Land, Leute, Literatur Schriftsteller über die Region links und rechts der Isar

Sie haben gestaunt, gelobt, gewettert und geschimpft - das Land links und rechts der Isar hat Literaten über die Jahrhunderte immer wieder bewegt. Und oft standen Kirchen, Klöster und Wallfahrtsorte im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Ein Streifzug von der Krypta des Freisinger Doms bis in die Isar-Auen.
Isar bei München
Isar bei München
Von der höchsten Kapelle Deutschlands bis zum höchsten Backsteinturm der Welt reicht das Erzbistum München und Freising: von der Zugspitze bis ins niederbayerische Landshut. Das Gotteshaus auf Deutschlands höchstem Berg wurde erst vor 40 Jahren eingeweiht. Der mächtige Kirchturm in Landshut ist mehr als zehn Mal so alt. Der vielfach nur noch aus Straßenbenennungen bekannte Hans Carossa hat in seinem auch heute noch lesenswerten Erinnerungsbuch "Verwandlungen einer Jugend" eine Besteigung des Turmes geschildert. Sie bildet den Abschluss seiner Schulzeit in der Isarstadt: „…man bückte sich zu einem kleinen Schritt und stand auf einmal zwischen Himmel und Stadt, nur durch ein karges Gewinde gotischen Zierats vom Absturz geschieden.“ In der gesamten Schilderung ist ein Schauder zu spüren, eine Einsicht in die Abgründe des Lebens, gleichzeitig ein ehrfürchtiges Staunen vor dem Geheimnis des Lebens und der Schöpfung.
Das findet sich in den literarischen Zeugnissen aus der Region, in denen sich das heutige Erzbistum ausbreitet, immer wieder. Diese Zeugnisse aus einem vor allem landwirtschaftlich geprägten Raum, sind häufiger zu finden als man meint. Es ist eine Region, von der der Schriftsteller Herbert Rosendorfer einmal meinte: „Gegenden nördlich des Alpenhauptkammes sind aus klimatischen Gründen für Menschen unbewohnbar.“ Die unzähligen Menschen, die es seit Jahrtausenden in diese Gegend zieht, sind da offenkundig ganz anderer Meinung.
Dom in Landshut
Dom in Landshut
Und zwar schon seit langem: „Herrlichstes Land, erstrahlend in Anmut, überreich an Wäldern, fruchtbar an Wein, ergiebig an Eisen, an Gold und Silber und Purpur. Die Männer hochgewachsen und strotzend in Kraft, aber gutmütig und handsam. Das Erdreich gesegnet mit Garben, Zugvieh und Herden, so viel, dass sie fast den Boden bedecken. Auch das Bergland fruchtbar und für die Weide bereit, gute Kräuter im Überfluss. Die Wälder prachtvoll besetzt mit Hirschen und Elchen und Auerochsen, mit Gemsen und Steinböcken und mit Wildzeug aller Art.” So hielt es der Freisinger Bischof Arbeo, der laut Wikipedia „als erster Schriftsteller deutscher Herkunft gilt“, schon im 8. Jahrhundert fest. Mit Klostergründungen in Schäftlarn und Schliersee sorgte er für die Verwaltung dieses natürlichen Reichtums genauso wie für Schriftkultur. Die beschränkte sich nicht nur auf Rechnungen, Chroniken oder Heiligenlegenden.
In Kloster Tegernsee gab es mit dem Kellermeister, Kanzleischreiber und Schullehrer Froumund schon um das Jahr 1000 einen virtuosen Autor von Briefen und Gedichten. In den darauffolgenden Jahrzehnten ist in dem Kloster auch einer der ersten Versromane in Bayern entstanden, allerdings in lateinischen Versen und nur als Bruchstück erhalten. „Der Ruodlieb“ beschreibt die Welt der Ritter, aber auch der Bauern, von denen der Verfasser offenbar wusste, wie wichtig sie für dieses Land sind. Zu Ehren des Kaisers Barbarossa ist in Tegernsee auch das Antichristspiel, das Ludus de Antichristo, entstanden, in dem ein Imperator prompt auf ein Scheinwunder hereinfällt.
