Gleitschirmfliegen für Geflüchtete: „Ein unglaubliches Gefühl der Freiheit“ Ein Projekt des FAMI-Zentrums der Erzdiözese hilft jungen Menschen, auf sich zu vertrauen und Ängste zu überwinden

Auf der Flucht haben die meisten der jungen Frauen und Männer Unbeschreibliches erlebt. Beim Gleitschirmfliegen mit Profis können sie sich ihren Ängsten stellen und ihr Selbstvertrauen stärken. Auch das Erleben der Natur und der Ausbau der Teamfähigkeit gehören zu den Zielen der erlebnispädagogischen Aktion, die das Zentrum für Flucht, Asyl, Migration und Integration (FAMI) der Erzdiözese für die Gruppe organisiert hat. Ein Besuch auf dem Osterfeldkopf in Garmisch-Partenkirchen bei Teilnehmenden und Mitarbeitenden.
 
Tandemflug vor Bergkulisse
Tandemflug in überwältigender Natur: Wer es bisher geschafft hat, hat schon eine Menge Mut bewiesen.
Tayebeh (26) und ihr Mann Reza (27) sind sichtlich aufgeregt. Gut 15 Meter voneinander entfernt steht das Ehepaar aus Afghanistan auf dem steil abfallenden Wiesenhang unterhalb des Osterfeldkopfes in Garmisch-Partenkirchen auf 2.033 Meter Höhe. Sie blicken sich ein letztes Mal an. Gleich werden sie großen Mut beweisen, ihre Angst überwinden und losrennen müssen. Rennen, um eine besondere Erfahrung zu machen: per Tandemflug am Gleitschirm wie ein Adler durch die Luft ins Tal zu gleiten.

Vor ihnen öffnet sich der Blick auf eine großartige Gebirgskulisse. Hinter den beiden liegen, an unzähligen Schnüren befestigt, die beiden Gleitschirme in der Wiese ausgebreitet. Wird schon halten. Michael und Ernesto, die Gleitschirmpiloten, überprüfen ein letztes Mal die Gurte und Karabiner, die den Sitzsack der Fluggäste mit der Ausrüstung der Piloten verbinden. Ein Blick auf den Höhenmesser und dann ins Gesicht der beiden Afghanen: Es kann losgehen. „3,2,1 … los“, heißt das Kommando und Tayebeh rennt den Hang hinab. Mit leisem Rauschen spannt sich der mächtige Schirm auf. Ein paar Schritte noch, ein kurzer Schrei und schon schwebt sie mit ihrem Piloten in der Luft. Kurz danach gleitet auch ihr Mann Reza im Tandemgespann durch die Lüfte, vorbei am Längenfeldkopf.
 
Fliegen für das Selbstvertrauen 
 
Tayebeh und Reza vor dem Flug
Ehepaar Reza (li.) und Tayebeh (re.) aufgeregt vor dem Flug
Knapp 1.300 Meter weiter unten erwartet Lena Seglitz das Paar auf dem Landeplatz unweit der Talstation der Alpspitzbahn. Sie ist Referentin in der Abteilung Flucht, Asyl, Migration und Integration (FAMI) der Erzdiözese München und Freising und im neu eingerichteten FAMI-Zentrum für die erlebnispädagogischen Angebote verantwortlich. Geflüchtete und Migranten finden hier niederschwellige Beratungsmöglichkeiten und erlebnispädagogische Angebote. Dazu Ansprache, Seelsorge-Gespräche oder einfach nur einen Ort der Stille und des Rückzugs. Zusammen mit dem Garmischer Gleitschirmunternehmen „Aerotaxi“ hat Seglitz die erlebnispädagogische Aktion „Fliegen für Selbstvertrauen und Unabhängigkeit“ organisiert.

Die Referentin, die Slawistik und Rechtwissenschaft studiert hat und freiberuflich Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, erklärt, was das für Kleingruppen von Geflüchteten angebotene Projekt erreichen soll. Die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 20 und 35 Jahren haben Unbeschreibliches auf ihrer Flucht aus Syrien, Afghanistan, Afrika oder der Ukraine erlebt. „Es geht um die Konfrontation mit Ängsten und Schwierigkeiten, aber auch um das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Stärken und die eigene Persönlichkeit, die durch das Fliegen verstärkt und damit besser sichtbar wird“, erklärt Seglitz.
 
