Betriebsseelsorge an der Zweiten Stammstrecke Jessica Tomkin begleitet die Arbeitnehmer:innen auf der S-Bahn-Baustelle in München

Seit einem knappen Jahr ist Jessica Tomkin Betriebsseelsorgerin der Erzdiözese München und Freising beim Projekt „Zweite Stammstrecke“ in München. Anfangs musste sie sich einige flapsige Sprüche gefallen lassen, aber inzwischen hat sich die Seelsorgerin Respekt und Vertrauen erarbeitet.
 
Betriebsseelsorgerin Jessica Tomkin auf der S-Bahn-Baustelle
Betriebsseelsorgerin Jessica Tomkin auf der Baustelle, außerhalb der Betriebszeiten ausnahmsweise mit abgesetztem Helm
27. April, 17 Uhr. Im Bereich des Baufelds 2 der Zweiten Stammstrecke nahe der Donnersberger Brücke haben sich knapp 60 Menschen versammelt: Männer und Frauen, darunter auch Arbeitnehmer:innen verschiedener Nationen. Betriebsseelsorgerin Jessica Tomkin hat sie zum Workers' Memorial Day eingeladen, dem internationalen Gedenktag für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit mit Gedanken an die Verstorbenen und erkrankten Arbeitsnehmer:innen weltweit.

Für den Gottesdienst zu Beginn hat sie Texte aus dem Refrain des Liedes „Hevenu Shalom“ ins Polnische und Türkische übersetzen lassen, damit alle mitsingen können. Auch Zwischenansagen wie „Schweigeminute“ gibt es mehrsprachig. Man spürt, dass die Teilnehmenden aufmerksam dabei sind. Es rührt sie, dass ihre Muttersprache verwendet wird, auch wenn es nur einzelne Worte sind. Nach dem Gottesdienst gibt es ein Grillfest für alle und Gespräche, auch an den Ständen zum Thema Arbeitssicherheit.

Gottesdienste und Gespräche

„Man hat gespürt, dass die Menschen beim Gottesdienst intensiv dabei waren“, erklärt Jessica Tomkin einige Tage später im Rückblick. Für die Vorbereitungsgruppe ist deshalb klar, dass es auch im nächsten Jahr wieder eine solche Feier geben soll.
 
Königsfigur aus Holz
Königsfigur aus Holz: "Würde und Wert eines jeden Menschen"
Jessica Tomkin ist seit einem knappen Jahr Betriebsseelsorgerin der Erzdiözese München und Freising beim Projekt „Zweite Stammstrecke“. Neben klassischen Gottesdienstangeboten, zu denen sie bisher einmal pro Monat vor dem Beginn der Arbeit frühmorgens einlädt, engagiert sie sich vor allem in persönlichen Kontakten und Gesprächen. „Ich bin mittlerweile seltener im Büro, weil ich oft hinaus zu den Arbeitnehmer:innen gehe“, berichtet sie. Außerdem hat sie feste Zeiten an verschiedenen Orten des Bauabschnitts festgelegt, an denen sie persönlich zu treffen ist.

„Am Anfang habe ich schon einige flapsige Sprüche zu hören bekommen, wenn ich vorbeigeschaut habe. ‚Ich liege noch nicht im Sterben‘ oder ‚Wenn Sie mir nicht helfen können, dass ich mehr Geld verdiene, dann brauche ich Sie nicht‘ waren einige davon“, erzählt sie im Rückblick. Mittlerweile ist das anders. Die Beschäftigten haben gesehen, dass sie zuverlässig immer wieder vorbeischaut und nachfragt. Nun suchen sie auch von sich aus den Kontakt zu ihr und vertrauten ihr persönliche Themen an. Von der schweren Erkrankung naher Angehöriger bis zum Verlust des Führerscheins reicht die Bandbreite. „Manche brauchen auch Unterstützung, wenn sie mit einem Problem nicht allein weiterkommen. Dann begleite ich sie gerne oder ich suche mit ihnen jemanden, der im konkreten Fall helfen kann“, schildert sie die gewachsene Vertrauensbasis.

Würde und Wert des Menschen

Jessica Tomkin geht auf alle zu. Und so ist die 43-jährige Pastoralreferentin im Kontakt mit Christen verschiedener Konfessionen, aber auch mit Konfessionslosen oder Muslimen. Manchmal hilft ihr beim Gespräch eine geschnitzte Königsfigur aus Holz. Sie stammt vom Bonner Diakon Ralf Knoblauch und versinnbildlicht die Würde und den Wert eines jeden Menschen. „Das ist ein Symbol, das wirklich jedem etwas sagt“, bekräftigt Jessica Tomkin.
 
Betriebsseelsorgerin Jessica Tomkin am 27. April 2023 auf dem Workers Memorial Day auf der Baustelle an der Donnersberger Brücke in München
Betriebsseelsorgerin Jessica Tomkin auf dem Workers Memorial Day
Zu Beginn ihrer Tätigkeit war die Betriebsseelsorgerin sehr aktiv in der Vernetzung mit anderen. Von der Bahnhofsmission über die Gewerkschaft IG BAU bis zum Projekt „Faire Mobilität“, das Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa in ihren Herkunftssprachen zu ihren Rechten auf dem deutschen Arbeitsmarkt informiert, reicht die Bandbreite ihrer Kontakte.

Auch mit der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung kooperiert sie eng. Die Leitung der Betriebsseelsorge hat ihren Sitz im selben Haus wie die KAB. Es gibt gemeinsame Teamsitzungen und kollegialen Austausch. „Das ist mir auch wichtig, denn ich bin ja mein eigenes Team. Ich habe aber gern Kolleg:innen, denen ich meine Ideen vorstellen kann, um eine Rückmeldung zu bekommen“, betont die Theologin. Aus diesen produktiven Kontakten entstehen auch neue Pläne für die Zukunft. So wird gerade schon für den Herbst ein St. Martins-Feuer gegen soziale Kälte geplant.

Bevor Jessica Tomkin Betriebsseelsorgerin beim Projekt „Zweite Stammstrecke“ wurde, war sie in der Pfarrseelsorge in Gröbenzell beschäftigt. Davor hat sie zehn Jahre in der Schweiz gelebt, wo sie zunächst ihre pastorale Ausbildung absolviert und anschließend eine katholische Kirchengemeinde geleitet hat, was in der Schweiz auch für Laien möglich ist.

Die pastorale Arbeit hier inmitten der Großbaustelle gefällt ihr ausgezeichnet. „Und bei meinen Kindern ist mein Coolness-Faktor definitiv angestiegen, seit ich mit Helm und Warnweste zur Arbeit fahre“, schmunzelt sie.
 
Text: Gabriele Riffert, Freie Autorin, Mai 2023

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