Kardinal Marx: Kirche erneuern „angesichts des Versagens“

„Kategorien links und rechts, konservativ und progressiv hinter sich lassen“
München, 31. Dezember 2018. Zum Jahreswechsel mahnt Kardinal Reinhard Marx eine Erneuerung von Kirche und Gesellschaft an. Für die Kirche sei diese Notwendigkeit „gerade in den letzten Jahren und Monaten deutlich geworden angesichts des Versagens und der Unfähigkeit, auf Herausforderungen und Missstände angemessen zu reagieren“, sagt der Erzbischof von München und Freising, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, laut Manuskript in seiner Jahresschlusspredigt am Silvestertag, Montag, 31. Dezember, im Münchner Liebfrauendom. „Das gilt gerade für uns als Verantwortliche in der Kirche und besonders im Blick auf das ungeheure Geschehen des sexuellen Missbrauchs, das im Kern ein Missbrauch geistlicher Macht war und ist.“
 
Es gehe nun um Weiterführung und Verbesserung von Aufarbeitung und Prävention, um unabhängige Überprüfung, „aber noch mehr ist gefordert“, so Kardinal Marx. „Es geht um die Rolle und Gestalt des priesterlichen und bischöflichen Dienstes, und zwar in Gemeinschaft mit dem ganzen Gottesvolk. Es wird gehen um eine noch stärkere Synodalität, eine Kultur der Beteiligung, der Mitverantwortung, des Ernstnehmens aller Christinnen und Christen.“ Zudem brauche es „eine Vertiefung und Weiterentwicklung der Lehre der Kirche, die immer wieder neu in einer konkreten Situation zur Sprache gebracht werden muss“, betont der Erzbischof. Diese müsse „die Kategorien links und rechts, konservativ und progressiv hinter sich lassen und sich konzentrieren auf den Weg des Evangeliums in einer konkreten Zeitstunde“. Zwar dürfe sich die Kirche nicht „einfach einem wie auch immer gearteten Zeitgeist unterwerfen“, allerdings würden „in gesellschaftlichen Entwicklungen und historischen Herausforderungen“ durchaus „Aufgaben und Notwendigkeiten zur Erneuerung sichtbar“, so Kardinal Marx. „Natürlich stehen wir in einer großen Tradition. Aber es ist keine abgeschlossene Tradition. Es ist ein Weg in die Zukunft.“
 
Der Erzbischof ruft dazu auf, mit Blick auf die Weihnachtsbotschaft „wieder groß vom Menschen zu denken“. Wenn Gott Mensch geworden sei, „dann ist es gut und auch groß, ein Mensch zu sein, mit all den Möglichkeiten, die uns geschenkt sind und die in besonderer Weise erfahrbar werden in der Kraft der Vernunft, der Sensibilität des Gewissens und der Fähigkeit zur verantwortlichen Freiheit“. Dieses „Grundvertrauen in den Menschen“ sei notwendig, „um allen Gefährdungen von Ideologien zu entgehen, die Gruppen von Menschen, Nationen und Religionen gegeneinanderstellen und letztlich unsere Gesellschaft, ja die Welt spalten.“ Nur ausgehend vom christlichen Menschenbild „kann es einen Weg geben, in unserer Gesellschaft einen neuen und vertieften Zusammenhalt zu finden, auch und gerade in Europa, das zeigen sollte, wie Vielfalt und Einheit im Miteinander möglich sind und das allen – besonders den Armen und Schwachen – Möglichkeiten zum Leben eröffnet“, so Kardinal Marx. (gob)