Die Kriegs- und Einmarschberichte der Pfarrer des Erzbistums München und Freising

(Dr. Roland Götz, Archiv des Erzbistums München und Freising)

Organisatorischer Rahmen
Trotz schwerer Schäden an zahlreichen Kirchen- und Pfarrgebäuden besaß die katholische Kirche am Ende des Zweiten Weltkriegs eine flächendeckend funktionsfähige Organisation. Die Geistlichen waren an vielen Orten vertrauenswürdige Ansprechpartner für die amerikanische Militärregierung und spielten oft eine wichtige Rolle beim Neuaufbau einer kommunalen Verwaltung. Zudem waren sie daran gewöhnt, dem Ordinariat als der vorgesetzten kirchlichen Oberbehörde regelmäßig über die Entwicklung ihrer Seelsorgestellen Bericht zu erstatten. Diese Umstände ermöglichten die Entstehung einer einzigartigen Quelle zum Kriegsende aus deutscher Sicht.

Auftrag zur Berichterstattung
Am 7. Juni 1945, also fast einen Monat nach Kriegsende, richtete der Münchener Generalvikar Ferdinand Buchwieser im Auftrag der Diözesanleitung (mit Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber an der Spitze) an alle Seelsorgestellen der Erzdiözese München und Freising ein Schreiben und forderte diese auf, bis zum 1. August 1945 einen Bericht über die zurückliegenden Kriegsereignisse sowie die Vorkommnisse beim Einmarsch der amerikanischen Truppen in den einzelnen Seelsorgebezirken zu fertigen. Es sollte berichtet werden über alle Schäden von Fliegerangriffen in der Seelsorgestelle (besonders an Personen, Kirchen und kirchlichen Gebäuden), die Vorgänge beim Einmarsch der Amerikaner (u.a. die Behandlung der Geistlichen, eventuelle Störungen der Gottesdienstordnung und Todesopfer) und über den Umfang von Plünderungen (insbesondere von Messwein, der für die Feier der Messe ja unverzichtbar war). Es sollten zumindest zwei Exemplare des Berichts angefertigt werden, das erste für das Ordinariat, das zweite für die Seelsorgestelle selbst, eventuell auch noch ein drittes für den jeweiligen Dekan.
Originalexemplar des Berichts
Zielsetzung
Die Zielsetzung der Berichtsaktion konnte bisher nicht genau geklärt werden. Es ging wohl neben der aktuellen Erhebung von Schäden auch um eine historische Dokumentation. Die bis zum Juni 1946 im Ordinariat eingegangenen Berichte (und deren Anlagen wie Listen der Kriegsopfer oder Überlegungen zu einem Kriegerdenkmal) sind heute ein Bestand im Archiv des Erzbistums München und Freising. Von den damals 671 Pfarreien (und anderen Seelsorgestellen wie Kuratien und Exposituren) der Erzdiözese liegen 562 Berichte vor, so dass man von einer nahezu flächendeckenden Berichterstattung sprechen kann. Ergänzend können vielfach die Seelsorgeberichte für das Jahr 1945 herangezogen werden.

Aussagekraft des Quellenbestands
Die Berichte sind zu etwa einem Drittel handgeschrieben, die übrigen liegen in Maschinenschrift (entweder als Original-Typoskript oder als Durchschlag) vor. Die Bandbreite ihres Inhalts ist ebenso groß wie die des Umfangs und hängt vor allem von der jeweiligen Person der Berichterstatter ab. Während die einen nur in ein paar kargen Worten die drei Fragen des Ordinariats beantworteten, schrieben andere mehrseitige, ja 20 bis 30 Seiten umfassende Berichte über Krieg und Kriegsverlauf am jeweiligen seelsorglichen Einsatzort. Die Berichte bieten eine Fülle von Informationen über die konkreten Ereignisse an fast jedem einzelnen Ort – Informationen, die größtenteils auf unmittelbarer Zeugenschaft beruhen und sehr bald nach den Ereignissen niedergeschrieben wurden. Zugleich sind sie aufschlussreiche Zeugnisse dafür, wie Krieg und Kriegsende von den Geistlichen bewertet wurden. Klar ist dabei, dass die Berichterstatter aus dem Blickwinkel ihres geistlichen Amtes schrieben und von Auffassungen ihrer Zeit geprägt waren. Dies gilt es bei der Auswertung der Berichte zu berücksichtigen.

Zur Edition
Ähnliche Berichtsbestände über Verlauf und Ende des Zweiten Weltkrieges besitzen in Bayern die Diözesen Eichstätt, Passau und Würzburg, außerhalb Bayerns nur die Erzdiözese Freiburg. Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes entschloss sich die Erzdiözese München und Freising, alle im Archiv des Erzbistums verwahrten Kriegs- und Einmarschberichte im Druck zu veröffentlichen. Damit wurde der historischen Forschung, der Zeitgeschichte wie der Orts- und Heimatgeschichte, ein bisher weitgehend unbekannter Quellenbestand bequem zur Verfügung gestellt und gerade auch den einzelnen Pfarrgemeinden eine Möglichkeit geboten, sich der eigenen Vergangenheit zu nähern. Grundsatz war die vollständige Wiedergabe der Texte: Zum einen wurde der Bestand komplett abgedruckt, also keine Auswahl und keine Wertung von mehr oder weniger „wichtigen“ Berichten vorgenommen. Jeder Ort soll sich mit seinem jeweiligen Schicksal wieder finden können. Zudem wird nur so im Vergleich ersichtlich, ob ein berichtetes Ereignis einen Ausnahmefall oder die Regel darstellt. Zum zweiten werden die Berichte – mit wenigen, der Wahrung von Persönlichkeitsrechten geschuldeten Ausnahmen – ohne Auslassungen wiedergegeben. Die zweibändige Edition wurde am 25. April 2005 im Rahmen einer zusammen mit dem Verein für Diözesangeschichte von München und Freising durchgeführten Gedenkveranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei trugen junge Seminaristen des Münchener Priesterseminars Ausschnitte von Kriegs- und Einmarschberichten aus den verschiedenen Regionen der Erzdiözese vor.

Peter Pfister (Hrsg.), Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Erzbistum München und Freising. Die Kriegs- und Einmarschberichte im Archiv des Erzbistums München und Freising (Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising 8), Regensburg 2005, 2 Teile, 1.498 S.