnen und auf sie zuzugehen – jenseits    alter lebensundienlicher Muster. 
  Achtsamkeit entsteht, wenn  ich   mich dem gegenwärtigen sinnlichen Geschehen zuwende, den Körper  spüre,   den Atem wahrnehme oder zum Beispiel nur das Zwitschern eines  Vogels   höre. Sich dabei nicht von heraufkommenden Gedanken ablenken zu  lassen,   kann man zum Beispiel in einem MBSR-Kurs lernen  (Mindfulness-Based   Stress Reduction bzw. Stressbewältigung durch  Achtsamkeit). Aber auch in   jedem Moment, in dem ich mich dem  gegenwärtigen Geschehen zuwende, übe   ich Achtsamkeit.
	
	 
		
	
	
	
	Michael Seitlinger ist Theologe, Coach, leitet das Forum Achtsamkeit und  Stressbewältigung und ist in diesem Zusammenhang selbst als Meditation-  und Achtsamkeitslehrer tätig.
Wenn Sie sich mehr für Achtsamkeit und verschiedene Angebote wie die  MBSR-Kurse interessieren, finden Sie ausführliche Informationen auf der  Seite www.forum-achtsamkeit.de. 
   (Quellen: Interview mit Michael Seitlinger in der Münchner  Kirchenzeitung, Juli 2015; Interview mit Michael Seitlinger in der  Sendung „Einfach leben!“, Münchner Kirchenradio, Juli 2015)