Brückenbauer zwischen Kirche und Arbeitswelt Betriebsseelsorge – eine Form der Pastoral

Immer dann, wenn Arbeitnehmer:innen Ärger an der Arbeitsstelle oder Angst um ihren Job haben, wenn Betriebsräte oder Mitarbeitervertreter einen Rat brauchen, treten sie auf den Plan: Betriebsseelsorger:innen. In der modernen Arbeitswelt sind sie gefragter denn je. Ein Interview mit dem Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum München und Freising, Christian Bindl, und der Betriebsseelsorgerin Irmgard Fischer.
 
Betriebsseelsorgerin Irmgard Fischer und der Leiter der Betriebsseelsorge in der Erzdiözese München und Freising Christian Bindl
Irmgard Fischer (l.) und Christian Biendl
Herr Bindl, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind nur zwei Aspekte eines sich rasant verändernden Arbeitsumfeldes für den Großteil der Beschäftigten. Wie muss Betriebsseelsorge darauf reagieren?

Christian Bindl: Für die Betriebsseelsorge ist die Entwicklung genau so neu wie für alle anderen. Das heißt, wir sind gezwungen, auszuprobieren, was der richtige Weg ist, und da sind wir mittendrin. Wichtig wäre, dass sich in Sachen Mitbestimmung einiges ändert: In technischen Dingen hat die Arbeitgeberseite immer einen Wissensvorsprung. Das heißt, wenn ein Betriebsrat auf Augenhöhe verhandeln will, dann wäre es aus Sicht der Betriebsseelsorge wichtig, dass derselbe Wissenstand hergestellt wird.

Unsere Aufgabe ist es dabei erstmal zu schauen, wie es den Menschen in den Betrieben geht. Der Ansprechpartner ist da der Betriebsrat, einen anderen Zugang haben wir als katholische Betriebsseelsorger nicht. Vor der Pandemie hatten wir zum Beispiel Betriebsrätetreffen, bei denen sich Betriebsräte verschiedener Branchen ausgetauscht haben, sozusagen als kollegiale Beratung. Das ist ein Forum, das immer gut gelaufen ist und von dem wir hoffen, dass es in der nächsten Zeit auch wieder gut anlaufen wird. Außerdem sind wir natürlich auch in den verschiedenen Gremien, in denen wir aktiv sind, mit den Problemen der Arbeitswelt konfrontiert und dort ebenfalls immer Ansprechpartner. Dieser Betrieb kann dann die Erzdiözese München und Freising sei, es kann die Bahn oder auch eine Abteilung bei BMW sein.
 
In Zusammenhang mit den Veränderungen wird auch immer von der „Transformation in der Arbeitswelt“ gesprochen. Was ist damit gemeint?

Christian Bindl: Das Thema ist die sozial-ökologische Transformation, ein sehr weitreichendes Thema. Da geht es nicht nur, wie viele glauben, um die Umstellung vom Verbrenner auf den Elektromotor. Da geht es um den Wechsel zu einer CO²-neutralen Wirtschaft, der aber gleichzeitig sozial abgefedert ist. Das betrifft zum Beispiel auch die Heizung, die Wärmedämmung in den Gebäuden oder auch die Ernährung – es betrifft eben alle Bereiche, die zu einem Anstieg des CO²-Verbrauchs führen. An der sozialen Abfederung arbeiten wir in den verschiedenen Gremien – auch mit den Gewerkschaften – und versuchen unseren Teil beizutragen.

Frau Fischer, sie sind in den Bereichen Mobbing und Konfliktberatung speziell ausgebildet, auch in der Supervision. Ist Mobbing ein innerbetriebliches Thema, mit dem sich die Betriebsseelsorger vermehrt auseinandersetzen müssen?

