Den Alltagstrubel bewusst durchbrechen: Mit dem Radl um die Welt Gemeindereferent Nicolas Gkotses nutzte sein Sabbatical, um alle fünf Kontinente zu bereisen

Gemeindereferent Nicolas Gkotses ist begeisterter Radfahrer. Doch seine Touren führen ihn nicht nur täglich von seinem Wohnort Mühldorf zum Pfarrhaus in Waldkraiburg. Im Sommer 2019 brach er zu einer Weltreise auf, bei der er mit dem Fahrrad fünf Kontinente bereiste und einen neuen Blick auf das Leben gewann.
 
Nicolas Gkotses mit seinem Radl
Nicolas Gkotses mit seinem Radl
Schon seit langem fährt Nicolas Gkotses für sein Leben gerne Fahrrad. Schuld daran ist die Münchner S-Bahn, sagt er. Sie war ihm zu unzuverlässig. Da er kein Auto besitzt, blieb als Fortbewegungsmittel nur noch das Fahrrad übrig. Jeden Tag fährt er zwölf Kilometer von seinem Zuhause in Mühldorf nach Waldkraiburg. Dort arbeitet er als Gemeindereferent.

Sein Dienst ist katechetisch, das heißt, er steht nicht der Eucharistiefeier vor, sondern hält Predigten, leitet Wortgottesdienste und Beerdigungsämter. Außerdem ist er in der Kinder- und Familienpastoral tätig. Regelmäßig organisiert er die Kinderkirche, die parallel zur Eucharistiefeier stattfindet. Im Dezember spielte er für die Kleinen den Nikolaus. Zudem betreut er die Ministranten und hält jede Woche einen Wortgottesdienst im Altenheim.

Als er mit dem Radeln begann, wollte er sich selbst herausfordern. „Der erste Winter war sehr hart“, erinnert sich Gkotses. Schließlich sei er ohne Vorerfahrung an die Sache herangegangen. Doch nach dem ersten Winter hatte er „den Dreh raus“, erzählt er stolz. Ab 2017 begann er, mit dem Fahrrad zu reisen, und integrierte sein Hobby in die Urlaubsplanung. Er fuhr den Donauradweg über die Alpen und legte „kleinere“ Strecken Richtung Nordbayern zurück. Dann folgte die erste große Tour: Von München über Berlin nach Hamburg. Die Begeisterung wuchs: „Ich war fasziniert, dass man mit so einem einfachen Gerät so weit herumkommt“, sagt Gkotses.
Über die Route machte er sich keine großen Gedanken. Von München ging es 200 Kilometer am Stück durch die Oberpfalz, dann 460 Kilometer weiter in die Bundeshauptstadt. Am Ostermontag war er in München gestartet, mittwochs kam er in Berlin an. Am Samstag war er schon in Hamburg. Das Fahrradfahren wurde für ihn zum meditativen Erlebnis: „Irgendwann ist der Körper so trainiert, dass man die Erholungsphasen auf dem Fahrrad macht. Dann sind zehn bis zwölf Stunden am Stück kein Problem.“

Griechenland als Feuertaufe

Immer mehr wuchs in dem Gemeindereferenten der Wunsch, mit dem Fahrrad die Welt zu erkunden. So fuhr er nach Griechenland, um dort Freunde zu besuchen. Schließlich ist er halber Grieche. Im Durchschnitt schafft er ohne Gepäck 25 km/h, aber das sei sehr anstrengend. Wenn er seine Ausrüstung dabei hat, sind es „nur“ 20 km/h.

Sein Gepäck für weite Reisen nennt er „Wohnen in Klein“: Er hat alles dabei, was es zum Kochen und Waschen braucht, außerdem Kleidung, eine Isomatte, einen Schlafsack und eine kleine „Werkstatt“, um sein Rad reparieren zu können. Auch die Tour nach Griechenland ging er spontan an: Mit dem Fahrrad fuhr Gkotses nach Venedig, dann mit dem Schiff nach Petras an der Westseite Griechenlands und schließlich nach Peloponnes.
Nicolas Gkotses
Nicolas Gkotses
Auf der Fahrt nach Griechenland reifte der Gedanke, mit dem Fahrrad die ganze Welt zu entdecken. Dafür löste er im Sommer 2019 seine Wohnung in München auf und stellte sein Hab und Gut bei Verwandten unter. Mitte August ging es los: Von Waldkraiburg nach Dubai, wo er im Oktober ankam. Unbedingt wollte er durch den Iran radeln – ein Land, in das man als normaler Tourist nicht kommt, wie er erzählt. Von Dubai aus hätte er bis Singapur durchradeln können, hätte aber Ärger mit dem Visum befürchten müssen. Deshalb radelte er von Flughafen zu Flughafen, schließlich sei das vor Corona noch total unkompliziert gewesen.

