„Migration aktiv mitgestalten“

Diözesanratsvorsitzender Tremmel fordert langfristige Strategien in Flüchtlingsfrage
Vollversammlung des Diözesanrats mit etwa 180 Teilnehmern auf dem Freisinger Domberg
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Freising, 9. Oktober 2015. Der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising, Hans Tremmel, hat zu einer „gemeinsamen Kraftanstrengung“ aufgerufen, um die aktuellen Herausforderungen durch die Flüchtlinge zu meistern, und zugleich langfristige Strategien gefordert, um Migration aktiv gestalten zu können: „Ich bin mir ganz sicher, dass die Zuwanderung mittel- und langfristig in vielerlei Hinsicht einen Gewinn für unsere Gesellschaft darstellen wird, wenn wir nicht nur reagieren, sondern die Migration aktiv mitgestalten“, sagte Tremmel am Freitag, 9. Oktober, bei der Vollversammlung des Diözesanrats in Freising.
 
Tremmel versicherte, dass viele engagierte Kirchenmitglieder, „weiterhin Ausschau halten, wo noch Platz für Flüchtlinge vorhanden ist“. Neben der aktuellen Krisenbewältigung brauche es aber auch „tragfähige Konzepte, Strategien und Strukturen für die Zukunft“, so der Diözesanratsvorsitzende. Gerade die Kirche könne „die neuen Bürger vertraut machen mit unserem unverzichtbaren Wertekanon und mit einer Rechtsordnung, die religiöse Wurzeln hat. In einer kulturell bunter werdenden Gesellschaft können wir zeigen, dass Religion nicht ein Problem sein muss, sondern eine Lösung sein kann für ein friedliches und tolerantes Miteinander“. Christen könnten in ihren Pfarreien, Bildungs- und Sozialeinrichtungen „mittel- und langfristig für die Integration von Menschen und für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft eintreten. Es gibt bereits viele Menschen in unserer Erzdiözese, die daran arbeiten“, betonte Tremmel.
 
Der Diözesanratsvorsitzende lobte die vielen Engagierten, sie leisteten „zutiefst Menschliches und zwar bis an die Grenze der Erschöpfung und manchmal auch darüber hinaus“. Damit hätten sie „ein wunderbares Bild von Deutschland und Bayern in die Welt geschickt“. Zugleich warnte Tremmel vor der „Kehrseite der momentanen Situation“, vor brennenden Häusern, Hassparolen gegen Ausländer, Gewaltakten in und vor Flüchtlingsunterkünften, weitverbreiteter Xenophobie und Islamfeindlichkeit. Kritik übte Tremmel auch an den „erschreckend unsolidarischen nationalstaatlichen Egoismen mancher EU-Staaten“. Er unterstrich, es gehe in der Flüchtlingsfrage „nicht nur um unsere christliche Identität, sondern um unser Selbstverständnis als Europäer“. Die EU als Friedensnobelpreisträger von 2012 müsse jetzt unter Beweis stellen, dass sie den Preis damals zu Recht erhalten habe.
 
Kanzlerin Angela Merkel nötige ihm „großen Respekt ab“, bekannte Tremmel, indem sie „sich als christliche Politikerin hinstellt“ und sage, die Anforderungen seien groß und die Herausforderungen gewaltig, wenn aber alle zusammenhelfen würden, sei es zu schaffen. Das Thema Flucht und Asyl brauche „Differenzierung statt populistische Vereinfachung und parteipolitisches Gezänk“, so Tremmel.  Es gebe keine Patentrezepte, vielmehr sei ein „sehr komplexes Bündel an Lösungen“ nötig. Dazu gehörten die Unterstützung der Flüchtlingscamps in den Krisenregionen und Hilfe in den Herkunftsländern, transnationale Kriterien der Aufnahme und internationale Solidarität und eine Diskussion über sichere Fluchtkorridore. Schließlich müsse „das individuelle Menschenrecht auf Asyl für politisch Verfolgte ergänzt werden durch ein Einwanderungsregelungsgesetz, damit nicht die gesamte Zuwanderungs- und Fluchtproblematik über das enge Ventil des Grundrechts auf Asyl erfolgen muss“, so der Diözesanratsvorsitzende. 
   
Mit Blick auf den fünfjährigen Dialogprozess in der katholischen Kirche lobte Tremmel die offene und gute Atmosphäre der Gespräche und fasste die Ergebnisse in dem Satz zusammen: „Einheit in Vielheit ist möglich, legitim, bringt das wandernde Volk Gottes als Communio weiter und strahlt in die Gesellschaft hinein.“ Zugleich warnte er hinsichtlich der aktuell stattfindenden Bischofssynode in Rom vor einem „nicht zu übersehenden Riss durch unsere Kirche, der viele verschreckt und nicht wenige abstößt“. Wem dieser Riss nicht gleichgültig sei, „obwohl eigentlich ein Ruck nötig wäre, der muss sich zunächst auch an die eigene Nase fassen und selbstkritisch fragen, welchen Anteil er am Riss und welchen er am notwendigen Ruck hat“, forderte Tremmel. Auch bei unterschiedlichen theologischen Positionen dürfe man sich nicht gegenseitig „die Katholizität absprechen“. Tremmel rief dazu auf, alle Synodenteilnehmer mit dem Gebet zu begleiten, „damit da etwas Gutes rauskommt und der gemeinsame Weg weitergeht, ohne dass der Riss noch größer wird.“ Alle müssten gemeinsam „den Ruck durch unsere Kirche hinbekommen, der so dringend nötig ist – nicht ausschließlich in unserem Interesse, sondern für die Gesellschaft und eben auch für die Welt. Wir werden gebraucht, und momentan ganz besonders.“
 
Die Vollversammlung, die noch bis Samstag, 10. Oktober, auf dem Freisinger Domberg tagt, befasst sich in ihrem Studienteil unter dem Titel „So nah und doch so fremd. Annäherung an unsere muslimischen Nachbarn“ mit dem Zusammenleben von Christen und Muslimen. Neben dem Vorsitzenden des obersten Laiengremiums der Erzdiözese berichtet auch der Generalvikar des Erzbischofs von München und Freising, Peter Beer, über aktuelle Entwicklungen in der Erzdiözese und feiert mit den rund 180 Teilnehmern am Samstag einen Gottesdienst. (ck)