Irmgard Fischer: Nein, das Thema ist ein Dauerbrenner. Es gibt schon in manchen Branchen, wenn Umstrukturierungen anstehen, einen Anstieg, weil etwa Stellen abgebaut werden. Dann werden die Ellenbogen ausgefahren, damit man zu denen gehört, die bleiben können. Im Allgemeinen aber steigen die Zahlen nicht an. Die Rolle der Betriebsseelsorge ist in diesem Problembereich, eine Beratungsstelle außerhalb des Betriebs zu bieten, als geschütztem Ort. Hier kann man erstmal alles erzählen und sich selbst sortieren. Da stellen sich dann Fragen wie „Liegt es an mir?“ oder „Was genau ist eigentlich passiert?“. Das nennt man Selbstklärung, um herauszufinden, was der Mitarbeiter dagegen tun kann.

Ein zweites Feld ist dann, ob man an den Strukturen etwas ändern kann. Wir haben ja Kontakt zu den entsprechenden Betriebs- und Personalräten. Die sind bei diesem Thema oft auch recht hilflos, eher auf kollektive Regelungen spezialisiert und wissen nicht, wie sie mit einzelnen Mobbing-Fällen umgehen sollen. Da braucht es dann oft Überzeugungsarbeit, damit ein Betriebsrat ein Mitglied auf eine Schulung schickt.

Außerdem werde ich oft auch zu Betriebsversammlungen als Referentin zum Thema „Fair Play am Arbeitsplatz“ eingeladen. Da geht es oft um „das Betriebsklima“, weil es vielleicht nicht opportun ist, das Thema Mobbing offen zu benennen. Unser Ansatz geht dabei immer über die Betroffenen und die betrieblichen Interessenvertretungen. Manchmal rufen aber auch Führungskräfte an, die Mobbing-Vorwürfe auf den Tisch bekommen und nicht wissen, wie sie die Vorwürfe einschätzen sollen.

Und was man ebenfalls erwähnen muss: Auch im kirchlichen Bereich, zum Beispiel bei den kirchlichen Verbänden, kommen häufig Vorwürfe wegen Mobbing vor. Hier wäre ein gutes Konflikt- und Beschwerde-Management wichtig, bei dem viele kirchliche Arbeitgeber Nachholbedarf haben.

Herr Bindl, der Sonntagsschutz ist auch ein Dauerbrennerthema. Wird sich da etwas verändern?

Christian Bindl: Es wird sich wohl nichts verändern, die Sonntagsallianz wird weiter aktiv bleiben. Die Sonntagsallianz ist ein Zusammenschluss von Gewerkschaften mit kirchlichen Verbänden und Einrichtungen, auch der Betriebsseelsorge. Unterstützung kommt auch von Vereinen und mittelständischen Unternehmen, die nicht in der Lage sind, am Sonntag zu öffnen. Sie fallen dann teilweise auch dem Wettkampf zum Opfer, den die großen Firmen sich liefern. Die Bayerische Staatsregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir wollen beim Ladenschluss weitere lange Einkaufsnächte sowie den durchgehenden Betrieb von digitalen Kleinstsupermärkten als neue Form der Nahversorgung ermöglichen.“ Da sollten wir die Augen offenhalten, es gibt ja auch Versuche, sonntags große Möbelmärkte zu öffnen.

Der Sonntag ist im Grundgesetz geschützt und das hat auch seinen Sinn. Die Mitglieder der Sonntagsallianz arbeiten alle gut zusammen, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir nicht klein beigeben. Der Sonntag ist der einzige Ruhetag in einer komplett durchkommerzialisierten Welt, das muss erhalten bleiben!
 
Betriebsseelsorgerin Jessica Tomkin am 27. April 2023 auf dem Workers Memorial Day auf der Baustelle an der Donnersberger Brücke in München
Gedenkstunde zum Workers Memorial Day an der 2. Stammstrecke
Die Betriebsseelsorge hat sich auf Gebiete wie die Arbeitslosenseelsorge ausgeweitet. Was tut sich da?

