Kaffeehäuser, Kunst und eine Kirche Die App MunichArtToGo erzählt mit historischen Bildern über München

Mit einer App wird die „Kunststadt München“ lebendig. Bilder, Informationen und Geschichten lassen sich direkt vor den jeweiligen Orten, Straßenecken, Nachfolgerbauten oder erhaltenen Gebäuden abrufen. Dabei ist auch die Kirche Sankt Anna im Lehel.
 
Die Fassade der zerstörten Klosterkirche Sankt Anna im Münchner Lehel
Die Fassade der zerstörten Klosterkirche Sankt Anna im Münchner Lehel im Jahr 1944
An die 500 auf die Decke gezeichneten Quadrate erinnert sich Pater Markus Koeth noch gut. Ebenso an das Gerüst, das jahrelang in Sankt Anna im Münchner Lehel stand. Der heute 85-jährige Franziskaner war dabei, als in der Klosterkirche die Rekonstruktion der im Krieg zerstörten Deckenfresken von Cosmas Damian Asam begann. Jedes der Quadrate hatten Stifter symbolisch gekauft, um die Arbeiten zu finanzieren, die Karl Manninger übernahm. „Jeden Tag kam frischer Putz auf eine Stelle an der Decke, dann hat sich der Maler auf den Rücken gelegt und so auf dem Gerüst gemalt“, erzählt Pater Markus.

Er weiß auch noch, dass alles 1968 mit einem Versuch im Presbyterium begann. „Damals sind Farbdias von den Asamfresken aufgetaucht, die vor dem Krieg gemacht wurden und damit war einigermaßen klar, wie die genau ausgesehen hatten.“ Auf den im Kloster vorhandenen Schwarzweißaufnahmen war das nicht erkennbar.
60 Mal Klosterkirche im "Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei" im Zentralinstitut für Kunstgeschichte
60 Mal Klosterkirche im "Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei" im Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Die Farbdias sind heute im Keller des Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu finden, in einem Blechschrank. Die Kunsthistoriker Stephan Klingen und Johannes Griebel ziehen die Schublade vorsichtig auf, in denen sich die Lichtbilder der Klosterkirche Sankt Anna befinden, die vor der Zerstörung entstanden sind. Es sind 60 von rund 50.000 Lichtbildern, die zwischen 1943 und 1945 entstanden sind. Das "Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei" war ein sogenannter „Führerauftrag“ Adolf Hitlers, der deutlich machte, mit welchen Zerstörungen die NS-Machthaber durch den von ihnen entfesselten Krieg rechneten. Denn die im gesamten damaligen Reichsgebiet entstandenen Aufnahmen, sollten möglichst originale Rekonstruktionen zerbombter Fresken und Bauten ermöglichen.

Kunst-Genuss nach dem Sushi-Prinzip

Wie die bemalte Decke in der Rokoko-Kirche Sankt Anna 1944 aussah, lässt sich seit kurzem auf einer App betrachten, die sich kostenlos und bequem aufs Smartphone herunterladen lässt. Die App tragt den Titel MunichArtToGo. Auch Bilder der zertrümmerten Kirche im Lehel sind dort zu sehen. Denn kurz nach der Dokumentation der Fresken schlugen Bomben in Sankt Anna ein, und auch das hat dieselbe Fotografin, Eva Bollert, dokumentiert. Zu diesen Bildern auf der App hat Stephan Klingen kurze Texte geschrieben, „nach dem Sushi-Prinzip klein, fein, lecker“. Für Kunsthistoriker sei es eine Herausforderung, „nicht in akademischen Fußnoten zu sprechen und den wissenschaftlichen Elfenbeinturm etwas zu verlassen“.

Das Angebot für das Smartphone verfolgt aber genau dieses Ziel, die gewaltigen Bildschätze des Zentralinstituts für Kunstgeschichte einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Durch die Zusammenarbeit mit Google Arts & Culture konnte es bereits über 16.000 weitgehend historische Aufnahmen von München digitalisieren und im Netz präsentieren, der Bestand des Instituts geht ja weit über das Farbdiaarchiv hinaus.
Das originale und im Krieg zerstörte Deckenfresko in Sankt Anna
Das originale und im Krieg zerstörte Deckenfresko in Sankt Anna
Bilder, Informationen und Geschichten vor Ort abrufbar

Für die App MunichArtToGo haben sich Studenten aus dem gesamten Material bedienen und Geschichten zu verschiedenen Orten und Baudenkmälern recherchieren können. Das im Krieg stark zerstörte und danach abgeräumte Wittelsbacher Palais ist genauso dabei, wie die Postversuchssiedlung im Stadtteil Neuhausen, ein Beitrag über einen ungewöhnlichen U-Bahn-Entlüftungsschacht steht neben der Geschichte über die Maxburg oder die Glyptothek. Daneben sind auch Tourenvorschläge zu finden, etwa zu historischen Künstlercafés, die heute weitgehend verschwunden sind.

