Begleitung in eine andere Welt Hospiz, Sterben und die Botschaft von Ostern

Unser Autor Maximilian Lemli begleitete das Pflegepersonal des Johannes-Hospizes der Barmherzigen Brüder in München bei einer Nachtschicht und sprach mit dem Leiter des Hospizes darüber, wie der Weg in die „andere Welt“ aussehen kann.
 
Brennende Kerzen mit Engelsfigur
"Fast alle, die auf den Tod zugehen, verbinden damit eine Hoffnung"
Heute begleite ich eine Nachtschicht im Johannes-Hospiz der Barmherzigen Brüder im Münchner Stadtteil Nymphenburg. Im Sommer 2022 war ich schon einmal hier, und schon damals hat mich die Atmosphäre des Hauses beeindruckt: Sonnengelbe Wände, an denen farbenfrohe Landschaftsbilder hängen. Die Zimmer der Bewohner sehen aus wie in einer Jugendherberge. Nur die Sprossengeländer in den Fluren und die Betten lassen darauf schließen, dass dies keine ganz gewöhnliche „Herberge“ ist.
 
Gregor Linnemann, Leiter des Johannes-Hospizes der Barmherzigen Brüder in München, am Schreibtisch
Gregor Linnemann
Um kurz nach 20.30 Uhr begrüßt mich Hospizleiter Gregor Linnemann herzlich. Gemeinsam gehen wir in den Aufenthaltsraum des Pflegepersonals. „Das ist der Tisch, an dem Sie eingeschlafen sind! Auf einmal lag Ihr Kopf auf der Tischplatte!“, erinnert sich der 60-Jährige und lacht. Hoffentlich passiert mir das diesmal nicht wieder…

Bei der sogenannten Übergabe berichten die Schwestern der Spätschicht Krankenpfleger Linnemann und seiner Kollegin Isabella Jablanowski, wie es den Patienten geht und worauf besonders geachtet werden muss. Derzeit liegen acht Patienten hier. Im Gegensatz zu einem Krankenhaus gibt es hier keine Ärzte. Der Zustand der Patienten ist so gut berechenbar, dass nur im Notfall der Hausarzt hinzugezogen werden muss. Überhaupt wird darauf geachtet, das Haus möglichst wenig wie ein Krankenhaus aussehen zu lassen: Es gibt kein grelles Flurlicht, das ins Patientenzimmer scheint, und es riecht nicht nach Desinfektionsmittel.
 
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Die Menschen, die im Hospiz sterben, wirken erlöst. Fast alle, die auf den Tod zugehen, verbinden damit eine Hoffnung. Mit ihrem Tod setzen sie das größtmögliche Ende und beginnen wahrscheinlich etwas Neues.
Gregor Linnemann
Sein erster Weg nach der Übergabe führt Linnemann wie immer hoch in die Kapelle, wo er eine Kerze anzündet: „Damit wir heute Nacht gut begleitet sind.“ Im September ist es 20 Jahre her, seit er das Hospiz gegründet und als Leiter mit aufgebaut hat. Zum Jubiläum verlässt er das Haus jedoch auf eigenen Wunsch. „Ich bin der Hospizarbeit nicht überdrüssig, aber nach so langer Zeit möchte ich neue Erfahrungen sammeln.“ Konkrete Pläne für seine Zukunft hat er noch nicht. Sein halbes Berufsleben hat er in diesen Räumen verbracht. Nun reizt ihn das Unbekannte.

Atemnot schwerer zu ertragen als Schmerzen

Wie bei jedem Dienst geht er von Zimmer von Zimmer und schaut nach, wie es den Patienten geht. Die meisten leiden an einem Tumor. Ein Patient liegt seit sieben Monaten hier, weil seine ALS, eine schwere Muskelerkrankung, so weit fortgeschritten ist, dass er nur noch im Hospiz betreut werden kann. Um kurz vor vier Uhr klingelt er, weil er unter starker Atemnot leidet. „Das ist ab einem gewissen Stadium von ALS obligatorisch“, erklärt der Krankenpfleger und verabreicht dem Patienten Morphintropfen.

Atemnot ist für die Patienten schwerer zu ertragen als Schmerzen, weiß er. Viele leiden deshalb an Panikattacken, weil sie befürchten zu ersticken. Die Ängste, die in ihnen hoch kommen, bringen sie zum Reden, obwohl sie kaum noch Luft dafür übrig haben. Gerade diese Menschen müssen Linnemann und seine Kollegen auffangen. Kaum hat der Pfleger das Krankenzimmer verlassen, notiert er die Medikamentengabe in der Patientenakte, der sogenannten „Kurve“. Jede Medikamentengabe, vor allem die von Morphium, muss dokumentiert werden. Bei einem anderen Patienten haben sich 1,2 Liter Flüssigkeit im Bauchraum, dem sogenannten Peritoneum, angesammelt. Über eine Kanüle wird das Wasser mit einer Spritze abgezogen. Das verschafft dem Patienten zumindest kurzfristig Erleichterung.
 