Radeln auf der Autobahn

Im Iran und der Türkei fuhr er auf dem Seitenstreifen der Autobahn. „Das muss man mögen“, gibt Gkotses zu. Die Lautstärke sei anstrengend, aber die Fahrt selbst ungefährlich. Weiter ging es nach Südostasien. In Vietnam regnete es, also machte der Weltenbummler einen Schlenker nach Laos. Von dort ging es 1.800 Kilometer weiter nach Bangkok. Dort gefiel ihm vor allem das Essen, aber Wildcampen war dort nicht möglich, also suchte er sich einfache Hotelunterkünfte.
Ende November stand Australien auf dem Reiseplan. Dort war gerade ein besonders heißer Sommer: Am 18. Dezember waren es im Durchschnitt 40 Grad Celsius, der Höchststand lag bei 52 Grad. Eine anstrengende Etappe, also hieß es: Viel trinken! 14 Liter waren es pro Tag. „In Melbourne habe ich dann erst mal zwei Tage geschlafen“, erinnert sich Gkotses. Aber die Reise habe sich trotzdem gelohnt: „Die Natur in Australien ist beeindruckend!“ Außerdem lernte er dort Theo kennen, mit dem er in den nächsten fünf Wochen unterwegs war. „Der hat die meiste Zeit am Tag geschimpft, wenn wir unterwegs waren“, lacht der Gemeindereferent.

Entspannung in Neuseeland

Neuseeland war für Gkotses jedoch erholsam, auch wenn ungeübte Fahrradfahrer die Strecke wohl als anstrengend empfinden würden. Doch er war schon dankbar, dass es plötzlich nur noch 24 Grad warm war. Von Südamerika ging es im März 2020 weiter nach Marokko. Doch das Corona-Virus machte seiner weiteren Route einen Strich durch die Rechnung: „Von einem Tag auf den anderen war es vorbei.“

In Marokko hatte man Angst vor Touristen, die das Virus in sich tragen könnten. Also fällte er innerhalb von einer Nacht die Entscheidung, seine Reise abzubrechen. Er schnallte sein Fahrrad oben aufs Taxi und musste zusammen mit 1.000 anderen Menschen sein Zelt in der Nähe des Flughafens aufschlagen. Als Teil der Luftbrücke wurde er nach Hause geflogen.
Trotzdem war das nicht das Ende seiner Reise: Im Mai 2020 war Schweden als einziges Land offen zugänglich. Also fuhr er von Bamberg aus zum Polarkreis. Die Einsamkeit in Lappland beeindruckte ihn: „Da waren keine Menschen, nur Mücken – und hunderte Rentiere.“ Er badete nur in kalten Seen und Bächen und erlebte die Sommersonnenwende mit.

Dankbar für die ganz normalen Dinge

Die Weltreise machte den Hobbyradler demütiger: „Ich bin heute viel dankbarer für ganz normale Dinge. Heute weiß ich meine kleine Wohnung in Mühldorf viel mehr zu schätzen. Ich bin schon froh darüber, dass ich eine Küche und warmes Wasser habe.“ Auch seine Sicht auf die Welt habe sich verändert, schließlich werde alles viel konkreter, wenn man es mit dem Fahrrad erfasse. Überhaupt war es ihm wichtig, dass die Reise möglichst „konkret“ verläuft: Zu Fuß wäre es ihm zu langsam gewesen, mit dem Auto zu schnell. Doch er gibt zu, wie anstrengend so eine Weltreise mit dem Radl ist.
Zu verdanken hat er das Sabbatical nicht nur seiner Begeisterung fürs Fahrradfahren, sondern auch seinem Arbeitgeber: „Ich wusste, dass die Kirche Anrecht auf ein Sabbatjahr gibt. Also bin ich zu meiner Vorgesetzen gegangen und erfuhr, dass das sogar innerhalb eines Jahres möglich ist.“ Während er unterwegs war, bezog er ein reduziertes Gehalt. So musste er nicht an sein Erspartes gehen. Die Kosten für ein solches Sabbatjahr auf dem Fahrrad sind von Land zu Land unterschiedlich: In der Türkei gab er 10 Euro pro Tag für Nahrung aus, in Norwegen 25 Euro. Der größte Kostenfaktor waren die Flüge. Alle sieben bis acht Tage musste er statt im Zelt im Hotel übernachten, um waschen und duschen zu können.

Wenn er an die Reise zurückdenkt, überwiegen die schönen Erinnerungen: „Es war körperlich zwar sehr anstrengend, aber als ich wieder gearbeitet habe, war der Kopf frei“, sagt Gkotses. Er wurde auf die Basics zurückgeworfen: Fahrrad fahren, schlafen, essen. Das war ihm wichtig, schließlich habe er als Gemeindereferent sehr viel zu tun und müsse sich jeden Tag auf neue Aufgaben und neue Menschen einstellen. Nun war er mit sich allein.
 
Text: Maximilian Lemli, Redakteur beim Michaelsbund, Januar 2023