Schloss und Kirche St. Qurin Tegernsee
Wiege des Tegernseer Tals: Das ehemalige Kloster Tegernsee
Autoren aus und in Altbayern pflegen öfter ein skeptisches Menschenbild, das vor Selbstüberschätzung warnt, das reicht bis zu Carl Amery, von dem später noch die Rede sein wird. Trotz aller Skepsis gegen die Natur des Menschen schwang sich Tegernsee im Hochmittelalter zu einem der wichtigsten geistigen Zentren Europas auf. Es konnte sich die Kulturpflege leisten, zeitweise gehörten zu der Abtei über 11.000 Bauernhöfe, aus deren Erträgen sich die Schreibstube und die dazugehörige Buchmalerei finanzieren ließ.
Trotzdem beklagte sich der berühmteste deutsche Dichter des Mittelalters über die Tegernseer Mönche, deren Gastfreundschaft er 1215 genoss. Die setzten Walter von der Vogelweide viel mehr „wazzer“ als Wein vor, und das schmeckte dem Dichter nicht. Die Abtei investierte wohl lieber in Bücher: 2.000 Handschriften soll sie besessen haben. Der berühmte Philosoph und Kardinal Nikolaus von Kues hat bestimmt bei einem längeren Besuch darin geblättert, oder Belege für seine eigenen Schriften darin gesucht. Eines seiner Hauptwerke "Das Sehen Gottes" (De visione Dei) von 1453 hat er den Tegernseer Mönchen sogar gewidmet.
Ludwig Thoma
Ludwig Thoma
In der Region des heutigen Erzbistums München und Freising mit seiner guten Bergluft, seinen reichen Getreidefeldern und lichten Buchenwäldern war offensichtlich gut gelehrsam sein. Otto von Freising ist da nicht zu vergessen, einer der wichtigsten Geschichtsschreiber des Mittelalters, den Umberto Eco in seinem Roman „Baudolino“ ausführlich vorstellt. Allerdings lebten zwischen Isar und Inn - die weiter östlich gelegenen Bistumsgebiete gehörten bis zur Säkularisation seelsorgerlich und an manchen Stellen auch politisch zum Fürstbistum Salzburg - nicht nur Mönche und Gelehrte. Besonders auf dem flachen Land war das Leben für die sogenannten kleinen Leute oft hart, auch wegen der klimatischen und natürlichen Bedingungen. Nicht überall war „das Erdreich gesegnet“. Der Getreideanbau an den Alpen ist wenig ertragreich, daher die Milch- und Viehwirtschaft, aber auch die eiszeitlichen Talrinnen mit Schotterböden, etwa im Dachauer Raum sind oft wenig fruchtbar. Da ist dann der Menschenschlag vielleicht etwas kantiger als anderswo, so wie ihn Ludwig Thoma in seinem großen Roman "Der Ruepp" darstellt.
Es ist aber auch ein Menschenschlag, der eine klangvolle, bildmächtige und spielerische Sprache liebt. Nicht umsonst hatte der berühmte Barockprediger Abraham a Sancta Clara im Kloster und Wallfahrtsort Taxa bei Odelzhausen großen Erfolg. Seine Predigten verband der wortgewaltige Augustinermönch gerne mit deftigen Warnungen vor der Genusssucht. Vielmehr sollten die Gläubigen angesichts himmlischer Wunderzeichen bekehren. Denn der menschliche Leib sei nur ein „Madensack“ oder eine „Mistbutten“. Auch wüste antijudaistische Ausfälle fehlen bei Abraham a Sancta Clara nicht und dem Volk gefiel's.
