„Die Männer gehen bei uns anders raus, als sie reingekommen sind“ Interview mit MIM-Leiter Andreas Schmiedel

 
Das Thema Gewalt in Bezug auf Männer ist umfassend: Männer können zu Tätern, aber auch zu Opfern werden. Ein Gespräch mit Andreas Schmiedel, dem Leiter der Fachstelle des Münchner Informationszentrums für Männer (MIM). Er berät einerseits gewalttätige Männer und bietet ihnen ein spezielles Training an, wenn sie in Zukunft auf die Ausübung von Gewalt verzichten wollen. Schmiedel unterstützt andererseits Männer, gegen die Gewalt ausgeübt worden ist, mit Beratung und konkreter Opferhilfe bei häuslicher Gewalt.
 
Mann schaut aus Fenster
"Häusliche Gewalt findet in allen Schichten statt"
 
Wo setzen Sie bei Ihrer Arbeit mit Männern an?

Andreas Schmiedel: Männer und Frauen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Männer gehen anders miteinander um, äußern ihre Bedürfnisse und Gefühle anders. Es ist oft eine eher raue Art, wie sie Verbindlichkeiten untereinander herstellen. Viele Männer benutzen ihre Körper als Werkzeug und achten nicht so sehr darauf, was gut für sie selbst ist. Dazu kommt, dass sie sich selbst nur ein enges Gefühlsspektrum zugestehen. Das sind oft Extremgefühle wie die absolute Liebe, absoluter Hass, totale Trauer, dazu vielleicht noch Hunger und Sex. Für Nuancen in den Gefühlen oder einer ernsthaften Auseinandersetzung mit schwierigen Themen wie Trauer und Abschied bleibt oft kein Raum.
 
Wie nehmen Männer, die zu Tätern geworden sind, Ihr Angebot an?

Andreas Schmiedel: Bei der Gewaltrückfallprävention erlebe ich viele Männer, die sich für ihre Taten schämen und bereit sind, dafür Verantwortung zu übernehmen. Eine wichtige Voraussetzung, um Gewaltrückfälle zu vermeiden, ist, dass die Männer lernen, ihre Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Wir arbeiten mit klaren Kommunikationsregeln, angelehnt an die TZI-Regeln von Ruth Kohn: in der Ich-Form reden, keine Verallgemeinerungen, möglichst nicht interpretieren, etc. Diese Regeln helfen ihnen, zu sich zu finden und darüber zu reden, was sie bewegt. Viele empfinden das als angenehm und bereichernd. Es macht sie im Alltag kompetenter, ihre Probleme konstruktiv zu lösen. Beim Gruppenabschluss äußern viele, dass sie die offenen und selbstverständlichen Gespräche mit anderen Männern vermissen werden, obwohl sie ursprünglich nicht freiwillig bei uns gelandet sind.
Andreas Schmiedel
Andreas Schmiedel
Wie gehen Männer damit um, wenn Gewalt gegen sie ausgeübt wird?

Andreas Schmiedel: Für Männer ist dieses Thema nicht einfach. Wenn sie Opfer von häuslicher Gewalt werden, findet neben der körperlichen Erfahrung oft eine zweite statt: Die Erfahrung, Opfer zu sein, und die wird ihnen nicht zugestanden. Sie wird ihnen entzogen. Mit diesem Problem kommen sie oft nur schwer zurecht. Sie leiden doppelt. Aber bei dem Thema ist etwas in Bewegung geraten. Früher dachten viele, dass das ein Thema für den asozialen Rand der Gesellschaft ist. Aber das ist Unsinn: Häusliche Gewalt findet in allen Schichten und in allen Alters- und Einkommensgruppen statt, vom Professor über den Angestellten bis zum Arbeitslosen. In unseren Angeboten der Selbsterfahrung und der Selbsthilfe erleben Männer Unterstützung und gegenseitige Stärkung. Wenn die Männer diese durchlaufen haben, gehen sie anders heraus, als sie hereingekommen sind. Und sind mit sich zufriedener.
Zur Person:
Der Sozialpädagoge Andreas Schmiedel ist Leiter der Fachstelle des Münchener Informationszentrums für Männer MIM. Er ist Fachkraft für Aggressivitätstraining und Coolness-Training, Partnerschaftsgewalt, Elternberatung bei häuslicher Gewalt im Münchener Modell und für sexuelle Kindesmisshandlungen, Mitbegründer des Netzwerks „Jungenarbeit“ sowie Ausbilder und Trainer für Jungen- und Männerarbeit. Zurzeit arbeitet er an einem Programm für Männer, die Gewalt in der Kindheit oder Jugend betroffen waren.

Interview: Christian Horwedel, freier Mitarbeiter, November 2021