Vorliebe für allerlei Boshaftigkeiten Vom „Pfingstl“ bis zum „Heilig-Geist-Anschießen“ – uraltes bayerisches Brauchtum zu Pfingsten

Richtige Sonntagskinder, so erzählte man sich noch vor gar nicht so langer Zeit, konnten am Pfingstmorgen mitten in der aufgehenden Sonne den leibhaftigen Heiligen Geist sehen. Für die normalen Werktagsmenschen, denen eine solche überirdische Begabung nicht beschieden war, halfen findige Pfarrherren und Mesner ein wenig nach: Während der Vesper, wenn der Priester das „Veni Sancte Spiritus“ anstimmte und die Orgel zu brausendem Jubel ansetzte, schwebte aus dem sogenannten „Heilig-Geist-Loch“ ganz hoch droben im Kirchengewölbe in feierlich-verhaltenem Flug eine Taube auf das staunende Christenvolk hernieder, um einige Zeit über den andächtig himmelwärts gereckten Köpfen zu verharren und dann wieder in Richtung Dachboden zu entschwinden. Dort nämlich lenkten geschickte Ministrantenhände das solide aus Holz gearbeitete, schön weiß angemalte und an einer roten Schnur gehaltene Pfingstwunder.

Die Erscheinung des Holzgetiers war und ist bis heute freilich bloß noch ein schwacher Abglanz des dramatischen Spektakels früherer Zeiten, als der Mesner nicht selten eine lebendige Taube im Käfig bereithielt und auf ein vereinbartes Zeichen durch die Gewölbeöffnung ins Gotteshaus flattern ließ. Im böhmischen Land an der Grenze soll es einmal geschehen sein, dass die flinke Katze des Mesners ganz unprogrammgemäß den symbolträchtigen Vogel verspeiste und die Kirchenbesucher vergeblich auf den Heiligen Geist warteten. Vielerorts ließ man zusätzlich Rosenblätter auf die versammelten Beter herabregnen um die aus der Apostelgeschichte bekannten „Zungen wie von Feuer“ plastisch zu machen. Ein Brauch, der bis heute mancherorts noch gepflegt wird.
Taube in Kirche
Lärmend begrüßen die Schützenvereine im Berchtesgadener Land heute noch den Pfingstsonntag: Früh um vier Uhr – der Fürstpropst von Berchtesgaden hatte nämlich das Privileg, ausgerechnet zu dieser seltsamen Zeit den Päpstlichen Segen zu erteilen –feuern sie vor ihren Häusern etliche Schüsse ab, was man dort „Heilig-Geist-Anschießen“ nennt. 

Überall im Bayerischen Wald, in der nördlichen Oberpfalz und im niederbayerischen Land zog zu Urgroßvaters Zeiten der mit einem Kleid aus Stroh, Birkenlaub und Tannengrün vermummte „Pfingstl“ mit seinem Gefolge aus ähnlich maskierten Burschen und Peitschenknallern von Haus zu Haus. Die malerische Gruppe trug Scherzverse und Lieder vor („Alleluja, alleluja, der Pfingstl ist da!“), empfing kleine Gaben und ließ zum Dank die „Pfingstgartn“ zurück, einen mit Bändern geschmückten grünen Zweig, der Glück ins Haus bringen sollte.

Volkskundler bringen diesen Umzug mit uralten Fruchtbarkeitsriten in Verbindung. Sie deuten den „Pfingstl“ als Abbild des Wachsens und Reifens in der Natur und erblicken in dem Spiel – das häufig damit endete, dass der „Pfingstl“ mit Wasser begossen oder gleich ins Wasser geworfen wurde – Reste einer szenischen Darstellung des Kampfes zwischen Winter und Sommer. Wenn der „Pfingstl“ als „Wasservogel“ auftrat, mit Moos, Stroh und Reisig umhüllt, war die Verbindung zu den alten Fruchtbarkeits- und Reinigungsriten noch deutlicher.

Bevor die abenteuerlich kostümierte Truppe die Gaben der Hausbewohner in Empfang nehmen konnte, bekam erst einmal der Wasservogel einen tüchtigen Guss mit dem Kübel. Und in einigen Orten Niederbayerns tauchten zwei stämmige Mädchen den Wasservogel nach dem Zwölfuhrläuten des Pfingstsonntags im aufgestauten Dorfbach unter.