Freisinger Dom
Dom zu Freising
Gegen dessen Aberglauben, Wallfahrtsfreude, Wundersucht und Pfaffengläubigkeit wettert dann 150 Jahre später genauso heftig und literarisch eindrucksvoll einer der bedeutendsten bayerischen Schriftsteller der Aufklärung: Johann Pezzl. In seiner „Reise durch den „Baierischen Kreis.1784“ berichtet der ehemalige Klosternovize angewidert von „einem Monument des Aberglaubens“. Im Freisinger Dom war in einem Glaskasten ein mumifizierter Fuß aufbewahrt. Er soll einem Bauern gehört haben, der gerade zum Kirschenpflücken auf einem Ast saß und nicht einmal einen einzigen Fuß zu einer Wallfahrt schicken wollte, zu der die Pfarrei gerade aufbrach. Prompt fiel dem Mann ein Fuß ab. Damit nicht genug. Sein am Stamm des Baumes liegender Hund schloss sich dem Pilgerzug an und trug das Körperglied zum Altar des heiligen Sigismund, dem die Wallfahrt galt. Die ganze Geschichte war dann auch noch auf einer Tafel unter dem Glaskasten aufgeschrieben.
„Wer schämt sich nicht, dass in unserem philosophischen Jahrhundert dergleichen Dinge noch öffentlich, mit Bewilligung und unter den Augen eines deutschen Bischofs erscheinen dürfen?“, schreibt der Voltaire-Verehrer Pezzl empört, der sich aber mit dem sicheren Gespür des Schriftstellers diese Reliquien-Story nicht entgehen lässt. Der kämpferische Aufklärer nimmt seine Landsleute aber auch in Schutz. Sie würden oft für ihre „wilde Tapferkeit“ getadelt, sie seien undiszipliniert, so dass „sie sich in keinen regelmäßigen Militärdienst fügen wollen“. So ein Volk sei aber „besser und brauchbarer, als ein weiches, entnervtes“. Wenn sie nur etwas verstandesmäßiger und nicht so schwärmerisch fromm wären, klagt Pezzl.
Thomas Bernhard, der seine Kindheit in Traunstein verbracht hat, war da noch galliger. „Blöd, wie die Schafe scharen sich die Kleinkrämer um die Kirche und blöken sich tagaus, tagein zu Tode!“ Das müssen sich die Traunsteiner nicht zu Herzen nehmen. Der österreichische Schriftsteller hat aus dem Schimpfen eine literarische Kunstform gemacht. Welche geistige Kraft jedoch in dieser altbayerischen Religiosität steckt, hat Joseph Ratzinger, der ebenfalls in Traunstein aufgewachsen ist, in seinen epochemachenden Werken gezeigt.
Bestiensäule in der Krypta des Freisinger Doms
Bestiensäule in der Krypta des Freisinger Doms
Ebenfalls mit großen theologischen Fragen hat sich Carl Amery in einem vertrackten Roman befasst: „Das Geheimnis der Krypta“. Er steigt nicht wie Hans Carossa auf den höchsten Backsteinturm der Welt hinauf, sondern in die Tiefen des Freisinger Doms hinab. Dessen romanische Bestiensäule ist der Mittelpunkt einer großen Weltverschwörung, an deren Ende eine planvoll durchgeführte Dezimierung der Weltbevölkerung steht. Wie immer in seinen Büchern erschließt Amery, was die moderne Zerstörung der Natur anrichtet und welche furchtbaren moralischen Konsequenzen sie heraufbeschwört. Es ist auch die Sorge um seine, Amerys Heimatregion, die vom Freisinger Domberg weithin zu überblicken ist und ein fast verzweifelter Appell, sie nicht zu zerstören.
Die Anmut und die Schönheit dieser Landschaft ist einem schlichten, schlagerhaften Songtext von Fred Rauch zusammengefasst. Der einzigartige Volkssänger Kraudn Sepp hat das Lied interpretiert, auf Youtube ist es nachzuhören: Die Isar schlingt ihr grünes Band/Durch dieses schöne, stolze Land/Die Gipfel weiß, der Himmel blau/Mein Herz mir lacht, wohin ich schau/Es muss ein Sonntag g'wesn sein/Ein Tag voll hellem Sonnenschein/Es war ein Glückstag ganz gewiss/Wie unser Bayernland enstanden is… Das klingt ein wenig kitschig, aber fast wie Bischof Arbeo.
Text: Alois Bierl, Chefreporter Sankt Michaelsbund