Wenn Papa dich nicht mehr erkennt – eine andere Art des Abschieds

Demenz ist nicht heilbar. Die Familien von Betroffenen stehen häufig vor schwierigen Entscheidungen und Überforderung. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland 1,7 Millionen Menschen mit der Krankheit und die Zahl steigt kontinuierlich an. Das Erzbistum München und Freising widmet sich dem Thema mit einer (ausleihbaren) Ausstellung.
Wenn Ulrich Schäfert seinen 75-jährigen Vater im Pflegeheim besucht, sprechen die beiden nicht miteinander. Sie können nur noch mit den Händen oder Augen kommunizieren. „Es ist eine neue Form der Begegnung“, meint der Theologe aus München. „Ein Abschied vom Vater, den man gekannt hat und zugleich ist der Vater noch da, wie man ihn sein ganzes Leben lang als Vater geliebt hat. Eine ganz besondere, aber auch schwierige Situation.“ Vor sieben Jahren hat Schäferts Vater die Diagnose bekommen. Er leidet an Alzheimer und ist mittlerweile ein Pflegefall. Er kann nur noch im Rollstuhl sitzen, spricht nicht mehr und lebt in seiner eigenen Welt.

Überforderung für die Familie

Auf die Diagnose war Ulrich Schäfert zwar schon ein wenig vorbereitet. Schließlich bekam sein Großvater etwa im selben Alter auch Alzheimer. Deshalb blicken seine beiden Brüder und er selbst mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Aus der Forschung wissen wir, dass mutierte Gene, die auch vererbt werden, für die Erkrankung verantwortlich sein können. Ist ein Elternteil betroffen, besteht eine Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent, dass die Kinder ebenfalls erkranken. Doch auf die neue Situation mit so einer Krankheit kann man sich schlecht vorbereiten. Schäfert versteht, dass sich viele Angehörige überfordert fühlen. Der Theologe kritisiert, dass es zu wenige Anlaufstellen und Informationen gebe. Am besten wäre es, wenn alles, was es zu dem Thema gäbe, gebündelt würde.

Demenz ist noch immer ein Tabuthema

Während viele Demenzerkrankte vergessen, werden andere aggressiv. Hildegard Grosses Lebenspartner fing plötzlich an sie zu beschimpfen und zu bedrohen. Beim Arzt wurden ihm Tabletten verschrieben, um „ihn wieder runter zu holen“. Doch die Situation verbesserte sich nicht. Hildegard Grosse hatte Angst, wurde selbst krank. Schließlich zog sie aus. Der Kontakt zu ihrem Lebenspartner ist nie abgerissen, aber er ist nicht mehr so wie früher. Sie will sich Unterstützung bei einer Beratungsstelle holen, doch die pflegenden Angehörigen haben ganz andere Probleme. Als vor einigen Monaten ihr Lebensgefährte an einem aggressiven Blutkrebs stirbt, bleiben viele offene Fragen. Hildegard Grosse glaubt, dass in der Öffentlichkeit noch zu wenig über Demenz gesprochen wird. Vor allem für die Angehörigen sei es eine fordernde Situation: „Die meisten funktionieren nur noch, habe keine Minute für sich selbst. Einige Ehefrauen brauchen viel Zeit, um sich wieder zu erholen. Es ist so schrecklich, wenn der eigene Mann einen nicht mehr erkennt.“
schwarz-weiß älterer Mann schaut verloren in den Himmel
Zerrissen zwischen Liebe, Trauer, Wut und Ohnmacht - Ausstellung thematisiert Erfahrungen von Angehörigen dementiell erkrankter Personen.

Kunstobjekt soll Angehörige unterstützen

Die Münchner Künstlerin Karolin Bräg hat mit Angehörigen von Demenzerkrankten wie Ulrich Schäfert und Hildegard Grosse gesprochen und das Thema in einem Kunstprojekt verarbeitet, welches von der Fachstelle Demenz im Erzbistum München und Freising initiiert wurde. Unter dem Titel „… weil du mich berührst“ hat Karolin Bräg aus vielen persönlichen Gesprächen Zitate und Fotografien zu einer fünfseitigen Stele verarbeitet, die Angehörige in der gleichen Situation stützen soll. Ziel ist es auch, ihnen klar zu machen, dass sie nicht allein sind, und Impulse zu geben. Die Stele wird bis zum 15. Februar 2019 in der Karmeliterkirche ausgestellt. Ab März können interessierte Pfarreien und Verbände die zerlegbare, lackierte Holz-Stele für eigene Ausstellungen ausleihen.

Text: Andrea Wojtkowiak


Demenz
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