Das Motiv solch seltsamen Brauchtums sucht man in der alten abergläubischen Vorstellung, der Fluss verlange alle sieben Jahre (oder gar jedes Jahr) sein Opfer. Mit Hühnern und Tauben wollte man einst die Flussgötter gnädig stimmen – und zwar im Frühjahr, wenn der Strom mächtig anschwoll. Dabei kleideten sich die Opfernden in frisches Grün. Die unübersehbaren Anklänge an heidnische Riten mögen die kirchlichen Behörden bereits vor Beginn der Aufklärungszeit bewogen haben, den Brauch – mit wechselndem Erfolg – zu verbieten. Der Bischof von Eichstätt zum Beispiel ließ 1696 verlauten, „es sei nicht gestattet, um milde Witterung für die Erntezeit zu erhalten, am Pfingstmontag einen in Reisig gekleideten Menschen ins Wasser zu werfen und dann in feierlicher Prozession um die Felder zu tragen“. 

Wenig christlich nimmt sich auch die Vorliebe für Boshaftigkeiten aus, die das alte Pfingstbrauchtum begleitet. Dabei war der Spott, den die Langschläfer den ganzen Sonntag über erdulden mussten, noch das Harmloseste: „Pfingstlümmel!“ oder „Pfingstl!“ rief ihnen die Dorfjugend nach. Unangenehmer konnte schon der Unfug sein, den sich übermütige Burschen in der Pfingstnacht einfallen ließen. Gar nicht so selten kam es vor, dass sie alle Gartentürln aushängten und auf dem Dorfplatz zu einem Haufen zusammenschichteten. Unbeliebten Zeitgenossen nagelte man die Haustür zu oder setzte ihnen einen Mistkarren aufs Dach. „Sitzengebliebene“ oder besonders zurückhaltende Mädchen und auch heimlich Verliebte bekamen von taktlosen Zeitgenossen eine Strohpuppe in Männerkleidern aufs Hausdach gepflanzt, die natürlich wieder „Pfingstl“ hieß. Dorfschönheiten hingegen – die Welt ist ungerecht – fanden am Pfingstmorgen einen sogenannten „Kranzlbaum“ zur Huldigung vor. 

Hübscher ist da schon der Brauch der Pfingsthochzeit in Kötzting: Seit 1754 darf hier der Pfarrer einen „Tugendbräutigam“ auswählen, der sich seinerseits wieder eine „Pfingstbraut“ sucht und sie zum „Pfingstltanz“ führt. Das Ehrenkränzlein, das der Bräutigam auf Zeit vom Pfarrer erhält, gilt als kostbare Auszeichnung. Mit der „Hochzeit“ endet der Kötztinger Pfingstritt, der schon seit dem 15. Jahrhundert belegt ist: Damals lag im benachbarten Steinbühl ein Bauer im Sterben. Der Pfarrer wagte es zunächst nicht, mitten in der Nacht den langen Weg zu dem Schwerkranken anzutreten. Da nahmen ein paar kräftige Burschen aus Kötzting den Geistlichen mit dem Allerheiligsten in ihre Mitte, brachten ihn gerade noch rechtzeitig nach Steinbühl und schlugen die Strauchdiebe, die dem Zug tatsächlich den Rückweg versperren wollten, in die Flucht. 

Es sind immer noch ein paar hundert Bauern aus der ganzen Umgebung, die sich alljährlich am Pfingstmontag mit ihren prachtvoll geschmückten Rössern zur Prozession sammeln. Durch das Zellertal führt der Weg zur Steinbühler Nikolauskirche. Dazu läuten die Glocken, dem Reiterzug wird das Kreuz vorangetragen, Fahnen und die blitzenden Instrumente der Blaskapelle geben der Prozession einen festlichen Rahmen. Der Pfingstritt schließt mit einer Feldmesse und dem Segen für Rösser, Reiter und Fluren. 

Die Bedeutung des Umritts ist klar: Die Prozession mit Kreuz und Priester soll den Feldern Segen bringen. Volkskundler gehen aber wieder einmal bis in die graue Vorzeit zurück und erinnern an die Verehrung, die Griechen, Römer und Germanen dem Pferd zollten. Das Christentum hat das einstige Himmelswesen – Reittier von Gott Wotan und Symbol für Jugend, Kraft und Männlichkeit – in den Dienst des neuen Glaubens gestellt und ebenfalls zum Träger eines Segens gemacht. Und auch das Umreiten eines Grundstücks, einer Feldflur ist seit alters ein beliebtes Sinnbild für Inbesitznahme und Machtausübung.

Text: Christian Feldmann, freier Mitarbeiter der Münchner Kirchenzeitung, entnommen aus Münchner Kirchenzeitung vom 16. Mai 2021, Nr. 20