Im Vordergrund steht die „Kunststadt München“ von 1800 bis heute. Durch das Smartphone lassen sich die Bilder, Informationen und Geschichten direkt vor den jeweiligen Orten, Straßenecken, Nachfolgerbauten oder erhaltenen Gebäuden abrufen. Johannes Griebel setzt auf den „Aha-Effekt, mit dem wir die Leute an Bord holen wollen“.
Die Signatur von Karl Manninger, der das Asam-Fresko rekonstruiert hat, und das Original von Cosmas Damian, festgehalten auf einem Dia von 1944
Die Signatur von Karl Manninger, der das Asam-Fresko rekonstruiert hat, und das Original von Cosmas Damian, festgehalten auf einem Dia von 1944
Geschichte der Asamkirche in der App zu lesen

Die App richte sich eben nicht nur an ein Fachpublikum, sondern an jeden, der die gewachsene Stadtgestalt Münchens entdecken möchte. Ein wenig überrascht war er, dass die Studenten keine Kirchen für ihre Recherche auswählten. Sein Kollege Stephan Klingen vermutet, „dass es daran liegen könnte, dass da unser Material so riesig ist, dass sich viele Studenten an diese Fülle nicht herantrauen“. Zudem seien viele Kirchen und ihre Ausstattung bereits gut dokumentiert.

Die Geschichte der Asamkirche im Münchner Lehel lag dem promovierten Kunsthistoriker dennoch besonders am Herzen und darum verfasste er den Beitrag über sie eben selbst. Schließlich hat er über das Farbdiaarchiv ausführlich geforscht und interessiert sich dafür, welche Möglichkeiten es etwa für die Denkmalpflege bietet.
Johannes Griebel und Stephan Klingen
Johannes Griebel (l.) und Stephan Klingen
Klingen würde auch gerne einen Beitrag über die kleine Dreifaltigkeitskirche am Promenadeplatz schreiben, die im Krieg weitgehend unbeschädigt blieb, aber ebenfalls im Farbdiaarchiv dokumentiert ist. Der Aufwand, der mitten im Bombenkrieg besonders für diese Kirche getrieben wurde, war enorm: „Wegen der Fliegerangriffe war die Kirche wahrscheinlich vollkommen verdunkelt, nachts haben die Fotografen den Raum dann mit Lampen aus den Bavaria-Filmstudios perfekt ausgeleuchtet und mit einem etwa einen Meter langen Monster-Objektiv abgelichtet.“ Schon aus Gründen der Fotografie-Geschichte begeistert sich Klingen für diese einzigartigen Bilder: „Sie können den Engelchen auf dem Deckengemälde in die Nasenlöcher gucken, auf den Dias ist mehr zu sehen als direkt vor Ort.“

Ehrenamtliche Helfer für Mitarbeit an App gesucht

Genauso wie Johannes Griebel fehlt ihm dafür leider die Zeit. Der würde in der App gerne eine Story über seine Heimatkirche Heilig Blut in Bogenhausen sehen, die vor dem Krieg einen völlig anderen Turm mit einem langgezogenen spitzen Pyramidendach hatte. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind deshalb für neue, auch ehrenamtliche und nicht kunsthistorisch vorgebildete Helfer bei MunichArtToGo offen: „Es ist unser Wunsch, dass Leute sich mit Ideen, Anregungen und am besten mit ihrem historischen Bildmaterial an uns wenden“, erklärt Griebel und bietet sogar persönliche Begegnungen an: Ein Mitglied der App-Gruppe sitzt normalerweise jeden Mittwoch von 14.00 und 15.00 Uhr im Raum 108 des Zentralinstituts und empfängt Interessenten. Vielleicht bekommt Sankt Anna auf MunichArtToGo ja bald Gesellschaft durch eine weitere Kirchen-Story oder vielleicht sogar durch eine Kirchentour.
 
Text: Alois Bierl, Chefreporter beim Sankt Michaelsbund, März 2023

Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte befindet sich in der Katharina-von-Bora-Straße 10, 80333 München. Alles über die dort erstellte App und ihre Inhalte ist auf municharttogo.zikg.eu zu finden.