Holzbrett zwischen Tod und ewigem Leben Der uralte Brauch der Totenbretter

Im Südosten unseres Erzbistums erinnern Totenbretter an Verstorbene – und an die Vergänglichkeit allen Irdischen. Was genau steckt hinter dem uralten Brauch, und wo findet man die hölzernen Denkmale noch?
 
Totenbretter in Teisendorf
Totenbretter in Teisendorf
Wer nicht so genau hinschaut, könnte sie für einen Bretterzaun halten: Totenbretter, die an Waldrändern, Wiesen und Wegrändern in Reihen nebeneinander aufgestellt sind. Versehen mit Namen, Geburts- und Sterbedatum, teilweise kunstvoll verziert mit Ranken und Friedhofsreimen erinnern sie an Verstorbene, die nicht weit von hier gelebt haben.

Ursprünglich waren Totenbretten allerdings gar nicht dazu gedacht, an einen Toten zu erinnern: Sie gehen zurück auf eine Zeit, als die Sargbestattung noch nicht üblich war. Damals schnitt man Bretter  zurecht, um Verstorbene darauf aufzubahren. Später wurden sie darauf zum Friedhof getragen und in Leinen gehüllt darauf beerdigt. Zu den ältesten Belegen für diesen Brauch gehört ein Totenbrett, das noch heute in der Konradskirche von Oberwang im österreichischen Salzkammergut aufbewahrt wird. Es wird dem Abt Konrad Bosinglother zugeschrieben, der 1145 auf ihm verbrannt worden und unversehrt geblieben sein soll.
Totenbretter bei Ruhpolding
Totenbretter bei Ruhpolding
Was heute unvorstellbar scheint: Beerdigungen ohne Sarg waren noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts üblich. Vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten verzichteten damals auf den Luxus, weil für Sargbestattungen auf vielen Friedhöfen höhere Gebühren anfielen. Der Grund: Die Kirchhöfe waren klein, die Gräber mussten schnell wieder belegt werden können. Um beim Graben nicht auf unverweste Leichenteile zu stoßen, achtete man darauf, dass die Toten schnell verwesten.

Symbol für den Übergang vom irdischen ins ewige Leben

Die Totenbretter allerdings wurden zu dieser Zeit schon nicht mehr mit beerdigt, man ließ den Leichnam vielmehr von ihm herunter ins Grab rutschen. Sie entwickelten sich vom einfachen Brett, das man schnell zurechtsägte zu Meisterstücken, die man beim Schreiner in Auftrag gab. Aufwendig geformt, geschnitzt und teilweise auch mit Friedhofspoesie beschriftet. So stelle man sie als Gedenkbrett auf. Die Standorte waren je nach Gegend unterschiedlich: Mancherorts hängte man sie direkt ans Haus des Verstorbenen, anderenorts trug man sie vor das Dorf oder stellte sie an den Weg zwischen Friedhof und Wohnung der Verstorbenen.
In vielerlei Hinsicht sind Totenbretter mit dem Glauben an die Auferstehung und das Purgatorium verbunden. Das langsam verwitternde Holz ist Sinnbild für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Darüber hinaus glaube man damals auch, die Seele des Verstorbenen sei erst erlöst, wenn auch das Totenbrett verfault sei. Wer an ihnen vorüber ging, sprach daher ein Gebet für die Verstorbenen, um ihre Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Mancherorts legte man die Bretter deshalb auch über Gräben oder Bäche, damit die Feuchtigkeit dafür sorgte, dass sie schneller verrotteten. Diese Brücken symbolisierten einmal mehr den Übergang vom irdischen ins ewige Leben.

War der Brauch der Totenbretter in früheren Zeiten überall in Deutschland verbreitet, hat er sich nur noch an wenigen Orten erhalten. Heute bieten sie vor allem Wanderern im Südosten unseres Erzbistums einen überraschenden Anblick. Insbesondere in der Gegend um Ruhpolding und Teisendorf findet man sie noch in der Nachbarschaft von so manchem Kapellchen, Wegkreuz oder Marterl. Stefan Kiderle hat sich auf die Suche gemacht und einige fotografiert.
 

Totenbretter in Ruhpolding und Teisendorf

 
Text: Nicola Neubauer, November 2022