Die Teamfähigkeit wird gestärkt
 
Zwei Tandems bereiten sich bei der erlebnispädagogischen Aktion des FAMI-Zentrums auf ihren Flug vor
Zwei Tandems bereiten sich auf den Start vor.
Gerade die gegenwärtige Zeit sei durch vielerlei Arten von Ängsten, Krisen, persönlichen Grenzen und Schwierigkeiten gekennzeichnet. Wer lerne, damit umzugehen und kleine Ziele zu erreichen, der könne möglicherweise auch später durch den Mut in die eigenen Fähigkeiten das Leben besser meistern. Ebenso seien das Naturerlebnis und die Stärkung der Teamfähigkeit wichtige Anliegen des Projekts. Bei den Teilnehmenden handelt es sich um junge Geflüchtete, die eine willkommene Auszeit aus dem tristen Alltag in den Ankerzentren bekommen, oder junge Menschen, die bereits länger in Deutschland leben. Kontakte vermittelt auch der Verein JUNO in München, der sich für die Interessen von einheimischen und geflüchteten Frauen stark macht.

Die kleine Gruppe von sieben Teilnehmenden hat heute Glück. Bei Traumwetter mit Blick auf die Zugspitze fällt die Entscheidung leichter, sich auf das Abenteuer Gleitschirmflug einzulassen. Alle sprechen gut Deutsch, die Verständigung klappt ohne Probleme. Vor der Bahnfahrt in luftige Höhen und dem Flug hat die Erlebnispädagogin Johanna Schumann aus dem Allgäu die jungen Flüchtlinge mit einem Spiel auf das Abenteuer der Selbsterfahrung eingestimmt. Beim Führen mit geschlossenen Augen in Zweierpaaren geht es um Vertrauen, das Spüren des eigenen Körpers und die Gefühle. Wie geht es mir jetzt gerade?
 
Freude und Begeisterung auf dem Landeplatz
 
Taisija aus der Ukraine stolz zurück am Boden
Taisija: „Man kann es nicht glauben, dass das alles echt ist."
Als nach bestandenem Flug die ersten Tandems wohlbehalten auf dem Landeplatz ankommen, verrät das Strahlen in ihren Gesichtern die Freude über die gelungene Aktion. „Es war unbeschreiblich, ein unglaublicher Ausblick und ich habe keine Angst gehabt“, freut sich der 21-jährige Mohammed. „Man kann es nicht glauben, dass das alles echt ist. Ich bin das erste Mal in den Alpen, ein unglaubliches Gefühl der Freiheit war das beim Fliegen“, erzählt Taisija. Die 35-jährige Ukrainerin arbeitet bei der Caritas mit Geflüchteten. Masume und Habiba aus Afghanistan sprechen von einer „sehr guten neuen Erfahrung“, nachdem sie gegen ihre anfängliche Angst angekämpft und diese überwunden haben.

„Der Tandemflug mit dem Gleitschirm ist ein guter Weg, mit den eigenen Ängsten umgehen zu lernen“, erklärt Fluglehrer Michael Straubinger. „Manchmal hilft es, sich bewusst zu machen, wo die Angst sitzt. Der Kopf spielt verrückt, während der Körper vielleicht ganz ruhig ist.“ Auch das Atmen helfe dabei, ganz im Hier und Jetzt zu sein. „In jedem Fall verändert sich durch das Fliegen dein ganzes Leben“, fasst der langjährige Gleitschirmpilot und Weltcup-Teilnehmer, der zurzeit eine Ausbildung als Gestalttherapeut macht, seine Erfahrungen zusammen.
 
Stolz, es geschafft zu haben
 
Sein Kollege Thomas steuert eine Erfahrung des vergangenen Flugs mit Geflüchteten bei, bei dem der Start noch im Schnee erfolgte. „Da sprach keiner Deutsch und wir haben mit YouTube-Filmen erklärt, was beim Start und beim Fliegen alles zu beachten ist. Aber auch die waren stolz, als sie sich mit ihrem ganzen Mut auf das Flugabenteuer eingelassen haben.“ Als die Teilnehmenden zum Schluss zum Resümee zusammenkommen, ist der neugewachsene Gruppengeist spürbar: Ich habe mich getraut! Wir haben uns getraut!

Text: Axel Effner, freier Redakteur, Oktober 2022
 

Die Angebote des Zentrums für Flucht, Asyl, Migration und Integration (FAMI)

Das Zentrum für Flucht, Asyl, Migration und Integration (FAMI) ermöglicht nicht nur erlebnispädagogische Erfahrungen. Das neu eingerichtete Zentrum der Erzdiözese München und Freising will vor allem auch ein Ort der Seelsorge sein und unterschiedliche Gesprächs- und Beratungsmöglichkeiten anbieten. Zudem finden hier Vereine, Wohlfahrtsverbände, Helferkreise sowie Ehren- und Hauptamtliche, die sich im Bereich Flucht, Asyl, Migration und Integration engagieren, Ansprechpersonen, zum Beispiel wenn es um den fachlichen Austausch und Fortbildungen, Netzwerk-Kooperationen, neue Projekte oder Schulveranstaltungen geht.

 
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