Isabella Jablanowski
Isabella Jablanowski
Die Nacht verläuft vergleichsweise ruhig, also ist Zeit, beim Frühstück darüber zu reden, wie die jahrzehntelange tägliche Konfrontation mit dem Tod seinen Blick aufs Leben und die Menschen verändert hat. Er hat in viele Abgründe geschaut: „Je freundlicher die Leute zu Beginn sind, desto schwieriger werden sie.“ Manche könnten sogar richtig fordernd sein. Der Tod mache keinen besseren Menschen aus den Patienten, und er erzählt von Angehörigen, die sich „wie im All-inclusive-Resort fühlen und beschweren, wenn der Kaffee nicht unaufgefordert gebracht wird.“

„Pflegekräfte müssen vor allem Zuverlässigkeit und Kompetenz mitbringen“, sagt Linnemann. Dazu gehöre, komplexe Situationen schon im Entstehen erkennen zu können. Komplex wird es zum Beispiel, wenn sich psychische Erkrankungen mit physischen mischen.

Linnemann wirkt ernüchterter als noch vor knapp zwei Jahren. Jahrelang hat er versucht, auch auf politischer Ebene für palliative Strukturen zu werben. Das war nicht so erfolgreich, wie er sich das erhofft hatte. Er wünschte sich, dass in allen pflegerischen Bereichen palliative Kompetenz und hospizliche Kultur mehr Platz fänden. Es ärgert ihn, dass die Politik die Corona-Zeit nicht aufgearbeitet hat, in der Angehörige ihre schwerkranken, vielleicht sogar sterbenden Angehörigen nicht besuchen durften. Von dem Applaus, der Pflegekräften entgegen gebracht wurde, sei wenig übrig geblieben.

Begleitung in eine andere Welt

Obwohl der Pflegenotstand inzwischen auch in den Hospizen angekommen ist, gelten diese unter Pflegekräften immer noch als besonders begehrt. Hier können sie sich noch intensiver um die Patienten kümmern als im stressigen Krankenhausalltag oder im Pflegeheim. Aus diesem Grund kam Isabella Jablanowski vor fünf Jahren zum Johannes-Hospiz. Die 60-Jährige hatte schon im Pflegeheim palliativ gearbeitet, aber zuletzt mehr Zeit im Büro verbracht als bei den Patienten. Ihre Arbeit betrachtet sie als „Erfüllung“. Als Jugendliche wollte sie Hebamme werden: „Jetzt begleite ich Menschen auf dem Weg in eine andere Welt.“
 
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Für mich ist Ostern wichtiger als Weihnachten. Sicher ist es wichtig, dass Christus geboren wurde. Aber seine Auferstehung ist das Eigentliche, das hat für mich eine starke Symbolkraft.
Gregor Linnemann
Wie unterschiedlich dieser Weg verlaufen kann, zeigt ein Mann, von dem Linnemann erzählt: „Er kam mit dem Taxi zu uns.“ Dieser Gedanke lässt mich auch Tage später nicht los: Was muss das für ein Gefühl sein, dem Taxifahrer zu sagen: „Bitte fahren Sie mich zum Hospiz“, und zu wissen, dass dies wohl meine „letzte Reise“ war? Er muss sich sehr bewusst mit seinem Ende befasst haben.

Um 6.30 Uhr endet die Nachtschicht mit der Übergabe an den Frühdienst. In dieser Nacht ist niemand gestorben, die Schicht verlief verhältnismäßig ruhig. Eine Schwester aus der Spätschicht hat ihren Dienst getauscht und ist zur Frühschicht schon wieder da. Bevor ich gehe, beschäftigt mich noch eine Frage: Macht es einen Unterschied, wenn man sich kurz vor seinem Tod bewusst damit auseinander gesetzt hat? Auf diese Frage hat der erfahrene Krankenpfleger keine eindeutige Antwort. Schließlich wisse man nicht, was zum Beispiel die noch wahrnehmen, die sich nicht mehr orientieren können. Aber viele Menschen, die er beim Sterben begleitet hat, wirkten erlöst. „Fast alle, die auf den Tod zugehen, verbinden damit eine Hoffnung. Sie setzen das größtmögliche Ende und beginnen wahrscheinlich etwas Neues.“
 
Autor: Maximilian Lemli, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, März 2024

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