Christian Bindl: Die Arbeitslosenseelsorge gibt es nicht in jedem Bistum. In unserer Diözese gäbe es sie, aber die Stelle ist seit langer Zeit nicht besetzt, was ich sehr bedaure. Wir brauchen die dringend. Wir hätten auch Ehrenamtliche beziehungsweise Leute, die – selbst von Arbeitslosigkeit betroffen – für geringes Geld bereit wären, andere zu beraten. Hier könnte man für Menschen, die ohnehin in finanziellen Schwierigkeiten sind, sich aber gut auskennen, einen Arbeitsplatz in der Erzdiözese schaffen. Man muss gut in der Materie bewandert sein und ist den ganzen Tag beschäftigt. Nebenher ist diese Arbeit nicht zu machen. Für die Linderung von Not sind im Augenblick zwei Ehrenamtliche sehr hilfreich, die zum Beispiel wissen, welche Formulare man wann ausfüllen muss. Wir hätten für diese Stelle die Unterstützung der Caritas, aber es geht nichts vorwärts.
 
In Folge von Langzeitarbeitslosigkeit häufen sich psychische Erkrankungen bei Arbeitnehmer:innen. Wie kommt das, wie geht die Betriebsseelsorge damit um?

Christian Bindl: Meine Beobachtung ist folgende: Die Arbeitslosigkeit in Bayern ist ja sehr niedrig. Es kann sein, dass sich das in Zukunft ändern wird, weil die wirtschaftliche Lage sich nicht so positiv entwickelt, aber das weiß ich heute noch nicht. Ich bin aber der Überzeugung, dass die Langzeitarbeitslosigkeit darauf beruht, dass Menschen psychische Probleme oder andere Krankheiten haben. Wir haben es, glaube ich, mit Menschen zu tun, die sich überhaupt schwer tun werden, eine Arbeit zu finden. Und da nutzt es auch nichts, wenn die Politik sagt, man muss die Menschen in Arbeit bekommen. Das funktioniert bei manchen Menschen nicht – und dennoch haben sie ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Das zu garantieren, ist Aufgabe von uns allen in unserer Gesellschaft.

Ich habe gelesen, dass es auch einen eigenen Betriebsseelsorger für die 2. Stammstrecke der Münchner S-Bahn gibt, der im Ordinariat angesiedelt ist. Das klingt für Außenstehende erstmal eigenartig…

Christian Bindl: Das ist gar nicht so innovativ – im Bistum Rottenburg-Stuttgart beim Bau von Stuttgart 21 gibt es das schon seit vielen Jahren. Die Erfahrungen waren so positiv, dass die Betriebsräte der Baufirmen für die 2. Stammstrecke einen Brief an das Ordinariat geschrieben haben und die Idee auch für diese Münchner Großbaustelle eingebracht haben. Die Erzdiözese hat dann diese Betriebsseelsorgerstelle relativ schnell eingerichtet.

Der Grundgedanke dabei ist, dass die Arbeit auf diesen Baustellen sehr gefährlich ist und dass sehr viele Menschen aus sehr vielen Ländern zusammenkommen. Der Kollege arbeitet sich da gerade ein und das ist nicht ganz einfach, weil man verschiedenste Sicherheitsvorkehrungen beachten muss und weil sich der Seelsorger womöglich frei bewegen können sollte. Und das verlangt einiges an Wissen – man zählt auf solchen Baustellen die unfallfreien Tage

Ein Hintergedanke bei der Stelle ist auch, dass es zwischen den Pfarrgemeinden ringsum und den Menschen, die an der Strecke arbeiten, eine Vernetzung gibt. Unsere erste Veranstaltung in diesem Zusammenhang wird der „Workers Memorial Day“ sein: Das ist der Tag, an dem all der Toten gedacht wird, die am Arbeitsplatz verstorben sind. Auf der Baustelle wird der Tag am 29. April begangen, federführend ist hier die IG BAU. Es wird einen kleinen Gottesdienst geben und hinterher eine gemeinsame Brotzeit – auch das sind Aufgaben, die ein Betriebsseelsorger hat.
 
Text: Willi Witte, Radioredakteur beim Sankt Michaelsbund, März 2024

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